Dreams im Test: Unendlich kreativ und überfordernd
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Die wichtigste Frage zuerst: Was ist Dreams eigentlich? Ist es ein Spiel: Jein. Ist es eine Game-Engine? Auf jeden Fall. Kann ich damit Welten erschaffen? Auch. Und Musikstücke komponieren? Sicher. Dreams ist in erster Linie ein spielerischer Baukasten, um - auch gemeinsam - Ideen umsetzen zu können. Das ist gleichzeitig großartig und frustrierend.
Wo fängt man denn an, wenn man alles machen kann? Glücklicherweise nehmen die Entwickler Media Molecule mich beim Einstieg an die Hand. Wie man es schon von ihren früheren Spielen Little Big Planet und Tearaway gewohnt ist, schaffen sie es mit Märchenonkel-Erzählstimme und süßen Figuren, sofort Begeisterung zu versprühen.
Blockaden brechen
Im ersten Schritt wählt man sich seinen Wichtel aus. Ein kleiner, flauschiger Tropfen, der fröhlich schaut und ab sofort mein verlängerter Arm in Dreams sein wird. Im Intro lernt man, wie man mit dem Wichtel greift, indem eine Ziegelwand, die mich als symbolische Blockade von meiner Kreativität trennt, greift und aufreißt. Die Blockade ist gebrochen und ich kann loslegen.
Dreams gliedert sich in zwei Sektionen: Traumsurfen und Traumformen. Ersteres bietet Zugang zu zahlreichen Projekten, die andere Dreams-Nutzer geschaffen haben. Da es sich seit 2018 im Early Access befand und erst seit 14. Februar offiziell erschienen ist, hat sich hier schon einiges angesammelt. Dort findet man unglaublich detailreiche und aufwendige Spiele, Kurzfilme und Präsentationen. Der Nutzer Jimmyjules153 hat mit "Blade Gunner" eine Kopie des PS4-Launch-Titels "Resogun" entwickelt.
Der Media-Molecule-Entwickler THE_ARCH1TECT hat die fotorealistische Szene eines "Full English Breakfast" geschaffen, das inzwischen Kultstatus unter Dreams-Nutzern erreicht hat. In "Art Therapie" von KeldBjones rennt man als abgewiesener Künstler mit einem Baseballschläger durch eine Kunstgalerie und haut alles kurz und klein, wenn die Aufpasser gerade nicht hingucken. Zudem finden sich zahlreiche Klone von Klassikern wie Mario Kart oder Crash Bandicoot, aber auch der spielbaren Horror-Demo P.T. und Fallout 4. Es gibt keine Grenzen.
Das zugehörige soziale Netzwerk "Traumiversum" funktioniert wie eine Art YouTube für Kreationen: Top-Listen, Features und Filter bringen die beliebtesten und gut bewerteten Projekte zum Vorschein. Man kann sie spielen und einen Daumen nach oben geben, wenn man sie mag. Zudem kann man einzelnen Nutzern folgen und sie als Freunde hinzufügen, um mehr Projekte von ihnen zu sehen. Damit kann man Stunden verbringen. Die Spiele können allein oder im lokalen Multiplayer gespielt werden. Ein Online-Multiplayer ist laut Media Molecule in Planung, ebenso wie eine VR-Umsetzung, bestätigte Chef-Entwickler Mark Healey unlängst gegenüber Videogameschronicle.
Macht-Demonstration
Die Entwickler selbst haben mit den Mitteln von Dreams ein eigenes zweistündiges Spiel erstellt. "Art's Dream" ist nicht nur eine gelungene Metapher auf die Zweifel eines Künstlers an seinen eigenen Fähigkeiten, sondern demonstriert eindrucksvoll das gesamte Potenzial der Plattform. Es ist Point & Click, Jump & Run, Shoot 'em Up, Rennspiel und Rätsel-Adventure in einem - inklusive vier in Dreams komponierte Songs. Die Figuren und Szenerien sehen beeindruckend aus. Einziges Manko: Die Kamera und mitunter katastrophale Steuerung lässt mich an eigentlich sehr einfachen Herausforderungen einige Male zu häufig versagen. Ein Umstand, der sich durch die gesamte Dreams-Erfahrung ziehen wird.
Motivation, Verzweiflung, Wut
Motiviert von den Projekten anderer Spieler, wuchs mein Verlangen danach schnell, selbst etwas zu erschaffen. Doch bevor ich in Dreams auch nur den ersten Baustein setzen kann, muss ich mich durch zahlreiche Tutorials, Übungen und Meisterklassen arbeiten. Und ich verwende das Wort "arbeiten" hier nicht leichtfertig. Auch wenn die Tutorials mit viel Liebe gestaltet sind und grundsätzlich Spaß machen, trübt die Steuerung die Freude doch ein wenig. Mit dem Standard Wireless Controller der PS4 kann sowohl Bewegungs- als auch Twin-Stick-Steuerung aktiviert werden. Bewegt man sich durch den Raum, ist das gar nicht schlecht. Beginnt man komplexere Figuren zu modellieren, wird es schnell ungenau, wenn man - wie ich - kein Profi ist.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Ich möchte mit dem Malwerkzeug eine Blume gestalten. Ich setze die flachen Pinselstriche in den dreidimensionalen Raum, finde aber die richtige Perspektive nicht. Mal sind die Striche zu weit vorne, mal zu weit hinten. Ich versuche heranzuzoomen, aber der Controller kalibriert sich nicht richtig und die Blume ist plötzlich irgendwo ganz klein in der Ferne zu sehen. Ich zoome wieder hinein, kann aber die Striche nicht mehr an die richtige Stelle setzen, um die Blume weiterzugestalten. Ich drehe und kippe und lenke den Wichtel, aber das Einfachste ist dann, die Blume immer wieder zu löschen und neu zu erstellen. Auch beim Modellieren einer dreidimensionalen Brücke habe ich solche Probleme. Das fühlt sich so an, als würde man eine halbe Stunde lang daran scheitern, einen Faden in ein Nadelöhr einzuführen. Eigentlich sind alle Werkzeuge da und man weiß auch, was man tun muss - aber es geht einfach nicht.
Profis können sich austoben
Für mich hat sich das Problem gelöst, indem ich mit Move Controllern gearbeitet habe. Zwar musste ich alle Tutorials noch einmal machen, doch für das Gefühl, dass der Knoten jetzt geplatzt ist, hat sich das gelohnt. Ich empfinde die Übersetzung meiner Bewegungen als viel genauer und in kürzester Zeit konnte ich zumindest eine kleine schneebedeckte Berglandschaft mit See und Wasserfall schaffen - sie ist nicht großartig, aber ich bin zufrieden. Schnell gerät man in einen fast meditativen Zustand und verbringt Stunden mit dem Gestalten von Büschen oder Wasserfällen.
Praktisch ist: Ich muss nicht alles selbst bauen, sondern kann mir auch Objekte wie Bäume, Bänke oder Häuschen von anderen Nutzern borgen, die sie im Netzwerk zur Verfügung gestellt haben. Wenn ich mutig bin, kann ich meine gesamte Landschaft auch hochladen und zum "remixen" anbieten. Dann kann sich jeder meine Kreation schnappen und sie zur Basis für eigene Ideen machen.
Nun sind Spiele und Filme deutlich komplexer als statische Objekte und Szenerien. Sie erfordern Animationen, Leveldesign, Musik und Sounds sowie Logik und Mechanik. Die vielen Spiele, die man beim Traumsurfen entdeckt, sind selten von nur einer Person gemacht. Man kann seine Freunde einladen, gemeinsam an Projekten zu bauen. So kann man sich die Arbeit teilen: einer modelliert, einer animiert, einer macht die Musik.
Fazit
Um das leisten zu können, was die beliebtesten Mitglieder aus Dreams erstellt haben, reicht ein bisschen im Tutorial herumwerkeln nicht, da brauche ich mir keine Illusionen machen. Mir wird hauptsächlich meine eigene Unfähigkeit bewusst und mein Mangel an Ausdauer, das Gelernte zu perfektionieren. Wer sich mit keinem der Tools anfreunden kann (unter anderem Modellieren, Malen, Animieren, Puppenspiel, Komponieren), für den wird das Traumformen sehr schnell zum Krampf. Und so großartig die Kreationen anderer sind: Es lohnt sich einfach nicht, Dreams zu kaufen, wenn man den umfangreichsten Teil, das Traumformen, gar nicht nutzen will.
Wie Media Molecule es geschafft hat, auf der Playstation 4 so ein mächtiges Toolset zu entwickeln, ist mir ein Rätsel. Dass das Traumiversum noch nicht voller Penisse ist ebenfalls - es spricht aber für die Zielgruppe der Kreativen, die Zeit und Arbeit in ihre Projekte steckt. Übrigens: Außer gesetzeswidrigen Darstellungen wird erst einmal nichts entfernt, auch wenn es ein Copyright verletzt. Wo kein Kläger, da kein Richter, denn die Inhalte sind nur für Dreams-Besitzer spielbar.
Dreams wird auch für die Playstation 5 verfügbar sein. Sobald die VR-Unterstützung kommt, wird noch mal ein riesiger Mehrwert für Spiel und Hardware hinzukommen. Das Traumformen in der virtuellen Realität könnte genial werden, wenn die Umsetzung gelingt.
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