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Tomodachi Life angespielt: Daily Soap für die Hosentasche

Mit 150 Millionen verkauften Spielen ist die Lebenssimulation “Die Sims” die erfolgreichste Spiele-Serie aller Zeiten. Umso verwunderlicher ist es, dass nach 14 Jahren, drei Sims-Spielen und unzähligen Erweiterungs-Packs niemand den Platzhirsch EA fordern konnte. Nun versucht sich ausgerechnet der japanische Videospiel-Riese Nintendo daran. Mit der Tomodachi-Reihe für den DS und 3DS konnte der Konzern in seiner Heimat bereits einige Erfolge feiern, mehr als 5,5 Millionen Stück wurden dort bislang verkauft.

Der neueste Ableger, Tomodachi Life, findet ein Jahr nach dem Japan-Start nun auch den Weg nach Europa. Mit schrägen Mini-Spielen, Liebes-Drama und Miis will Nintendo mit einer persönlichen Daily Soap für Unterwegs punkten. Die futurezone hat sich in das wilde Getümmel geworfen und ein neues Leben in Tomodachi Life angefangen.

Tomodachi Life spielt auf einer Insel, für die der Spieler selbst einen Namen vergeben darf. Diese ist aber zu Spielbeginn noch leer. Um sie zu bevölkern, muss der Spieler nach und nach selbst Miis mit einem leicht erweiterten Mii-Maker erstellen oder kann bereits erstellte Miis importieren. Neben der Optik kann auch die Stimme des eigenen Miis definiert werden. Es stehen sechs vorkonfigurierte Varianten, unterschieden nach Alter und Geschlecht, zur Auswahl. Der Spieler kann die Stimme aber auch individuell einstellen. Lediglich die Dialekt-Einstellung scheint aber auf Deutsch keine wirkliche Auswirkungen zu haben. In Englisch kann beispielsweise zwischen britischer und amerikanischer Aussprache gewählt werden.

Jeder Mii verfügt auch über seine eigene “Persönlichkeit”. Die ist allerdings recht simpel strukturiert, der Spieler kann fünf verschiedene Eigenschaften anhand einer Skala konfigurieren, beispielsweise ob man eher langsam oder schnell handelt. Anhand dieser Werte ordnet Tomodachi den Spieler in eine von 16 Kategorien ein, die bestimmen, wie gut die Charaktere untereinander auskommen.

Bis zu 24 Miis finden im einzigen Apartment-Haus auf der Insel Platz. Direkt daneben gibt es zwar eine Siedlung mit Häusern, in die verheiratete Paare ziehen, ihre Single-Wohnungen behalten sie aber amüsanterweise auch nach der Hochzeit. Unterhaltsam wird das Spiel erst, wenn zumindest acht Miis auf der Insel wohnen. Erst dann hat der Spieler ausreichend Beschäftigung und es kommt Leben in die Insel.

Die Miis, auch der des Spielers, haben nämlich ihren eigenen Kopf und handeln, wie es ihnen beliebt. Statt ihnen zu sagen, was sie tun sollen, kann der Spieler ihnen nur Essen, Kleidung und Gegenstände schenken oder mit ihnen spielen. Das steigert ihre Freude, die in Levels eingestuft wird. Für jedes neue Level gibt es ein “Geschenk”, das der Spieler für den jeweiligen Mii aussuchen darf. Dabei handelt es sich wahlweise um ein Lied, Objekt, Einrichtung oder eine neue Phrase. Mit den Objekten, beispielsweise einem Laufband oder Baseballschläger, vertreiben sich die Miis ihre Zeit. Die Miis können auch neue Gesten und Phrasen lernen, mit denen sie bestimmte Emotionen ausdrücken sollen, beispielsweise wenn sie traurig sind.

Wer seine Miis einmal singen hören möchte, kann ihnen auch das als Belohnung beibringen. Dabei stehen zahlreiche Genres zur Auswahl, von Pop über Techno bis Metal. Gerade Letzteres ist herrlich absurd, wenn plötzlich alle Miis im Gleichtakt headbangen. Für jedes Genre wurde bereits ein Text vorgefertigt, der Spieler kann aber auch seinen eigenen Text verfassen. Der Gesang klingt dank Computer-Stimme und viel Hall ein wenig nach Autotune und T-Pain, ist aber unterhaltsam. Der Spieler kann auch eine “Band” mit anderen Miis gründen. All diese Gegenstände und Fähigkeiten kann der Spieler lediglich über Level-Aufstiege sammeln, in den Shops gibt es lediglich Essen, Kleidung und Wohnungseinrichtungen zu kaufen.

Komische Beziehungen

Auch wenn sich die Miis untereinander vom “Sehen” kennen, befreundet ist nicht jeder mit jedem. Nach einer Weile äußern sie den Wunsch, mit einem bestimmten Mii befreundet zu sein und der Spieler muss ihnen Tipps geben, wie man am Besten mit ihnen ins Gespräch kommen kann. Dabei fragt das Spiel indirekt ab, wie gut man die Persönlichkeit seiner eigenen Miis kennt. Auffällig dabei ist, dass es keine “Feinde” oder “unsympathische Personen” gibt, sie können aber kurzfristig wütend aufeinander sein. Wenn zwei Miis befreundet sind, wird deren Beziehung nach “Lustigkeit” bewertet. Diese recht reduzierte Darstellung der Realität erleichtert das Spiel, ist aber auf die Dauer auch etwas langweilig.

Passt die Chemie, können Miis sich auch verlieben. Meist geht das von einer Person aus, die dann den Spieler um Rat bittet. Der Spieler kann vorgeben, wie und wo man dem anderen Mii seine Gefühle gestehen will. Das kann recht kurios vonstatten gehen. Mal drückt der Mii seine Gefühle in einem Lied aus, ein anderes Mal sollen Geschenke einen Anreiz bieten. Hin und wieder ist ein Mii besonders begehrt und wird gleich von zwei oder drei anderen Miis umgarnt. Dann muss dieser sich für einen Partner entscheiden.
Wurde ein Mii von seinem Schwarm verschmäht oder rät man ihm, es doch besser bleiben zu lassen, verfällt er zunächst in eine leichte Depression. Die vergeht meist über Nacht, doch durch Spielen, Essen oder neuen Gegenstände lässt sich der blaue Balken schnell leeren und es kehrt wieder Normalität ein. Ein verliebter Mii, dem man geraten hat, seine Gefühle für sich zu behalten, wird allerdings immer wieder auf ein klärendes Gespräch drängen. Irgendwann muss er sich seinem Schwarm stellen. Es ist auch möglich, dass man sich in einen bereits vergebenen Mii verliebt. Das endet - wie in der Realität - aber nur selten mit Erfolg, im Test wurden sie stets mit einem “Das geht nicht” abgelehnt.

Tomodachi Life kennt kein übergeordnetes Spielziel, das zum Durchspielen erreicht werden muss. Der Spieler “lebt” einfach und beobachtet sich selbst und seine Freunde dabei, wie sie miteinander Zeit verbringen und sich dabei entwickeln. Gerade das könnte für so manchen Erwachsenen aber nach einer Weile langweilig werden, denn mit Ausnahme täglich neuer Gegenstände kehrt rasch Monotonie ein. Füttern, spielen, neu einkleiden: Die Miis sind fast schon wie Tamagotchis, können aber immerhin nicht sterben.

Die Mini-Spiele, für die der Spieler mit Gegenständen belohnt wird, sind recht simpel. Beispielsweise gilt es, Gegenstände oder Miis anhand von Umrissen zu erraten oder Gegenstände aufzufangen. Es gibt allerdings auch recht absurde Mini-Spiele. So muss man hin und wieder einem anderen Mii beim Niesen helfen und dabei dessen Nase mit einer Feder kitzeln. Für Zwischendurch sind die Spiele nett, sie wiederholen sich aber recht rasch.

Relativ selten sind Hochzeits-Anträge, die ebenfalls im Rahmen eines Mini-Spiels abgehalten werden. Dann muss der Spieler immer auf ein großes Herz tippen, wenn der Partner an den anderen Mii “denkt”. Dabei taucht das Konterfei in einer großen Gedanken-Blase auf. Ist der Antrag erfolgreich, geht es gleich zur Hochzeit. Die ist ganz nett in Szene gesetzt, aber sehr traditionell gehalten. Anschließend geht es in ein zufälliges Land auf Hochzeitsreise, bei der der Spieler das frisch vermählte Paar vor bekannten Sehenswürdigkeiten fotografieren muss.

Man muss nicht alles Ernst nehmen

Wer einmal verheiratet ist, hat sich für sein ganzes Tomodachi-Leben gebunden. Eine Trennung oder Scheidung ist nicht möglich. Andere Miis können sich zudem nicht mehr in einen der beiden Ehepartner verlieben. Ehepaare können auch Kinder bekommen und diese aufziehen. Wie bei den Sims wurde aber die jugendfreie Variante gewählt, Sex wird nicht einmal angedeutet.

Ohnedies wird alles sehr “brav” dargestellt. Verliebte Paare besuchen sich hin und wieder in ihren Wohnungen und blicken sich verliebt in die Augen oder spielen miteinander, sie schlafen allerdings in ihren jeweiligen Wohnungen. Auch nach der Hochzeit liegen die verheirateten Paare im Bett nur nebeneinander. Kleine Andeutungen mit Augenzwinkern - beispielsweise ein “Bitte nicht stören”-Schild vor der Haustür - hätten hier nicht geschadet und Nintendo wohl auch keine “Ab 18”-Einstufung oder Ärger mit Eltern eingebrockt.

Wer einmal keine Lust hat, aktiv mit seinen Miis zu spielen, kann sich auch auf der Insel umschauen. Dort gibt es neben den Shops einige Attraktionen, beispielsweise den Vergnügungspark, die Aussichtsplattform, den Strand oder den Wunschbrunnen. Je nach Tageszeit finden dort verschiedene Veranstaltungen statt. Beim Wunschbrunnen gibt es beispielsweise jeden Tag eine Spendensammlung, die der Spieler erhält, oder Rap-Battles mit den Inselbewohnern. Im Vergnügungspark gibt es zudem abends ein simples rundenbasiertes RPG im Retro-Stil, bei dem ebenfalls Gegenstände gewonnen werden können.

Ohnedies ist die Jagd nach Gegenständen eine der unterhaltsamsten Aufgaben. Diese können nämlich nicht gekauft werden, sondern sind Belohnungen für das Interagieren mit Miis. Die Gegenstände schenkt man wiederum den Miis, damit diese im Level aufsteigen. Zudem sind viele davon einfach unterhaltsam. Das FSK-0-Spray macht beispielsweise aus einem erwachsenen Mii ein Kind, mit dem FSK-18-Spray wird das wieder rückgängig gemacht. Gibt man einem Mii eine Wegwerfkamera, knipst dieser zahlreiche Schnappschüsse, die man wohl als “künstlerisch” bezeichnen könnte.

Gegenstände können auch durch Beobachten der Träume von schlafenden Miis gesammelt werden. Das ist recht amüsant, es gibt eine relativ große Auswahl, sodass sich diese kaum wiederholen. Manche Träume sind sogar interaktiv, sodass der Spieler eingreifen kann. Einer der wohl absurdesten Träume ist “All Hail the Virtual Boy!”, bei dem alle Insel-Bewohner um Nintendos erfolgloseste Spielkonsole tanzen. Leider trat dieser im Test nie auf, im Internet wurde daraus aber ein recht erfolgreiches Meme. Wer Buntstifte hat, kann zudem das Gesicht eines Miis im Schlaf bemalen.

Für etwas mehr Spieltiefe sorgen auch die “Mii News”, eine mit den Inselbewohnern besetzte Nachrichtensendung, die über kuriose Themen berichtet. Ein Bericht handelte beispielsweise von der Eröffnung eines neuen Wahrzeichens, das dem amerikanischen Mount Rushmore ähnelt. Dabei wurde die Porträts von vier Miis riesengroß in eine Felswand gemeißelt.

Die Steuerung des Spiels erfolgt vollständig über den Touch-Screen, über die X- und Y-Taste können Screenshots vom unteren und oberen Bildschirm aufgenommen werden. Wer zudem jemanden kennt, der ebenfalls Tomodachi Life spielt, kann über Street Pass Waren automatisch tauschen oder seinen Freund auf der Insel besuchen.

Die Kontroverse

Tomodachi Life schaffte es bereits vor dem offiziellen Start in die Schlagzeilen. Das war allerdings weniger erfreulich für Nintendos Lebenssimulation, denn der japanische Konzern wurde heftig dafür kritisiert, dass keine gleichgeschlechtlichen Beziehungen im Spiel möglich sind. Die Kampagne Miiquality, die von einem 23-jährigen US-Amerikaner gestartet wurde, fand schnell Zuspruch und brachte Nintendo in Verlegenheit.

Vor allem auf Twitter wehte Nintendo plötzlich ein rauher Wind entgegnen, viele Nutzer sahen das Fehlen von gleichgeschlechtlichen Beziehungen als ein Zeichen dafür, dass der Konzern konservative Werte vertrete. In Japan dürfen derzeit nur heterosexuelle Paare heiraten.

Nintendo dementierte das umgehend und betonte, dass es sich lediglich um “eine verspielte, alternative Welt“ handle und kein Werturteil dahinter stecke. Das besänftigte die Kritiker jedoch nicht. Daraufhin entschuldigte sich Nintendo und gelobte Besserung. Sollte es einen neuen Ableger der Tomodachi-Reihe geben, werde man versuchen, einen besseren Ansatz zu finden.

Ein Update für Tomodachi Life wird es jedoch nicht geben, da laut Nintendo das Spiel dafür von Grund auf neu konzipiert werden müsste. Ein Fehler in der japanischen Version von Tomodachi Life erlaubte aber bereits gleichgeschlechtlichen Paaren, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Das sorgte aber offenbar unter anderem für Probleme mit dem Speichern, sodass Nintendo einen Patch veröffentlichte, der diese Möglichkeit entfernte.

Tomodachi Life ist ein süßes Spiel für Zwischendurch, die Tiefe oder den Umfang von “Die Sims” kann es aber bei weitem nicht bieten. Nintendo verfolgt hier aber auch einen komplett anderen Ansatz. Das Spiel ist ideal, um es jeden Tag, sei es in der Pause oder bei der Fahrt mit den Öffis, für 15 Minuten zu spielen. Viel länger macht es auch keinen Spaß, mit den Bewohnern der Insel zu interagieren. Zu häufig wiederholt sich die simple Spielmechanik, auch wenn der Inhalt sehr stark variiert und immer wieder Neues bietet. Vor allem Kinder und Jugendliche dürften an dem Titel ihre Freude haben. Das Spiel ist ab dem 6. Juni für den Nintendo 3DS erhältlich.

tl;dr: Süße Lebenssimulation mit vielen Mini-Spielen und Herzschmerz für Kinder und Jugendliche, aber auch konservativen Werten

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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