Nicht ganz zufrieden
Nicht ganz zufrieden
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Wissenschaft & Blödsinn

Die anderen sind doch viel besser!

Wir alle kennen diese unerträglichen Alphamenschen, die sich selbst für das Großartigste halten, was unser Planet je hervorgebracht hat. Auch wenn sie im Team arbeiten, sind sie überzeugt, dass alle Erfolge bloß ihnen ganz persönlich zu verdanken sind. Wenn etwas nicht klappt, dann muss jemand anderer schuld sein. Und wenn sie nicht über Wasser laufen können, dann liegt das vermutlich bloß an der unzureichenden Qualität des Wassers.

Aber dann gibt es auch das Gegenteil davon: Leute, die meinen, sie seien nicht gut genug, obwohl sie objektiv betrachtet eigentlich klug, kompetent und erfolgreich sind. Doch das, was sie erreicht haben, sehen sie nicht als Produkt eigener Leistung, sondern als bloßen Scheinerfolg, den sie eigentlich gar nicht verdienen. Solche Leute leiden unter dem sogenannten „Impostor-Syndrom“. Sie werden von der Vorstellung gequält, dass der Rest der Welt sie bloß überschätzt, sie haben das Gefühl, ihren Platz im Leben nur versehentlich, durch eine Verkettung glücklicher Irrtümer erreicht zu haben, sie fürchten sich davor, irgendwann aufzufliegen und als Hochstapler entlarvt zu werden.

Grundsätzlich ist es gut, sich nicht in selbstgefälliger Arroganz zum unfehlbaren Alphamenschen zu erklären. Tatsächlich verdanken wir unsere Erfolge immer auch anderen, und vieles erreicht man einfach, weil man Glück hat. Doch diese bescheidene Sichtweise wird von Leuten mit Impostor-Syndrom ins Extrem übertrieben: Sie glauben, von sich aus gar nichts Wertvolles leisten zu können, und sie vergessen, dass auch alle anderen vom Zufall und von fremder Hilfe profitieren. Studien zeigen, dass dieses Impostor-Syndrom heute recht verbreitet ist, Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Der Glanzfassaden-Effekt

Das Problem hat sicher damit zu tun, dass es in unserer Gesellschaft üblich ist, Erfolge stolz herzuzeigen, Misserfolge aber für sich zu behalten. Von einem erfolglosen Vorstellungsgespräch erzählt man niemandem, über einen Preis, den man nicht gewonnen hat, verliert man kein Wort, wenn man zwei Arbeitswochen damit vergeudet hat, einen dummen Fehler zu suchen und am Ende einfach aufgeben musste, dann wählt man das nicht unbedingt als Gesprächsthema bei der nächsten Party.

So zeigt man immer nur seine Zuckerseite her – und bekommt von anderen Leuten immer nur eine hochglanzpolierte Fassadenwirklichkeit präsentiert. Im Internet sehen wir Bilder, auf denen andere Leute in fernen Urlaubsländern vorm Sonnenuntergang ihren Cocktail anlächeln. Sie posten Fotos, auf denen sie im todernsten Business-Outfit vor höchst erwachsen dreinblickenden Menschen einen bedeutungsschweren Vortrag halten. Sie versorgen uns mit Neuigkeiten über ihre Halbmarathon-Rekorde, knallen uns Hochzeitsanzeigen vor die Nase und halten ihre selbstgemachten Babys vor die Kameras als wären sie Tennistrophäen.

Und wir selbst? Wir ärgern uns noch immer über dieses schlecht vorbereitete Meeting vom letzten Donnerstag, von dem der Chef sicher noch erfahren wird. Wir verschieben den Beginn unseres Lauftrainings auf nächste Woche, bekämpfen das schlechte Gewissen darüber mit einer Großpackung Erdnussschokolade und konzentrieren uns darauf, uns einzureden, dass dieses komische Muttermal auf der Schulter immer schon so ausgesehen hat. Aber davon erzählen wir niemandem. Im Internet posten auch wir nur lächelnde Erfolgsbilder.

Durch diesen merkwürdigen Erfolgsfilter betrachten wir die Welt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass manche Leute zur Überzeugung kommen, alle anderen seien Hochleistungswunderkinder, denen einfach alles gelingt – und sie selbst, mit ihrem durchaus erfreulichen aber mittelmäßigen Lebenswandel, in dem Erfolge und Rückschläge einander abwechseln, passen zu diesem elitären Klub einfach nicht dazu. Und wenn die anderen das doch glauben, dann muss es sich um einen Irrtum handeln, dann haben die anderen Leute die versteckten Unzulänglichkeiten noch nicht entdeckt, und vermutlich ist es bloß eine Frage der Zeit, bis die Hochleistungswunderkinder alles auffliegen lassen.

Es sind die Falschen, die an sich zweifeln

Das wirklich Traurige daran ist, dass es oft gerade die klugen, kompetenten Leute sind, die an sich selbst zweifeln. Hohlköpfe, denen ein bisschen Selbstzweifel durchaus guttun würde, sind hingegen oft restlos von sich überzeugt. Die Chemie-Dissertantin, die im Labor sorgfältig ihre Daten auswertet, ist viel selbstkritischer als der selbsternannte Chemtrail-Experte, der im Internet dumpfgeistige Verschwörungsvideos verbreitet. Man kennt das als „Dunning-Kruger-Effekt“: Wer vollkommen ahnungslos ist, hat selbst von der eigenen Ahnungslosigkeit keine Ahnung.

Wie können wir dieses Problem lösen? Sollen wir aus Gründen der Psychohygiene beginnen, auch unsere Misserfolge stärker nach außen zu tragen? Vielleicht. Allerdings wäre eine Welt voller Jammerlappen, die permanent allen anderen von ihren Enttäuschungen und Ärgerlichkeiten erzählen, auch kein Ort der entspannten Freude.

Vermutlich sollten wir einfach alle ein bisschen ehrlicher zueinander sein und uns klarmachen, dass alle anderen auch kein strahlendglänzendes Vorzeigeleben führen, auch wenn das manchmal aus der Entfernung vielleicht so aussieht. Prinzen und Prinzessinnen, die glücklich bis ans Lebensende in ihrem Zauberschloss wohnen, gibt es eben nur im Märchen. Das ist auch in Ordnung so. Wir müssen uns nur vernünftigere Ziele suchen.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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