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Wissenschaft & Blödsinn

Das Navi im Gehirn

Es ist merkwürdig: Vor selbstfahrenden Autos haben wir irgendwie Angst, schließlich wollen wir die Kontrolle nicht an eine Maschine abgeben. Aber niemand hat ein Problem damit, willenlos und ohne zu hinterfragen den Anweisungen der netten Roboterstimme aus dem Navigationsgerät zu gehorchen: In zweihundert Metern – links abbiegen! Keine Widerrede!

Das Navigationsgerät im Auto ist heute fast so selbstverständlich wie das Lenkrad oder der Scheinwerfer. Verlernen wir dadurch, uns in unserer Welt zurechtzufinden? Wir kennen das aus dem Urlaub: Wenn wir selbst die Route planen und an der Straßenecke angestrengt versuchen, den zerknitterten Stadtplan in die richtige Richtung zu drehen, dann ist das zwar mühsam, aber irgendwann haben wir ein ganz gutes Gefühl für die Geographie der Stadt entwickelt. Wenn wir hingegen ohne nachzudenken anderen Leuten hinterherlaufen, haben wir am Ende keine Ahnung, wo wir überhaupt waren, und wie die Tagesroute von gestern auf der Karte aussieht.

Der Orientierungssinn lässt sich trainieren, dafür sprechen auch Erkenntnisse aus der Hirnforschung. Man untersuchte die Gehirne von Taxifahrern aus London und entdeckte eine bemerkenswerte Besonderheit: Der Hippocampus, eine Hirnstruktur im Schläfenbereich, die für den Orientierungssinn eine wichtige Rolle spielt, war bei ihnen besonders ausgeprägt. Das unübersichtliche, verwinkelte Gassengewirr von London schult den Orientierungssinn besonders gut, viel besser als etwa ein rechtwinkeliges Straßensystem, wie man es aus Manhattan kennt. Und dieses Training lässt den Hippocampus wachsen.

Lechts und Rinks, Esten und Wosten

Interessanterweise gibt es Menschen, bei denen die Raumwahrnehmung ganz anders funktioniert als bei den meisten von uns – und das dürfte mit ihrer Sprache zusammenhängen. In Queensland, im australischen Outback, leben die Guugu Yimithirr. Subjektive Richtungsangaben wie links und rechts, deren Bedeutung davon abhängt, in welche Richtung der Sprecher gerade blickt, kennen sie nicht. Stattdessen haben sie absolute Bezeichnungen, die für alle Beobachter gleichermaßen gelten, ähnlich wie unsere Himmelsrichtungen.

„Die Katze sitzt auf der nördlichen Seite des westlichen Tisches“ würden die Guugu Yimithirr sagen. Und wenn jemand Platz machen soll, wird er möglicherweise gebeten, ein Stück nach Osten zu rücken.

Eine solche Sprache setzt voraus, dass Sprecher und Zuhörer ständig die Himmelsrichtungen im Kopf haben – und das lässt sich überprüfen. Man testete das Richtungsgefühl von Guugu Yimithirr, indem man sie auf Wanderungen begleitete und an Orten mit eingeschränkter Sicht aufforderte, die Richtung bestimmter Punkte anzuzeigen. Das war für die Guugu Yimithirr kein Problem: Sie antworteten rasch und ohne Zögern – und lagen fast exakt richtig. Auch das zeigt, wie gut sich der menschliche Orientierungssinn trainieren lässt.

Norden soll oben sein

Und genau deshalb sollten wir unsere Navigationsgeräte im Auto umstellen. Der Bildungspsychologe Stefan Münzer führte dazu einige interessante Experimente durch, indem er Versuchspersonen mit unterschiedlichen Navigationsgeräten losschickte. Eine Gruppe bekam Geräte, bei denen sich wie üblich die angezeigte Straßenkarte mit der Bewegungsrichtung mitdreht, sodass die Richtung auf der Karte immer mit der eigenen Blickrichtung übereinstimmt. Andere Geräte zeigten hingegen eine Karte an, auf der Norden immer oben ist. Die Personen mit den automatisch mitdrehenden Karten machten zwar weniger Fehler beim Abbiegen, aber am Ende hatten sie vergleichsweise wenig über die Geographie des Testgeländes gelernt. Die Versuchspersonen mit der genordeten Karte hingegen, die in ihrem Kopf ein Himmelsrichtungs-basiertes Orientierungssystem anlegen mussten, hatten ein deutlich besseres Verständnis ihrer Umgebung gewonnen.

Dadurch wird man nicht gleich zu einem Orientierungsprofi wie die australischen Guugu Yimithirr. Aber vielleicht ist es trotzdem eine gute Idee, das Navigationsgerät im Auto ab und zu auf „genordete Kartenansicht“ umzustellen. Vielleicht bringen wir dann unseren Hippocampus dazu, noch ein bisschen zu wachsen – als wären wir ein Londoner Taxifahrer.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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