© Gregor Gruber

Wissenschaft & Blödsinn

Das Handy ist kein Mörder

Es ist eine geniale Geschäftsidee: Man redet Leuten Angst vor einer ungefährlichen Sache ein, und lässt sich dann dafür bezahlen, etwas gegen die erfundene Gefahr zu unternehmen. Gute Versicherungsmakler beherrschen das, genau wie Exorzisten oder populistische Politiker.

Ein Geschäftszweig, der genau von dieser Taktik des Angstmachens lebt, ist die Elektrosmog-Esoterik. Sie fühlen sich manchmal müde? Sie haben Kopfschmerzen oder Konzentrationsschwierigkeiten? Die Kinder sind hyperaktiv? Schuld daran ist der Elektrosmog, vor allem die bösen Strahlen aus dem Handy – das redet man uns immer wieder ein. Zum Glück steht eine große Palette an Elektrosmog-Bekämpfungsprodukten zur Verfügung, holen Sie also schon mal Ihre Kreditkarte!

Besonders beliebt sind Aufkleber, mit denen man die schädliche Strahlung neutralisieren kann. Diese Aufkleber enthalten irgendwelche „Hologramme“, „Chips“ oder „Energiefolien“, von denen die Handystrahlung angeblich verändert wird. Das führt dann zu einer „Interferenz der negativen Energie“ und einer „Umwandlung ins Positive“. Die die „natürlichen Resonanzen“ werden harmonisiert und die „Impulse der Elektronen werden umgepolt“.

Hokuspokus simsalabim

Was soll das alles bedeuten? Genau so viel wie „Yabba Dabba Doo“ oder „das gelbgekreischte Nilpferd multipliziert sich zur Synergie“ – nämlich überhaupt nichts. Die sorgsam mit physikalischen Fachbegriffen angereicherten Beipackzetteltexte der Handyaufkleber haben mit Wissenschaft nichts zu tun. Sie sind nicht einmal falsch, sie ergeben einfach keinen Sinn. Daher ist es oft auch gar nicht möglich, sie mit physikalischen Argumenten zu widerlegen.

Tatsache ist: Handys senden während des Telefonierens elektromagnetische Strahlung aus – das ist gut so, dazu sind sie schließlich da. Grundsätzlich ist es durchaus möglich, diese Strahlung abzuschirmen. Nur sollte man sich dann auch nicht wundern, wenn es mit dem Telefonieren nicht mehr klappt.

Man kann Handyschutzhüllen mit Silbergewebe kaufen, die tatsächlich die Abstrahlungsleistung des Handys reduzieren. Nutzen bringt das freilich keinen: Bei schlechterer Verbindung regelt das Handy nämlich seine Sendeleistung automatisch wieder nach oben. Wenn man sein Handy also in einen Silberfaserkäfig sperrt, dann kann es sein, dass man sich genau dadurch sogar einer höheren Strahlenintensität aussetzt als vorher. Außerdem wird der Akku schneller leer.

Wer die Strahlung verringern will, die beim Telefonieren durch den Körper dringt, kann eine Freisprecheinrichtung verwenden oder mit Headset telefonieren. Je weiter man vom Handy entfernt ist, umso weniger Strahlung bekommt man ab. Aber ist das überhaupt nötig? Kann Handystrahlung gesundheitliche Schäden hervorrufen?

Angst vorm Hirntumor?

Eine zweifelsfrei nachweisbare Wirkung hat die Strahlung tatsächlich: Beim Telefonieren wird das Ohr warm. Das kann im Winter eventuell nützlich sein, sonst hat es keine nennenswerten Auswirkungen. Aber vielleicht hat die Strahlung auch noch eine andere Wirkung auf unseren Körper, die wir bloß noch nicht kennen? Kann es sein, dass die Strahlung vielleicht sogar Krebs auslöst? Muss man sich vor Hirntumoren fürchten, wenn man sich regelmäßig eine Strahlenquelle an den Schädel presst?

Das ist kein völlig absurder Gedanke. Wir wissen schließlich, dass Gammastrahlung oder Röntgenstrahlung Krebs auslösen kann. Die Strahlung, die aus unserem Handy kommt, liegt zwar in einem ganz anderen Energiebereich und ist physikalisch betrachtet viel harmloser, aber trotzdem sollte man über solche Fragen sicherheitshalber ganz genau nachdenken.

Das wurde auch gemacht: Es gibt mittlerweile viele Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen von Handystrahlung. Manchmal scheinen diese Studien sogar Hinweise auf Gefahren zu liefern – das ist aber kein Wunder: Bestimmte Arten von Krebs, etwa Gliome, eine spezielle Form von Hirntumor, kommen sehr selten vor, sodass man selbst in einer großen Studie mit tausenden Patienten nur einige solche Fälle findet. Aus diesen paar Fällen kann man keine zuverlässigen Aussagen ableiten. Auch wenn Handytelefonieren überhaupt keinen Einfluss auf die Krebshäufigkeit hat, wird aus purem Zufall manchmal eine Studie so aussehen, als gäbe es einen Zusammenhang – genau wie es manchmal passiert, dass man zweimal hintereinander eine Sechs würfelt.

Das Problem ist nur: Diese Studien, die einen Zusammenhang nahelegen, werden dann zu hetzerischen Zeitungsartikeln mit brüllendgroßen Überschriften verarbeitet. Die anderen Studien verschwinden irgendwo in akademischen Schubladen.

Relevante Studien

Man sollte sich daher auf möglichst große, methodisch besonders gut durchgeführte Untersuchungen konzentrieren, und die sprechen eine eindeutige Sprache: Eine in 13 Staaten durchgeführte Studie aus dem Jahr 2010 findet kein erhöhtes Krebsrisiko. Eine Studie aus dem Jahr 2011, in der praktisch die gesamte Bevölkerung Dänemarks untersucht wurde, findet keinen Zusammenhang zwischen Krebs und Mobilfunk. 2013 wurden fast 800.000 Frauen in Großbritannien in eine Studie einbezogen, die ebenfalls keine Hinweise auf Gefahren ergab. Außerdem müsste man, wenn Handys wirklich Hirntumore verursachen, im Lauf der Zeit eine Zunahme dieser Hirntumore feststellen – schließlich hat sich die Anzahl der Personen mit Mobiltelefonen in den letzten Jahrzehnten drastisch erhöht. Eine amerikanische Studie zeigt aber, dass es einen solchen Zusammenhang nicht gibt.

Wir können daher ganz entspannt und ohne Sorge weitertelefonieren: Das Handy ist kein Mörder. Trotzdem werden wir es sicher auch in Zukunft wieder mit bösartig wucherndem Medienkrawall zu tun bekommen, weil irgendwo jemand angeblich einen winzigen Effekt entdeckt haben will, knapp an der statistischen Nachweisbarkeitsgrenze.

Doch eigentlich ist jede Diskussion darüber völlig irrelevant: Selbst wenn es wahr wäre, dass unter ein paar Millionen Menschen irgendein Tumor vom Handy ausgelöst wird – wenn wir das bisher statistisch nicht nachweisen konnten, dann ist die Zahl jedenfalls lächerlich gering im Vergleich zur Zahl der Fälle, in denen durch das Handy rechtzeitig lebensrettende Hilfe gerufen werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Handy jemanden rettet ist viel größer als die Wahrscheinlichkeit, dass es jemanden tötet. Auch wenn an gesundheitsschädlichen Effekten des Mobilfunks noch geforscht wird – die potenziell gesundheitsfördernden Nebenwirkungen sind stärker.

Nur beim Autofahren sollten sie nicht telefonieren. Das ist statistisch betrachtet nämlich wirklich gefährlich. Aber davor fürchtet sich erstaunlicherweise kaum jemand.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

mehr lesen
Florian Aigner

Kommentare