Der Geist aus der Maschine
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Entdeckt ein zivilisierter Mensch ein unberührtes Stück Welt, so macht er es urbar, indem er Schilder aufstellt. Das El Dorado der Schilderfreunde aber ist das Internet: Es gibt keine Straßen mehr, nur noch Schilder. An einem Computer zu sitzen bedeutet heute mehr denn je, ständig kleine Formulare ausfüllen und Mikroentscheidungen treffen zu müssen.
Eines der ersten Schreibprogramme, das ich vor 25 Jahren verwendete, stellte einen in einem solchen Dialogfeld manchmal vor die Alternative: „Abbrechen“ oder „Beenden“? Da das Abbrechen auch ein Beenden ist, kam ich ins Grübeln. Erst nach einer Weile hatte ich raus, dass man mit Beenden das Programm abbrechen, mit Abrechen hingegen das Beenden abbrechen konnte. Mit anderen Worten: Seit man mit Maschinen ins Gespräch kommen kann, wird es kompliziert.
Die Denkmaschinen erwachen
1965 schrieb Joseph Weizenbaum am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein Programm namens ELIZA, mit dem man sich - schreibend - unterhalten konnte. Für das erste Experiment ließ er ELIZA die Rolle eines Psychotherapeuten spielen, der ein Gespräch mit einem Klienten führt. Ein solcher Therapeut ist verhältnismässig leicht zu imitieren. „Meine Mutter ist sonderbar“, tippt der Mensch am einen Ende ein - „Wie lange ist ihre Mutter denn schon sonderbar?“, fragt die Maschine zurück, indem sie einfach einen Teil der Eingabe in eine der ihr zur Verfügung stehenden Antwortfloskeln einsetzt und zurückgibt.
Sind nun die Maschinen erwacht? Was spricht da zu uns, das sich anfühlt, als würde sich im Inneren von Computern fast so etwas wie eine Individualität entwickeln? Zuvor hatten sich Geräte nur in unpersönlichen Signalen geäußert – „Öldruck sinkt“, „Kein Benzin mehr“, „Betriebsstörung“. Weizenbaum war bestürzt darüber, wie schnell Personen, die sich mit ELIZA unterhielten, eine emotionale Beziehung zu dem Computer herstellten. Als seine Sekretärin das Programm ausprobierte, bat sie ihn nach kurzer Zeit, den Raum zu verlassen, weil der Dialog so persönlich wurde.
Algorithmische Frechheiten
In den siebziger und achtziger Jahren kamen die Menschen zunehmend mit Computern ins Gespräch, genauer gesagt: die Maschinen sprachen sie an. Programmierer liebten es, dem Rechner ein eigenes Wesen zu unterschieben, indem sie ihn ICH sagen ließen. ICH GLAUBE, ICH HABE DICH NICHT VERSTANDEN, war immer wieder am Bildschirm zu lesen, wenn man etwa eines der frühen Abenteuerspiele zu absolvieren versuchte und Anweisungen gab, die das System nicht kannte. Ein englischsprachiges Spiel, dem man sich verzweifelt mit der Aufforderung HELP zuwandte, pflegte darauf zu antworten IT’S NOT TIME FOR BEATLES HITS, BOYS.
Aber auch sachorientierte Dialoge entwickelten eine Neigung ins Absurde. Eines Tages, während ich mich mit einem der ersten, damals exotischen Satzprogramme für die Zeitungsherstellung anzufreuden versuchte, erschien die Fehlermeldung „Layoutplan mit Eisberg kollidiert“ – wohlgemerkt, das Programm kostete, in heutige Beträge umgerechnet, mehrere tausend Euro. Ich rief einen der Programmierer an, der mir erklärte, dass ein normaler Nutzer mit einer detaillierten Fehlermeldung ohnehin nichts anfangen könne und in einer solchen Situation seiner Meinung nach eher empfänglich sei für etwas Aufheiterung. Der Versuch, aus Fehlermeldungen alles Unverständliche zu entfernen, gipfelte schließlich auf unterschiedlichen Computern in radikalen Lösungen wie der schlichten Abbildung von kleinen Atompilzen oder dem Vermerk „Guru Meditation Error“.
4000 Jahre alte Software
Die Idee der menschenähnlichen Maschine findet sich schon in altägyptischen Gräbern, wo kleine Stellvertreterfiguren erhalten geblieben sind, die alle Arbeiten im Jenseits ausführen sollten – Uschebtis, „die Antwort Gebenden". Diese Grundidee hat uns inzwischen im Diesseits den Computer als universales Werkzeug beschert. Die Uschebtis sind mit einer Reihe von Aufforderungen beschriftet, die bereits verblüffend der Interaktion mit einem modernen Computer ähneln – am Ende wird vermeldet: Hier bin ich und horche auf deine Befehle. Heute heißt es Ihre Eingabe, oder in den Statuszeilen der Sozialen Netze Was machst du gerade? (Facebook), Was gibt’s Neues? (Twitter) oder Share what’s new (Google+).
Die Facebook-Diät
Immer noch führen die Versuche, maschinenhaft und zugleich kumpelhaft miteinander zu kommunizieren, zu kuriosen Fehlleistungen wie der als „Facebook-Diät“ bezeichneten Klick-Aufforderung „Finde deine Freunde leicht“. Moderne Software wird auch gern vorlaut. Statt Fehlerhinweisen gibt es dann Rechtschreibempfehlungen. Die Supernervensäge unter den Textvorschlägern ist T9 - die Abkürzung steht für „Text auf 9 Tasten“. Die Software versucht in Mobiltelefonen und Smartphones bereits nach den ersten Buchstaben zu erahnen, welches Wort man schreiben möchte. Aus "hallo silke, kommst du und nadia morgen auch?” wird "hallo pille, kommst du tod mafia morgen auch” und aus dem “kleinen Maxi” macht die Wortdatenbank kurzerhand einen “kleinen Nazi”.
Zum Glück sind wir durch die Vernetzung nicht mehr mit den Maschinen alleingelassen. Längst mischen sich immer mehr menschliche Stimmen in die rechnergetriebene Kommunikation. Waren die Neunziger-Jahre eine Zeit, in der das Internet mit seinen vielen statischen Websites noch einer langen Schaufensterflucht glich, so entwickeln Computer im Netz sich nun zu einer immer lebendigeren Plattform für vielfältigen Austausch. Menschen interessieren sich nicht für Maschinen. Menschen interessieren sich für Menschen.
Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.
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