© Sakchai Lalit, ap

Peter Glaser: Zukunftsreich

Das Internet ist eine Katze

In seinem Science Fiction-Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ enthüllt Douglas Adams ein Geheimnis: Die Menschen sind nur die drittintelligentesten Lebewesen auf der Erde. Die zweitintelligentesten sind die Delphine. Geistig beherrscht jedoch werde die Welt von weißen Mäusen. Die fantastische Fabel könnte jedoch nicht weiter von der Realität entfernt sein: Wie jeder weiß, seit sich das Internet ausgebreitet hat wie verschüttete Milch, verfügen in Wahrheit nämlich die Katzen über diesen Planeten.

In den alten Medien waren Katzen lange Zeit merkwürdig unterrepräsentiert. Hollywood hat kaum Filme mit Katzen produziert, während einem an jeder Ecke ein Hundefilm oder eine Hundeserie wie Lassie entgegenwedelte. Zu den Gründen für die Katzenabstinenz in den analogen Medien gehört sicher auch, dass Katzen sich (ähnlich wie Programmierer) nur extrem ungern trainieren lassen, dass ihr Verhalten oft nicht vorhersehbar ist und dass sie auf eine unnachahmlich souveräne und verführerische Art eigensinnig sind. Und niedlich. Und lustig. Das macht Katzen im YouTube-Zeitalter zu Comedy-Superstars.

100 Millionen Menschenaugen sehen eine Katze
Manche sagen, dass nichts den menschlichen Erfindergeist mehr anregt als die Produktion von Unsinn. Was Katzen betrifft, gehen die dafür aufgewendete Zeit und Aufmerksamkeit aber längst weit über das hinaus, was auf den ersten Blick wie nette, kleine Unterhaltung aussieht. Allein der erste 100-Sekunden-Clip des englischen Grafikers Simon Tofield, in dem sein glubschäugiger Zeichentrickkater „Simon’s Cat“ im März 2008 seinen ersten Auftritt bei YouTube hatte, wurde inzwischen über 31 Millionen Mal angeklickt. Zusammen mit den nachfolgenden Episoden haben sich weit über 200 Millionen Menschenaugen dem urkomischen Tier und seinem menschlichen Versorger und Türöffner zugewandt.

Simon’s Cat ist ein Internet-Weltstar – und er spricht in jener Art von Humor, die überall auf der Welt verstanden wird. Katzenfilme und Katzenfotos erleichtern das Verstehen zwischen Menschen unterschiedlichsten Herkommens. Wenn man mitten im Dschungel Indianern mit vergifteten Pfeilspitzen begegnet, die nicht so recht wissen, was sie von einem halten sollen und zufällig gerade irgendwo ein Google-Suchschlitz rumliegt, gibt man einfach sowas wie „Simon’s Cat - Let Me In!“ ein und verbrüdert sich anschließend mit den Waldbewohnern, indem man sich gemeinsam über diese komische Katze schieflacht.

I can haz Katzencontent?
Oder man gibt ein „LOLcat“. Die in einem absichtlich verdrehten Englisch betexteten Katzenbilder, die auf diesen Namen hören, sind inzwischen im Netz so omnipräsent wie Chlorophyll in der wirklichen Welt. Das Kürzel LOL („Laughing Out Loud“) weist die Richtung: von der inzwischen klassischen Frage „I can has cheezburger?", gestellt von einer treuherzig dreinschauenden Kartäuserkatze, bis hin zu einer Katze, die auf einem Heizkörper liegt und aussieht wie eine Einschienenbahn („Monorail Cat“) ist alles zu haben, wenn es nur ansatzweise komisch ist und mindestens eine Katze zeigt. Die Ursprünge der Lolcats liegen in dem berühmt-berüchtigten Forum „4chan“, aus dem unter anderem die Anonymous-Bewegung hervorgegangen ist. Immer Samstags war auf 4chan „Caturday“ (zusammengesetzt aus „Cat“ und „Saturday“) – wer Katzenfotos an anderen Tagen postete, wurde zurechtgewiesen.

Das Internet ist das Beste, was Katzen jemals passieren konnte. Früher waren es Kartons oder Schnürchen, mit denen Katzenmenschen ihre Mitwesen zu beschenken oder zu unterhalten versuchten. Inzwischen überschlagen sie sich förmlich vor Ideen, wie man eine Katze zum Spielen bringen kann, ihre natürliche Neugierde herausfordert oder sie in jenen Zustand ansteckender Zufriedenheit versetzt, der Menschen so sehr fasziniert – um sie dabei zu filmen, zu fotografieren oder zu zeichnen und das Ergebnis umgehend zu den Abermillionen anderen Katzenkulturprodukten ins Netz zu stellen.

Im Reich der Mieze: Japan
Mit ihrer nuklearen Niedlichkeit beseitigen Katzen jede Art von Trübsinn im Umkreis von mehreren hundert Metern. Eine besondere Rolle als Internetkatzengroßmacht spielt Japan. Immer wieder überrollen globale Katzenphänomene von Nippon aus das Netz, etwa „Nyan Cat“: Auf einer pixeligen GIF-Animation ist ein Kätzchen in Gestalt einer singenden Kirsch-Teigtasche zu sehen, das einen regenbogenfarbenen Schweif hinter sich herzieht. Der Titel des dazu abgenudelten Liedchens "Nyanyanyanyanyanyanya!“ ist eine Aneinanderreihung des Begriffs „nyan“, der im Japanischen so viel wie „Miau“ bedeutet.

Auch einige der berühmtesten realen Katzen des Online-Universums leben in Japan, etwa Maru, „die Katze, derentwegen das Internet erfunden wurde“. Der YouTube-Kanal „I am Maru“, den sein Frauchen mugumogu eingerichtet hat, ist bisher 145 Millionen Mal angeklickt worden. Die knuffige schottische Faltohrkatze - die Rasse ist in Japan als Hauskatze beliebt - läßt das weltweite Internetpublikum in immer neuen Clips an ihren Alltagsabenteuern teilnehmen, von der Höhlenforschung in Zeitungsrollen bis zu Hechtsprüngen in hohe Kartons.

Einstein und die Tele-Katze
Die besondere Vorliebe für Kartons ist selbstverständlich nicht auf japanische Katzen beschränkt. So finden sich ganze Blogs und Flickr-Fotosammlungen, die sich jeweils hochspezialisierten Katzenvorlieben widmen, etwa ein Blog, in dem ausschließlich Katzen in Waschbecken zu sehen sind, Flickr-Groups, die nur Katzen in Schachteln zeigen, sich mit nichts als den Schatten von Katzen befassen oder mit Katzen, die Macs lieben. Internetnutzer erhalten reiche Einblicke in das Leben von Katzen an vielen Orten der Welt. Und es gibt Blogs mit „Katzen, die wie Hitler aussehen“, Alben mit „Cats And Keyboards“ oder Listen mit Katzen, die schon mal im amerikanischen Fernsehen waren.

Dass einem Katzen in den Sinn kommen, wenn von technologischen Innovationen die Rede ist, hat schon Albert Einstein gezeigt, als er Fortschritte in der Medientechnologie zu beschreiben versuchte: „Sehen Sie, drahtgebundene Telegraphie ist etwas wie eine sehr, sehr lange Katze. Sie ziehen in New York am Schweif und hören es in Los Angeles miauen. Verstehen Sie? Und Radio funktioniert genauso: Sie senden ihre Signale von hier aus, und dort empfangen Sie sie. Der einzige Unterschied ist, dass da keine Katze ist.“ Und das ist es, was die digitale Revolution verändert hat: Die Katze ist wieder da.

Peter Glaser Zukunftsreich

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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