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Peter Glaser: Zukunftsreich

Der Kampf ums Ohr

Im Jahr 2008 sprach der Sänger Neil Young auf der „Brainstorm Tech“, einer Veranstaltung im kalifornischen Half Moon Bay, die sich den globalen Folgen des technologischen Wandels widmete: „Die Ohren sind die Fenster zur Seele", so der Musiker, den ein Kritiker einmal den „Mann mit den Tränensäcken im Kehlkopf” genannt hatte. Besonders beklagte Young die auf Kinderspielzeugniveau herabgesunkene Klangqualität des zeitgenössischen Wiedergabe-Equipments – von Laptop-Lautsprechern, MP3-Playern und Smartphones.

Dass eine LP immer umgedreht werden mußte, war der Anfang vom Ende
Musiker haben es wirklich nicht leicht. Nachdem vor einem Jahrzehnt die tauschbösen Buben ihr Werk begonnen hatten und dann das Album – die Standardbündelung musikalischen Schaffens – im Internet zu einzelnen Tracks zerbröselte, ging auch noch die gehobene Stereophonie dahin. Nicht nur Neil Young hält die mobile Musikgerätschaft, die sich in den Jackentaschen der planetaren Musikhörerschaft eingenistet hat, für einen kulturellen Niedergang. Wie er sind viele ist in einer Zeit aufgewachsen, in der WG-Zimmer zwar oft nichtmal möbliert waren - Matratze reichte -, aber was da doch als Mindestmöbel in der Ecke stand, war ein oft hochwertiges Hifi-Rack und dicke Boxen. Aber schon die Unbequemlichkeit, dass eine LP immer nach der Hälfte umgedreht werden mußte, machte den Siegenszug der nachfolgenden elektronischen Annehmlichkeiten absehbar.

Glaubenskriege um Klangwiedergabeverfahren
Auch wenn die Verkaufszahlen digital musikgebender Gerätschaft eine eigene Sprache sprechen – 2007 wurde der 100-millionste iPod seit der Markteinführung 2001 verkauft, 2010 der zehnmilliardste Song bei iTunes gesaugt, bis Anfang 2012 über 183 Millionen iPhones verkauft –, sind die Glaubenskriege um die Überlegenheit der unterschiedlichen Klangwiedergabeverfahren offenbar immer noch nicht endgültig geschlagen. Neil Young ist bekennender MP3-Gegner: „Was die Leute mit diesen Kompressionsverfahren bekommen, sind 5% dessen, was wir im Studio aufgenommen haben. Er mag auch keine CDs, seiner Auffassung nach geben sie höchstens 15% der Audioinformation der Master-Aufnahme wieder. „Wir leben im digitalen Zeitalter“, sagt Young, „aber dummerweise degradiert es unsere Musik, statt mehr daraus zu machen.“

Wieder äußerte er sich auf einer Technologiekonferenz, diesmal der „D: Dive Into Media“, die Ende Januar in Südkalifornien stattfand. Young erklärte, er habe sich gemeinsam mit Apple-Boss Steve Jobs Gedanken über einen Nachfolger des iPod gemacht, mit dem man auch hochauflösende Klänge zu sich nehmen kann. Der Download solcher Sounddateien, die sehr umfangreich sind, soll stattfinden, während man schläft; ein Song, der audiophilen Ansprüchen genügt, braucht etwa 30 Minuten. Auf einen iPod würden damit höchstens 30 Alben passen. Seit dem Tod von Steve Jobs im Oktober „passiert leider nicht mehr viel“, beklagt das eine Viertel der legendären Folktruppe Crosby, Stills, Nash & Young.

Musik benutzen, wie einen Regenschirm
Was Neil Young übersieht, ist, dass es Menschen unterschiedlicher Hör-Neigungen gibt und sich nicht jeder, wie Musiker das gern tun, von einer bühnentauglichen Soundstage an die Wand schallern lassen will. Andersrum gesagt: gute Musik darf sich nicht davon unterkriegen lassen, wenn sie aus kleinen Lautsprechern kräht - vom Kofferradio bis zum iPod führt eine Traditionslinie der Musikleichtigkeit, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Viele Leute benutzen Musik — um morgens die Zeit zu überbrücken, bis der Kaffee durchgelaufen ist, tagsüber als akustische Tapete und abends, damit keine peinlichen Pausen in Gesprächen entstehen. Eine Vorstellung von Klanggenuss, wie sie etwa der ehemalige Waffenhändlers und Multimillionär Adnan Kashoggi pflegte („Man kann sein Geld gedämpft auf einen Teppich werfen oder klangvoll auf einen Marmorboden“), ist ihnen fremd.

Niemals Klangweile
Musik ist für den Normalhörer (ich bin auch einer) gesunde Ernährung für die Ohren. Eine angenehme Art, zu betonen, wie die Zeit vergeht und wie gut sich das anhören kann. Ich klangweile mich nie. Was Audiophile wie Neil Young für einen Niedergang halten – und was in Wirklichkeit zu einer nie dagewesenen Präsenz von Musik geführt hat –, das gibt es auch in die andere Richtung, nämlich als dekadente Wunderlichkeit. Einer meiner Freunde ist vollaudiophil und ich bestaune ihn manchmal wie ein Tiefseelebewesen. Er wartet, ehe er eine Platte auflegt (ja: am liebsten eine Schallplatte), bis seine Frau und die Kinder die Wohnung verlassen haben, um unerwünschte Trittschwingungen zu vermeiden. Dann ruft er die Erdbebenwarte an, um sich über den seismischen Zustand des lokalen Teils der Erdkruste informieren zu lassen.

Er hat einen Röhrenverstärker, der, um die richtige Betriebstemperatur zu erreichen, erstmal einen Tag lang angeschaltet sein muß, was ich zu spüren bekam, als ich den Verstärker einmal im Vorbeigehen abgeschaltethabe. Dann wird die Stellfläche der Anlage mit der Wasserwaage neu nivelliert, um die kegelförmigen Metallfüßchen, die mutmaßlich in jeweils genau einem Atom enden, auf exakt die selbe Höhe zu bringen und die perfekte horizontale Ebene für den Plattenteller zu garantieren. Danach werden Federung und Justage des Subchassis korrigiert. Dann kommt die Musik und sie macht ihn krank, da er sich nicht entscheiden kann, ob er die ganzen plastisch und brilliant hervortretenden Nebengeräusche als ein Kompliment an seine unglaubliche Anlage auffassen soll oder als böswilige Sabotage des perfekten Sounds. Ich hör da lieber MP3.

Peter Glaser Zukunftsreich

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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