Die digitale Maschinisierung
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Das Repetieren überlassen wir ihm: Wiederholungen (so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick) sind die eigentliche Domäne des Computers. Niemand nudelt so klaglos immer neue millionen- und milliardenfache Wiederholungen winziger Befehle ab wie er. Aber der Mensch holt auf. So verbrachte der 37-jährige Taiwanese Hsu Tai-yang in der Stadt Tamsui nahe Taipei drei Monate am Stück in einem Internet-Cafe und erlitt dann durch eine Kombination aus Erschöpfung, Schlafmangel, Zigarettenqualm und Instant-Nudelsuppe einen Zusammenbruch. Der Inhaber des Internet-Cafes sagt über den Mann: „Er wollte nicht nach Hause gehen.”
Schon zuvor gab es ähnliche Meldungen. Ein 38-jähriger gewohnheitsmäßiger Computerspieler war, nachdem er in einem Internet-Cafe im südkoreanischen Ort Incheon westlich von Seoul zehn Tage und Nächte hindurch ununterbrochen gespielt hatte, tot vor dem Rechner zusammengebrochen. Ebenfalls in Südkorea war im August ein Spielsüchtiger in der Stadt Taegu nach einer 48 Stunden andauernden Online-Partie zu Tode gekommen.
Maschinen an Maschinenhaftigkeit übertreffen
Was fängt da an? Ein Tier würde sich einer solchen extremen Art der Monotonie niemals ohne Zwang aussetzen. Gefangene Tiere werden krank („hospitalistisch“), wenn ihnen nur monotone Reize geboten werden. Deprivation nennen Fachleute das Phänomen beim Menschen, es ist unter anderem als eine Folge von Folter bekannt. Ist es einfach nur verrückt, wenn Menschen sich freiwillig in Maschinen zu verwandeln versuchen, immer gleiche kurze Blicke und Tastendrücke repetieren, um am Ende vielleicht die Maschine an Maschinenhaftigkeit zu übertreffen?
Kulturpessimismus führt hier aber in die Irre. „Ich möchte gern eine Maschine sein”, wünschte sich schon Andy Warhol in den sechziger Jahren, und bereits damals klang es so, als könne das etwas Exklusives und Interessantes sein. Zur selben Zeit waren eine Handvoll Männer gerade dabei, sich unter den Blicken der ganzen Welt in Maschinen zu verwandeln: die ersten Astronauten. Für die Flüge in die extremste aller lebensfeindlichen Umgebungen, das Weltall, trainierten sie sich fast alles ab, was einen lebenden Organismus ausmacht, um in eine enge Kapsel gepfercht und ohne Klo Ausfahrten in den äußeren Raum zu unternehmen. Schon in den Siebzigerjahren war dem Kulturwissenschaftler Lewis Mumford die Ähnlichkeit zwischen einer ägyptischen Mumie in ihren weissen Bandagen und einem Astronauten in seinem Raumanzug aufgefallen.
Übt die Natur schon den nächsten Menschen?
Die Wiederholung ist ein seltsames Gut. Auf der einen Seite empfindet der Mensch sie als nervtötendes Gegenteil des Neuen, andererseits aber als ein avantgardistisches Mittel seiner Anpassungsfähigkeit. Manchmal erschrickt man dann doch, etwa wenn Kinder an Chlorophyll-Allergie leiden – kein Gras, keine Blumen im Frühling, keine Kastanienstachelhüllen im Herbst. Übt die Natur schon die Entwicklung eines Menschen, dessen bevorzugte Umgebung hypermetropol ist?
Wie sich stereotypes Wiederholen in eine Managementmethode verwandeln läßt, hat Bill Gates bewiesen. Er wippt gern vor und zurück, die Arme auf seinem Schoß gekreuzt. Schon als Kind schaukelte er sich in der Wiege selbst. Die Verhaltensweise wurde in seiner Zeit bei Microsoft oft nachgemacht. Manche Sitzungen erinnerten an eine Versammlung lobpreisender Rabbis. Nur wenn ihn ein Thema besonders in Anspruch nahm, hörte Gates plötzlich auf zu wippen und lauschte – „The Machine Stops“, könnte man das polemisch nennen. Diesen Titel trägt eine außergewöhnliche Science-Fiction-Erzählung des englischen Autors Edward Morgan Forster aus dem Jahre 1909. Hier eine Verfilmung von 1966:
Eine allmächtige, globale Maschine
In „The Machine Stops” werden Technologien wie das Fernsehen („cinematophote”), Videokonferenzen und soziale Netze beschrieben, die zum Teil erst ein Jahrhundert später tatsächlich erfunden wurden. Forster hebt in der Geschichte den Wert unmittelbarer Erfahrungen hervor, die durch den Umgang in virtuellen Gemeinschaften in Frage gestellt werden. Seine Zukunftsvision ist ungewöhnlich weitsichtig. In der Geschichte werden viele Nuancen des Online-Lebens beschrieben – und das sechs Jahrzehnte vor den Anfängen des Internet.
Erzählt wird von einer Zeit, in der die Menschen unter der Oberfläche der Erde leben. Jedes Individuum lebt isoliert in einer standardisierten Zelle. Alle körperlichen und geistigen Bedürfnisse werden durch eine allmächtige, globale Maschine erfüllt. Reisen ist zwar erlaubt, aber unbeliebt und selten notwendig. Die gesamte Bevölkerung kommuniziert durch eine Art Instant-Messaging- und Videokonferenz-System, den sogenannten „speaking apparatus”. Damit gehen sie ihrer einzigen Aktivität nach, dem Austausch von Wissen aus zweiter Hand, der Produktion von Ideen und deren endloser Diskussion. Dann aber treten zum ersten Mal Störungen der alles umfangenden Maschine auf…
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