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Verkehrstechnik

Smartphone-App für sicherere Bahnübergänge

Alljährlich gibt es durchschnittlich 100 Unfälle auf Österreichs Bahnübergängen. Einige davon enden tödlich. Vor allem nicht technisch gesicherte Bahnübergänge stellen ein Risiko dar. Trotz akustischer Signale und ausreichender Sicht gilt: Wer dem Bahnübergang zu wenig Aufmerksamkeit schenkt, kann schnell in eine lebensgefährliche Situation kommen. Um Unfälle zu vermeiden und die Aufmerksamkeit für Bahnübergänge zu steigern, wird derzeit ein System entwickelt, das sich die steigende Verbreitung von Smartphones zunutze macht. "NavTrain" ist eine App des Verkehrstechnik-Unternehmens Thales, das ÖBB-Daten nutzt, um Straßenverkehrs-Teilnehmer vor gefährlichen Gleisüberquerungen zu warnen.

Ein Zug kann nicht ausweichen

Wie tödlich ein unbedachtes Manöver auf Bahnübergängen sein kann, sieht man etwa an einer Reihe von YouTube-Videos, die Zusammenstöße zwischen Zügen und Fahrzeugen zeigen. Auch Günter Dinhobl hat solche Videos schon gesehen. Für die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der ÖBB Infrastruktur arbeitet er an der Verbesserung von Eisenbahnkreuzungen. Im futurezone-Interview erinnert er sich an ein altes Video der britischen TV-Show "Top Gear", bei der das damals "sicherste Auto der Welt", ein Renault Espace, von einer Lokomotive zerstört wird: "Wenn man sich das anschaut: Das Auto ist wie Staniolpapier."

Seit vielen Jahren predigen die ÖBB und andere Bahnbetreiber dieselbe Botschaft: Ein Zug kann nicht ausweichen. Die wichtigste Aufgabe der Bahnbetreiber besteht in der Aufmerksamkeitssteigerung bei Straßenverkehrsteilnehmern. 90 Prozent aller Unfälle auf Bahnübergängen entstehen durch menschliche Unachtsamkeit, Übermut oder Ungeduld. Sicherungseinrichtungen wie rote Signalleuchten werden oft ignoriert, Pfeifsignale überhört, auf eine visuelle Überprüfung, ob sich ein Zug nähert, wird oft vergessen. Hier soll NavTrain als zusätzlicher Warnmechanismus ansetzen.

Optische und akustische Warnung

Am Smartphone oder Navigationsgerät erhält der Nutzer zunächst eine Basiswarnung. Mittels optischen und akustischen Signalen wird er darauf hingewiesen, dass er sich einem Bahnübergang - bzw. einer "Eisenbahnkreuzung", wie es juristisch korrekt heißt - nähert. In einer möglichen zweiten Ausbaustufe erhält erhält der Nutzer neben der Basiswarnung auch eine Gefahrenwarnung, bei der die Position des Bahnübergangs mit den aktuellen Zugbewegungen abgeglichen wird. Der Nutzer erhält daraufhin eine Statusmeldung über den Bahnübergang, dem er sich nähert. "Offen", "geschlossen", "gestört" oder "unbekannt" sind die Warn-Optionen hierbei. Bei "geschlossen" nähert sich ein Zug, dann sollte man den Bahnübergang klarerweise nicht queren.

Der Prototyp von NavTrain wurde als Android-App verwirklicht. Bei der Datenübertragung gab man 3G-Datenübertragung den Vorzug vor dem Traffic Message Channel (TMC), dem üblichen Kanal für aktuelle Verkehrsinfos auf Navigationsgeräten. Mit NavTrain müssen je nach Zugverkehrsaufkommen 250 bis 500 Meldungen pro Minute verschickt werden. Dies hätte den TMC überlastet. Der für den Zugverkehr adaptierte Mobilfunkstandard GSM-R erfüllt die notwendigen Kapazitäten.

Erfolgreicher Test in Niederösterreich

Nach erfolgreichen Tests des Prototypen starteten die ÖBB und Thales eine Pilotstudie zu NavTrain. Das System wurde in eine reale Umgebung versetzt. Sechs Bahnübergänge im Bereich von Bad Fischau, Niederösterreich, wurden als Testgebiet ausgewählt. Die Testphase begann im November 2010. Dazu wurden 16 Smartphones mit der NavTrain-App bestückt und in Umlauf gebracht. Bis zum Februar 2011 wurde die Pilotstudie durchgeführt.

Im Praxisbetrieb hat sich die App laut Hersteller Thales als zuverlässig erwiesen. Mit der bestehenden GSM-R-Infrastruktur wurden Daten zu 98 Prozent übertragen. Die Verzögerung zwischen Zugsicherungssystem und App betrug durchschnittlich 2,5 Sekunden - ein ausreichender Wert. Die Betreiber stellten fest, dass sich die Aufmerksamkeit für Bahnübergänge während der Benutzung der NavTrain-App deutlich erhöht hatte.

Thales untersucht derzeit einen breiten Rollout von NavTrain. Mit einigen Regionalbahnbetreibern steht man in intensiven Gesprächen. Aus budgetären Gründen müssen gerade kleinere Bahnbetreiber mit niveaugleichen Bahnübergängen leben. Sie können nur selten kostspielige, nicht schienengleiche Übergänge wie Brücken oder Unterführungen errichten, solange dies keine verpflichtende Auflage der Obersten Eisenbahnbehörde im Verkehrsministerium darstellt.

Zusatzfunktion, kein Sicherungsersatz

Während die ÖBB die Basiswarnung durch NavTrain als sinnvoll erachtet, wird die zweite Ausbaustufe derzeit nicht verfolgt. Zu viele Fragen rechtlicher, technischer und verkehrspsychologischer Natur sind für den Bahnbetreiber ungeklärt.

ÖBB-Experte Günter Dinhobl sieht etwa bei parallel zu Bahnstrecken verlaufenden Straßen ein Problem auf NavTrain zukommen. Hier würde ein Autofahrer ständig in die Nähe von Bahnübergängen gelangen und ebenso oft vor diesen gewarnt werden, auch wenn er gar nicht beabsichtigt, diese zu benutzen. "So etwas kann nach hinten losgehen", befürchtet Dinhobl. Autofahrer könnten in diesem Fall gegenüber Warnhinweisen abstumpfen und der App erst recht keine Aufmerksamkeit schenken, wenn es zu einer Überquerung kommt.

Außerdem kommt folgendes Faktum ins Spiel: "Die meisten Unfälle auf Eisenbahnkreuzungen stammen von Einwohnern im näheren Umkreis von 10 bis 20 Kilometern um eine Kreuzung." Gerade in der Lokalbevölkerung ist die Benutzung einer Navigationshilfe im Auto weniger wahrscheinlich. Bei den ÖBB wird NavTrain derzeit als willkommene Zusatzfunktion gesehen, aber keinesfalls als Sicherungsersatz. Auch in ferner Zukunft könne man nicht darauf vertrauen, dass jeder Straßenverkehrsteilnehmer mit einem Smartphone oder Navi ausgestattet sei.

"Wir sind auf alle Fälle dafür, Informationen weiterzugeben, wenn man hieb- und stichfest geklärt hat, dass damit kein Fehlverhalten provoziert wird", so Dinhobl. In erster Linie sollten Autofahrer nämlich dem roten Licht vor sich Aufmerksamkeit schenken, keinem Display am Armaturenbrett.

Ihre technischen Innovationen wird die ÖBB im Herbst auf dem ITS Weltkongress in Wien präsentieren. Von 22. bis 26. Oktober zeigen hier heimische und internationale Unternehmen neueste Entwicklungen in der Verkehrstechnik und Telematik. Ein breites Demonstrations-Programm und eine

neuartige Messe-App
sollen neben dem Fachpublikum auch die allgemeine Öffentlichkeit anlocken.

GSM-R ist eine Mobilfunk-Technologie, die im Zugverkehr großteils den Analog-Funkverkehr abgelöst hat. Der Mobilfunkstandard nutzt die Frequenzbänder 876 bis 880 MHz (Uplink) und 921 bis 925 MHz (Downlink). GSM-R ist außerdem Kernstück des "European Train Control Systen" (ETCS), einem Zugsicherungs-System, das verschiedene europäische Lösungen vereinheitlichen soll. Der weltweit führende Ausstatter für GSM-R-Technik ist das Wiener Unternehmen Kapsch.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Mobilität, Klimawandel, Energie, Raumfahrt und Astronomie. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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