© Patrick Dax

Medienkunst

Maschinenträume im Autohaus

Im Foyer des Berliner Automobilforums stehen Fahrzeuge der Marken Bentley, Bugatti, VW, Seat und Skoda. Im Untergeschoß des Hauses rauschen rote Kleider, küssen Maschinen und hacken metallene Vögel auf Fingerkuppen ein. Noch bis Ende August präsentiert die Linzer Ars Electronica in den Schauräumen des deutschen Automobilherstellers VW im Zentrum Berlins die Ausstellung "Wovon Maschinen träumen". "Es ist spannend an solche Orte zu gehen, weil wir dort ein Publikum erreichen, das wir sonst nicht bekommen", sagte Gerfried Stocker, der künstlerischer Leiter der Linzer Medienkunstplattform bei der Eröffnung der Schau am Donnerstag in Berlin. Gezeigt werden 14 Arbeiten von Künstlern aus Österreich, Deutschland, Großbritannien und den USA sowie Installationen aus dem Futurelab der Linzer Medienkunstplattform.

Rotierende Kleider ...
Begrüßt werden die Besucher von roten Kleidern, die von der Berliner Künstlerin Ursula Neugebauer entworfen wurden, und in perfekter maschineller Grazie im Raum rotieren. "Vielleicht träumen Menschen auch davon so perfekt zu sein wie Maschinen", meinte Neugebauer bei einer Presseführung durch die Schau.

Ebenfalls ein Kleid zeigt der US-Künstler Charlie Bucket.  Das aus rund 180 Metern Plastikschlauch geknüpfte "Fluid Dress" visualisiert mittels Flüssigkeiten, die mit einer computergesteuerten Pumpe in das Kleidungsstück geleitet werden, die Stimmungen und Gefühlslagen seiner Trägerinnen.

... und Kussmaschinen
Wenige Schritte  weiter zeigt der ebenfalls aus den USA kommende Maschinenkünstler Ben Cowden seine interaktiven Skulpturen: Eine Zunge, die sich nach einem Lollipop streckt ("Eating My Cake and Having it Too"), ein mit Kameras versehener Puppenkopf, der sich fernsteuern lässt und die Aufnahmen zeitversetzt auf einem Monitor wiedergibt ("An Elaboration of Shortcoming") und eine Kussmaschine - die "Kissing Machine", die den Ausstellungsbesuchern ihren roten Kussmund aus Gummi entgegenstreckt und die Frage aufwirft, ob auch mechanische Küsse intim sein können.

Geschriebene Lebewesen
Der "Life Writer" von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau vom Institut für Interface Culture an der Linzer Kunstuniversität verwandelt die in eine alte Schreibmaschine aus den 1930er Jahren getippten Buchstaben softwaregesteuert in kleine Kreaturen, die wild über das Papier huschen, sich berühren und über das Drehen an der Rolle der Schreibapparatur auch wieder zum Verschwinden gebracht werden können.

Die Frage wovon Maschinen träumen sei auch die Frage wovon wir träumen, wenn wir Maschinen erschaffen, sagt Ars-Electronica-Leiter Stocker. Sie sei auch eine Herausforderung an unsere Welt mit andere Imaginität heranzutreten: "Wenn wir erkennen, welche enorme Bedeutung Technologie und Maschinen für unsere Zukunft haben, dann werden wir uns auch anders mit Technologie auseinandersetzen."

Böse und blöde Vögel
Vorsicht ist in der Auseinandersetzung mit den metallenen Skulpturen des deutschen Künstlers Michael Pflüger geboten. Der "Böse Vogel" hackt nach dem Betätigen eines Metallhebels nach den Fingerkuppen der Besucher. Die "Bösartige Maschine" lässt stilisierte Federn auf Hände niederschnellen. Der "Blöde Vogel" schnappt trotz elaborierter mechanischer Fähigkeiten lediglich lustlos herum, während sich einige Meter weiter in der "Light Wave" des britischen Künstlers Tom Wilkonson knapp hundert Glasstäbe zu Wellenbewegungen formieren.

Sprechendes Klavier
Aus einer Kabine dringen Geräusche der Installation "Deus Cantando (God, singing)" der Österreicher Peter Ablinger Winfried Ritsch und Thomas Musil. Ein computergesteuertes Klavier "spricht" ausgehend von der mit Transkriptionssoftware rekonstruirten Frequenzspektrums einer Teenager-Stimme die Proklamation des Internationalen Umweltgerichtshofs von 2009. "So könnte der Traum einer Maschine aussehen, menschlich zu werden", kommentiert Stocker die Arbeit.

Weiter hinten im Raum fräst der "Chronograph" des jungen österreichischen Medienkünstlers Leo Peschta an seinem eigenen Fundament. Je lauter die Geräuschkulisse in der Umgebung ist, desto intensiver lebt der Apparat die Lust an der Selbstdestruktion aus.

Zukunftsvisionen
Unweit davon werden in der Installation "Die Welt in 100 Jahren" des Futurelabs der Ars Electronica die Visionen des französischen Schrifstellers und Karikaturisten Albert Robida (1848 - 1926) heutigen Zukunftsentwürfen entgegengestellt. Robida nahm mit seinen Zeichnungen von tragbaren Audiogeräten nicht nur den iPod, samt weißem Kopfhörerkabel vorweg, sondern erklärte auch das Buch- durch die von ihm imaginierte Audio-Journale, die sich durchaus mit heutigen Hörbüchern vergleichen lassen, für obsolet.

Ausdrucksvolle Schattenbilder
Mit der ebenfalls aus dem Futurelab stammenden Installation "Shadowgram" können die Besucher der Schau schließlich ihre Gedanken zu den maschinen Traumwelten ausdrücken und auch ausdrucken. Sie werden vor einer Lichtwand fotografiert. Das so entstehende Schattenbild wird gedruckt und kann gemeinsam mit Sprechblasen auf einer Kartonwand appliziert werden. Das Shadwogram, eine der erfolgreichsten Kreationen des Futurelab, kam auch schon in Tokio, Venedig und auf einem Linzer Jahrmarkt zum Einsatz.

Erfolgreicher Export
Ausstellungen, wie jene im Berliner Automobilforum, werden vom Linzer Medienkunstfestival seit mittlerweile fast sieben Jahren ausgerichtet. Die Ars Electronica war bereits in den USA, Asien und Lateinamerika und zuletzt in Mumbai, Venedig und Katowice  zu Gast. Die internationalen Auftritte der Medienkunstplattform werden zur Gänze von den Gastgebern finanziert. Am Ende bleibe der Ars Electronica dabei sogar Geld übrig, hieß es seitens der Verantwortlichen.

Werbe- und Netzwerkeffekt
Neben dem Werbeeffekt für das Festival helfen die Gastspiele der Ars Electronica beim Aufbau eines internationalen Netzwerkes. Sie führen auch dazu, dass die Einreichungen für den Prix Ars Electronica, der alljährlich zum Festival vergeben wird, kontinuierlich steigen. Für den heurigen Preis gab es 3600 Einreichungen aus 74 Ländern, führte Stocker aus.

Mittlerweile wurde für den Export eine eigene Abteilung innerhalb der Linzer Medienkunstplattform geschaffen. Die zahlreichen Gastspiele würden auch zeigen, dass die Herangehensweise der Ars Electronica, mit künstlerischen Methoden Recherchen in Technologie und Wissenschaft durchzuführen, auf großes internationales Interesse stoßen, so Stocker.

Flughäfen und Einkaufszentren
Konzipiert werden die Austellungen jeweils für die spezifischen Bedingungen vor Ort. Derzeit sind Exponate des Linzer Medienkunstfestivals etwa auch am Wiener Flughafen zu sehen. Als nächste Stationen stehen Brasilien, Moskau und das japanische Osaka auf dem Programm, wo ein Einkaufszentrum mit Medienkunst bespielt werden soll. Mit ihrem Gastspiel in Berlin hat die Ars Electronica bereit im vergangenen Jahr gute Erfahrungen gemacht. Die ebenfalls im Automobilforum präsentierte Schau "Poesie der Bewegung" lockte in knapp zwei Monaten mehr als 80.000 Besucher an.

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Patrick Dax

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Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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