Verra: "Wir können auch nicht an einem Spiegel vorbeigehen ohne uns die Haare zu richten - wie ein Federkleid." Bei diesem Balzverhalten gehe es aber nicht um die Arterhaltung, sondern darum, dass wir uns reproduzieren und unsere Gene fortpflanzen wollen.
Verra: "Wir können auch nicht an einem Spiegel vorbeigehen ohne uns die Haare zu richten - wie ein Federkleid." Bei diesem Balzverhalten gehe es aber nicht um die Arterhaltung, sondern darum, dass wir uns reproduzieren und unsere Gene fortpflanzen wollen.
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Peter Glaser: Zukunftsreich

Cyberprotz

Früher konnte man noch Status gewinnen, wenns in der Telefonleitung knackte, im Wiederholungsfall angeblich ein Zeichen dafür, dass man abgehört wurde. Wer abgehört wurde, musste wichtig sein. Subversiv, etc. Heute hört die NSA alle und jeden ab, womit der Distinktionsvorteil perdü ist. Und wenn ich durch das offene Fenster höre, was meine Nachbarin so telefoniert, tun mir die armen NSA-Supercomputer leid.
Online lösen sich Versuche, seine Persönlichkeit durch Objekte wie Diamant-enkrustierte Mobiltelefone oder Designermüllsäcke begehrenswerter erscheinen zu lassen, in Nichts auf. Der schöne Schein verwandelt sich in jene neue Form des Scheinbaren, die virtuell heißt. Die alten Statussymbole zählen nicht mehr in der gegenstandslosen digitalen Welt – „Status" heißt heute die aktuelle Äußerung, die man gerade auf Facebook oder Twitter getan hat.

@ngebereien
Wer 1994 eine E-Mail-Adresse auf der Visitenkarte hatte und wusste, wie man @ ausspricht, war jemand. Danach konnte man eine Weile mit einer eigenen Homepage reüssieren. Auch mit exklusiven E-Mail-Adressen ließ sich Status unter Beweis stellen, ein Account bei der kalifornischen Cyber-Community The Well (@well.com), am MIT (@mit.edu) oder im Chaos Computer Club (@ccc.de) etwa rangierte in Augenhöhe mit einer analogen Adresse an der Hamburger Elbchaussee (die hohen Nummern ab 300!), im Frankfurter Westend (Parkallee!), an der Wiener Kärntnerstraße oder dem Joanneumring in Graz (DKT!).

Epidemischer Befall mit Smartphones
Frisch ins WWW entlassene Erstlinge („Newbies") mit einer E-Mail-Adresse bei AOL wurden damals mit netztypisch herzlichen Hohnrufen empfangen. War es in den Achtzigerjahren noch Ausdruck technologischen Vornseins, ein sogenanntes Autotelefon mit sich herumzuschleppen, das etwas kleiner war als eine Kiste Bier, so hat sich die Freude daran mit dem epidemischen Befall der Menschheit mit Mobiltelefonen und Smartphones in Luft aufgelöst. Damals konnte man auch noch mit einem sogenannten Europieper punkten, der einen, auf einer Party aus dem Jackett tönend, augenblicklich als Gehirnchirurgen oder ähnlich bedeutenden Menschen auswies. Scherzbolde verkauften Europieper, in deren Innerem sich statt eines Funkempfängers eine Art Eieruhr zum Aufziehen befand, die nach Ablauf der eingestellten Zeit das äußerste Wichtigkeit signalisierende Piepsgeräusch ertönen ließ.

Statusdinge lösen sich in Luft auf
Mutter aller modernen Gadgets ist der iPod. Innerhalb kürzester Zeit ersetzten die schneeweißen Kopfhörer schneeweiße Sneakers als jugendliches Statussymbol. Sogar Hiphopper nahmen damals ihre goldenen Schneeketten ab, um sich das zierliche Kästchen um den Hals zu hängen. Die Nachfolge-iPods sind inzwischen so klein, dass man sie bald wird einatmen können, womit sich endgültig jeder Renomme verleihende Zeigewert verliert. Zutreffend nennt sich die letzte Generation iPod nano – und auch im Laptop-Genre lassen Namen wie „Air" schon anklingen, was sich abzeichnet: die Statusdinge lösen sich nach und nach in Luft auf.

Status verleiht heute nicht mehr der schlichte Besitz von Dingen, sondern die Art, wie man sie benutzt. In einer Informationsgesellschaft bezieht man Status und Selbstbewußtsein nicht aus der Verkleidung oder der Rechenstärke von Computern, sondern aus der Eleganz, mit der man sich durch den Informationsozean bewegt und der Art, wie man kommuniziert.

Nichtbesitzen als Zeichen der Überlegenheit
Inzwischen beginnt sich ein neuer Lebensstil auszubreiten, der davon ausgeht, dass es nicht mehr um den Besitz von Produkten geht, sondern um die Möglichkeit, Zugriff darauf zu haben. Es sind längst nicht mehr nur Öko-Fundamentalisten und Piraten, sondern ganz normale Wohlstandsbürger, die den Wertewandel vorantreiben. Die Konsumansprüche verändern sich. Conspicuous Minimalism nennt Douglas Copland die Lebensart, bei der das Nichtbesitzen bestimmter materieller Güter als Zeichen moralischer und geistiger Überlegenheit stolz vorgezeigt wird.

Digitaler Zen-Buddhismus
Und was ist mit uns, den Kulturkonsumenten? Die Bücherregale leeren sich, die Welttextmasse fließt in E-Books und E-Reader. CDs und DVDs desintegrieren. Spiele sind lange schon aus ihren Schachteln in die Rechner umgezogen – die Dinge, diese Symbole des Weltlichen, verschwinden. Zurück bleiben wir und unser Geist. Kultur in Reinform, möchte man meinen. Na, vielleicht werden wir nun durch die Digitalisierung alle zu Philosophen, die in leeren Zimmern klarer sehen.

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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