Tim Berners-Lee hebt Missstände im Web hervor: "Wenn Dinge größer werden, werden sie komplizierter"
Tim Berners-Lee hebt Missstände im Web hervor: "Wenn Dinge größer werden, werden sie komplizierter"
© REUTERS/STEFAN WERMUTH

Digital Life

So will der Erfinder des World Wide Webs das Internet retten

Der britische Informatiker Tim Berners-Lee hat 1989 die Grundidee für das World Wide Web entworfen. Mit der Entwicklung, die seine Kreation seit damals genommen hat, ist er alles andere als zufrieden. Datenmissbrauch, zunehmende Überwachung und die zentralisierte Machtübernahme durch wenige Konzerne machen Berners-Lee zu schaffen. Nach den Enthüllungen über Wahlmanipulation bei den vergangenen US-Präsidentenwahlen sagte er gegenüber Vanity Fair, er sei am Boden zerstört.

"Wir haben gesehen, dass das Netz die Menschheit im Stich gelassen hat, statt ihr zu dienen, wie es eigentlich vorgesehen war. Ohne bewusstes Zutun der Menschen, die die Grundlagen geschaffen haben, ist ein weltumspannendes Phänomen entstanden, das menschenfeindlich ist", sagt Berners-Lee. Das läuft der ursprünglichen Vision, die er für die Vernetzung der Menschheit hatte, zuwider. Berners-Lee, der seine Erfindung für alle kostenlos zugänglich machte, wollte eigentlich ein dezentrales System, das jedem Nutzer Teilhabe ermöglicht.

Solide Lösung

"Das Netz, das viele vor Jahren verwendet haben, ist nicht vergleichbar mit dem, was neue Nutzer heute vorfinden. Was einst ein reichhaltiges Angebot an Blogs und Webseiten war, ist unter dem Gewicht von ein paar mächtigen Plattformen komprimiert worden. Diese Machtkonzentration schafft eine neue Gruppe von Gatekeepern, erlaubt einer Handvoll Plattformen zu kontrollieren und welche Ideen und Meinungen gesehen und geteilt werden", schreibt Berners in einem offenen Brief, der unter anderem im Guardian publiziert wurde. Das Netz ist heute von zentralisierten Machtstrukturen geprägt, in deren Zentren eine Reihe von Konzernen um Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft sitzen.

Das muss nicht so sein, findet Berners-Lee und arbeitet bereits an einer Lösung für das Problem. Seit gut zwei Jahren leitet er die Entwicklung von "Solid" (Social Linked Data), einer neuen Plattform, die Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zurückgeben soll. Mit einem kleinen Team entwickelt Berners-Lee am Massachusetts Institute of Technology eine Infrastruktur, die es Nutzern erlaubt, ihre persönlichen Daten und Werke in Containern, sogenannten "Pods" zu verpacken, die eine strikte Zugriffskontrolle erlauben. Das Projekt ist offen und jeder kann mitarbeiten, wenn er möchte. Fertig ist Solid noch nicht. Nutzer können sich zwar bereits anmelden, aber der Funktionsumfang ist noch beschränkt.

Kontrolle über Daten zurückerobern

Wo die Solid-Container gespeichert werden ist irrelevant. Ein Nutzer kann immer entscheiden, wer auf welche Daten zugreifen darf und die Berechtigungen auch wieder entziehen, etwa wenn er von einem Anbieter zu einem anderen wechselt. "Wir fliegen noch unter dem Radar, aber die Arbeit bringt etwas von dem Optimismus und der Freude zurück, die wir durch 'fake news' verloren haben", sagt Berners-Lee. Mit seiner Vision einer Re-Dezentralisierung ist Berners-Lee nicht allein. Auf der ganzen Welt entstehen Projekte, die einen ähnlichen Weg verfolgen, etwa Mastodon in Deutschland oder Peertube in Frankreich.

Zudem sind die großen Konzerne, die das Netz heute beherrschen, nicht immun gegen Kritik. Jeder Bericht über Datenskandale, Steuervermeidung, die ungerechte Behandlung von Mitarbeitern oder andere Fehltritte, kratzt am Image der Firmen und stärkt die Positionen jener, die eine stärkere Regulierung der Online-Giganten fordern. Allerdings sind die Taschen der Plattformbetreiber tief und ihre Lobbyisten in Washington und Brüssel fleißig.

In seinem offenen Brief schreibt Berners -Lee: "Obwohl die Probleme, mit denen das Netz konfrontiert ist, groß und komplex sind, denke ich, dass wir sie als Bugs begreifen sollten: Fehler in existierendem Code und Softwaresystemen, die von Menschen gemacht wurden - und von Menschen behoben werden können."

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