Der große Roboter-Bluff
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Überall sind heute Roboter zugange. Bio-Robotiker an der Carnegie Mellon University haben einen Schlangenroboter gebaut, der einen Baum hochkriechen kann. Mike Chung von der University of Washington hat einen Roboter namens Mitra entwickelt, der durch Gedankenkraft gesteuert wird. Der deutsche Robotik-Forscher Klaus Schilling spricht sogar von der Notwendigkeit, juristische und ethische Grundlagen zu schaffen, um bei der zunehmenden Entscheidungsfähigkeit von Robotern deren Schuldfähigkeit festzustellen.
In zahllosen Bereichen, in denen besondere Fähigkeiten gefragt sind, sind robotische Spezialleistungen verfügbar. Robotersonden erkunden das Sonnensystem. In einem Bremer Forschungszentrum krabbelt ein „SpaceClimber" über zerklüftete Hänge. Im Februar 2011 startete an Bord eines Spaceshuttle der erste humanoide Roboter in den Weltraum.
Und wo waren die Roboter in Fukushima?
Wo waren, in dieser geradezu roboterverrückten Hightech-Nation Japan, die Flugroboter, die in den offenliegenden Reaktorgebäuden nach den plutoniumhaltigen Brennstäben in den Abklingbecken hätten sehen können? Die Roboter, die Messungen hätten durchführen können, ohne dass Menschen in Gefahr gerieten? Eine amerikanische „Global Hawk"-Flugdrohne überflog später die zerstörten Reaktorblocks.
Im Mai 2010 hatte die japanische Regierung bekanntgegeben, man plane eine Mondbasis, die dauerhaft bewohnt werden solle – und zwar von Robotern. 2015 sollte der erste Roboter zum Mond fliegen. Wo waren die für Mondlandschaften prädestinierten Roboter, die sich im Gebäudeschutt der Reaktorblöcke von Fukushima bewähren hätten können? Raupengeräte, Kletterroboter, fernsteuerbares schweres Gerät? Ist die ganze Roboterverheißung nur für Wettbewerbe und Firmenpräsentationen da? Warum wurden in Fukushima nicht Maschinen statt Menschen in die Todeszone geschickt?
Vom Minenräumen bis zum „nuclear cleanup"
„Robots Take Dangerous Jobs" - bereits 2003 waren unter diesem Motto auf der Fachmesse Robodex in Tokio verschiedene Roboter vorgestellt worden, die unter Extrembedingungen arbeiten sollten, vom Minenräumen bis zum „nuclear cleanup". So wurden etwa an der Universität im japanischen Chiba verschiedene Minenräumgeräte entwickelt, darunter der eine Tonne schwere Comet III, der sich wie eine Spinne auf sechs Beinen bewegt. Shin Furukawa, Planungsdirektor bei dem Roboterhersteller Tmsuk, hob die Wichtigkeit von Robotern für diese Art von Einsätzen hervor.
Im September 1999 stand er mit der Betreiberfirma JCO der Wiederaufbereitungsanlage in Tokaimura 120 Kilometer nordöstlich von Tokio in Kontakt, als sich der bis dahin schwerste Atomunfall in Japan ereignete. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben, hunderte wurden kontaminiert. „Ich habe mit einem der Verantwortlichen gesprochen, er hatte eine Liste mit Namen vor sich, mit Alter und Familienstand. Hätten wir Roboter gehabt, wir hätten sie stattdessen schicken können." So wurden als erstes die Alleinstehenden losgeschickt.
Französische Spezialroboter für Atomunfälle
Wo waren die Roboter in Fukushima? Der japanische Industrieminister Banri Kaieda soll in den ersten Tagen der Katastrophe Feuerwehrleuten Strafen angedroht haben, wenn sie nicht in den lebensgefährlichen Einsatz ziehen (zuvor hatte es geheißen, der Einsatz sei freiwillig). Später wurden von Paris aus Geräte der Groupe Intra („Intervention robotique sur accident“), die auf Unfälle in Atomkraftwerken spezialisiert ist, Richtung Japan in Marsch gesetzt. Intra gehört dem größten französischen Stromkonzern Électricité de France SA (EDF), der 13 Prozent des in französischen Kernkraftwerken anfallenden radioaktiven Abfalls über Le Havre nach Russland verschifft.
Maschinen sind unkomplizierter als Menschen
Die spezielle Neigung zu menschenähnlichen Robotern hat in Japan auch damit zu tun, dass die japanische Höflichkeit den Umgang mit realen Menschen manchmal so kompliziert macht, dass man ein maschinelles Gegenüber als entspannende Alternative ansieht. So baut man in Japan Roboter, die Klavier und Geige spielen, Marathons laufen und Hochzeitszeremonien abhalten – aber keine, die bei der Eindämmung der Lebensgefahren helfen, die von einem Nuklearunfall ausgehen.
Nun, mehr als 14 Monate nach der Katastrophe, präsentiert das Future Robotics Technology Center am Chiba Institute of Technology einen Prototyp namens „Rosemary“ (Japaner lieben es, gefährliche Dinge zu verniedlichen). Er kann Treppen steigen, über Geröll klettern und bis zu 60 Kilo an Instrumenten mit sich herumschleppen, darunter einen Laser-Abtaster, der das umgebende Gelände „in Echtzeit an einen Computer schickt“.
Der Roboter soll „im Lauf der nächsten Monate“ nach Fukushima geschickt werden.
Peter Glaser Zukunftsreich
Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.
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