Außerordentliche Behauptungen und außerordentliche Beweise
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Angenommen, ich möchte die Luft im Wienerwald untersuchen. Ich hole mir eine Probe, analysiere sie im Labor und bin erstaunt: Hauptsächlich Schwefeldioxid, sagt das Messgerät. Das kann doch nicht stimmen! Ich wiederhole den Versuch daher, und diesmal lautet das Ergebnis: 78% Stickstoff, 21% Sauerstoff und ein bisschen Argon. Das erscheint mir realistischer. Ich notiere daher diese Zahlen, das Resultat der ersten Messung werfe ich weg.
Moment! Darf man das? Ist das nicht höchst unwissenschaftlich? Ich kann mir doch nicht einfach das Ergebnis aussuchen, das mir besser gefällt! Muss Wissenschaft nicht immer fair und objektiv bleiben?
Ja, natürlich. Aber gerade deshalb darf man nicht jedes Ergebnis gleichermaßen ernst nehmen. In der Corona-Pandemie und in der Impfdiskussion wird das oft übersehen: Ein einzelnes Ergebnis, eine einzelne Studie oder auch eine einzelne Expertenmeinung ist ziemlich wertlos. Entscheidend ist das Gesamtbild. Wir müssen immer fragen: Wie passen die neuen Daten zu dem, was wir über die Welt bereits wissen?
Carl Sagans goldene Regel
Vom Astronomen Carl Sagan stammt der Satz: „Außerordentliche Behauptungen erfordern außerordentliche Beweise“. Das ist eine wichtige Grundregel. Wir fangen nicht bei null zu forschen an, sondern wir wissen bereits eine Menge über die Welt. Natürlich kann es sein, dass wir uns bisher immer geirrt haben. Aber selbstverständlich kann man bekannte Tatsachen, die auf vielen verschiedenen Beobachtungen beruhen, nicht mit einer einzigen neuen Beobachtung umstoßen. Wenn man eine wissenschaftliche Revolution auslösen will, muss man das Gewicht der Belege für die bisherigen Annahmen mit neuen Belegen für die Gegenannahme aufwiegen.
Das heißt, dass wir uns nicht immer mit demselben Maß an Evidenz zufriedengeben: Ein neues Ergebnis, das gut zum bereits bekannten Wissen passt, wird man relativ schnell glauben. Ein neues Ergebnis, das im Widerspruch zu bekannten Fakten steht, hat es schwerer, weil dann zuerst die bekannten Annahmen widerlegt werden müssen. Das ist aber keine unfaire Benachteiligung unerwünschter Ergebnisse, sondern logisch und notwendig.
Widerspruch ist noch keine Widerlegung
Wie ist das nun also mit der Luft im Wienerwald? Würde sie tatsächlich hauptsächlich aus Schwefeldioxid bestehen, könnte man dort nicht atmen und ein stechender Geruch würde uns in die Nase steigen. Ziemlich viel von dem, was wir über Luft und die Physik der Atmosphäre wissen, müsste falsch sein. Die wahrscheinlichste Erklärung ist also, dass einfach ein grober Fehler passiert ist. Es ist daher vernünftig, die Daten nicht gleich zu glauben, sondern den Versuch zu wiederholen.
Und so ist es auch, wenn jemand herausgefunden haben will, dass es doch keine Corona-Pandemie gibt, oder dass der Impfstoff gefährliche Bestandteile enthält: Auch das kann man nicht isoliert betrachten, sondern im Zusammenhang mit einer gewaltigen Fülle an Wissen, das wir bereits haben. Wir haben Corona-Inzidenz-Daten aus Staaten rund um den Globus, Milliarden Impfungen wurden bereits durchgeführt, voneinander unabhängige nationale Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt haben mögliche Nebenwirkungen analysiert und kamen zu dem Schluss: Die Impfung ist sicher, das Risiko unerwünschter Wirkungen ist viel kleiner als das Risiko viel schlimmerer Folgewirkungen einer COVID-Erkrankung. Wenn jemand andere Ergebnisse präsentiert, muss man sich das ansehen. Aber es wäre völlig irrational, deswegen all unser bisheriges Wissen gleich für widerlegt zu erklären.
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