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Interview

Shanzhai: "Was erfolgreich ist, wird kopiert"

Der Begriff Shanzhai bedeutet im Chinesischen Bergdorf oder Bergfestung, wo sich Rebellen verschanzten, die gegen eine korruptes Regime kämpften. In den vergangenen Jahren wurde er aber auch zum Synonym für gefälschte Produkte und Plagiate. Das könne auch an seiner klanglichen Ähnlichkeit mit der südchinesischen Metropole Shenzhen liegen, in der viele Produktfälschungen hergestellt werden, sagt die Designforscherin Heng Zhi.

Beim Festival Vienna Open, das vergangene Woche in Wien stattfand, erläuterte die Assistenzprofessorin des Studiengangs Design, Handwerk und materielle Kultur an der New Design University in St.Pölten das Verhältnis zwischen Imitation und Innovation am Beispiel des Shanzhai-Phänomens. Die futurezone hat sie zu den Kopien aus China befragt.

futurezone: Inwiefern unterschiedet sich das Verständnis von Kopie und Original in China von der westlichen Vorstellung von diesen Begriffen?
Heng Zhi: Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass in China zwischen Original und Kopie nicht unbedingt eine Grenze gezogen wird. Die taoistischen und buddhistischen Gedanken der Vergänglichkeit und des Wandels sind noch immer sehr stark vorhanden. Es gibt keine fixe Definition für Kopie oder Original. Es ist ein Prozess, alles steht im ununterbrochenen Wandel.

In welchen Bereichen kommt Shanzhai zur Anwendung?
Angefangen hat es mit elektronischen Geräten, den Shanzhai-Handys. Der Hersteller Media Tek brachte einen Chip auf den Markt, auf dem verschiedene Funktionen integriert waren und der es kleinen Werkstätten ermöglichte, ihre eigenen Handys auf den Markt zu bringen. Die wurden häufig auch unter dem Namen westlicher Hersteller verkauft, etwa Nokia. Manchmal wurde auch nur ein Buchstabe geändert. Aus Blackberry wurde "Blockberry". Mittlerweile zieht sich Shanzhai durch alle Lebensbereiche.

Zum Beispiel?
Das reicht von der Abwandlung von Markennamen, etwa "Startbues" für Starbucks, über das Kopieren von Ikea durch den chinesischen Möbelmarkt 11 furnitures. Es gibt auch Shanzhai-Literatur oder Nobelpreise, oder Shanzai-CCTV-Galas, Imitationen von Fernsehshows.

Viele Produkte werden nicht einfach nur kopiert, sondern auch erweitert. In welchem Verhältnis stehen Kopie und Innovation?
Es sind neue Funktionen dazu gekommen, die die großen Hersteller nicht angeboten haben, etwa Dual-SIM, also zwei SIM-Slots. Das hat den Grund, dass es unter chinesischen Mobilfunkanbietern große Unterschiede in der Qualität gibt. Die einen haben bessere Datendienste, die anderen sind in der Sprachtelefonie besser. Die Shanzhai-Geräte haben das berücksichtigt und die tatsächlichen Bedürfnisse der Kunden angesprochen. Sie absorbieren das, was gebraucht wird und bringen es dann schnell auf den Markt. So wurden etwa auch Smartphones mit Netzwerkanschlüssen erweitert. Der Grund dafür ist, dass es in vielen chinesischen Hotels kein WLAN gibt.

Hersteller von Originalen können auch von ihnen lernen?
Ja, denn sie wissen über die Ansprüche von Konsumenten Bescheid.

Wie werden die Geräte produziert. Passiert das in kleinen Werkstätten oder großen Fabriken?
Der Unterschied zwischen Shanzhai-Produzenten und offiziellen Produzenten ist eigentlich nur eine Lizenz der Regierung. Viele Shanzhai-Hersteller haben sich inzwischen legalisiert. Sie haben als kleine Werkstatt angefangen und dann eine Lizenz beantragt.

Wie lange dauert es in der Regel, bis Produkte kopiert werden?
Es kommt darauf an, ob die Geräte erfolgreich sind. Wenn sie erfolgreich sind, werden sie kopiert. Ein österreichischer Hersteller von Scharniersystemen hat einmal gesagt, sobald sie ihre Produkte auf Messen präsentieren, würden innerhalb eines Monats die ersten Kopien auftauchen.

In welchem Verhältnis stehen chinesische Smartphonehersteller wie Xiaomi zu Shanzhai?
Xiaomi hat eine offizielle Lizenz. Aber genau so wie die Shanzhai-Produzenten sprechen sie die Bedürfnisse der Kunden an. Die Geräte sind billig, aber trotzdem gut. Das ist auch der Grund, warum Shanzhai-Handys gekauft werden.

Wie hoch ist der Preisunterschied zwischen den Kopien und den Originalen?
Shanzhai-Geräte kann man für ein Drittel bekommen. Aber es gibt auch Abstufungen. Es gibt Imitationen guter, mittlerer oder schlechter Qualität. Man kann sich für verschiedene Abstufungen entscheiden.

Aus westlicher Sicht ist es schwer vorstellbar, dass nicht gegen die Kopien vorgegangen wird. Welche Rolle spielen Urheber- und Markenrechte in China?
Geistige Eigentumsrechte sind sehr spät nach China gekommen. Entsprechende Gesetze wurden erst mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 eingeführt. Interessant ist, dass auch diese Gesetze eine Art von Kopie waren. Man hat sich Urheber- und Markenrechtsgesetze aus Industrieländern, wie den USA und Deutschland, angesehen und dann eine Mischung daraus gemacht. Die Gesetze werden aber auch weiterentwickelt. Auch hier gilt das Prinzip der Transformation. Das schließt aber nicht aus, dass es weiterhin Kopien gibt. Viele Politiker sagen, dass wir das Recht haben, zu lernen.

Wie sieht es mit der Rechtsdurchsetzung aus?
Es gibt immer mehr Klagen, nicht nur zwischen westlichen und chinesischen Firmen, sondern auch zwischen chinesischen Unternehmen. Auch die Anzahl der in China eingereichten Patente ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Das Bewusstsein für Urheberrechte steigt auch innerhalb Chinas.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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