Die Hitze-Formel gibt es nicht
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Die Sonne grillt uns den Verstand im Kopf. Die Stadt wird zur hitzeflimmernden Zumutung. Mit unverschämter Wucht prügelt der Sommer die Temperaturrekorde vor sich her. „Du bist doch Physiker!“, sagen mir die Leute. „Erklär doch mal, wie man die Hitze am besten erträgt!“
Nun, ein paar Physik-inspirierte Tipps lassen sich schon finden: Tagsüber die Fenster von außen verdunkeln, feuchte Tücher aufhängen, weil Verdunstung der Umgebung Wärme entzieht. Nachts lüften, wenn es draußen am kühlsten ist. Aber die ehrliche Antwort ist: Probier es aus. Es ist kompliziert. Es gibt keine einfache, physikalisch ideale Lösung.
Erstaunlich viele wissenschaftlich gebildete Leute verkünden gern mit pochendem Selbstvertrauen, welche Antwort ganz zweifellos die allerbesteste ist. „Lasst die Fenster offen!“ poltern die einen. „Der Luftzug hilft dem Körper, Wärme abzutransportieren!“ Andere reagieren darauf, als hätte man einen kühlenden Sprühregen aus Babykatzenblut vorgeschlagen und fordern tagsüber konsequent geschlossene Fenster.
Besonders unterhaltsam sind Leute, die gegen Ventilatoren wettern: Der Wind, so sagen sie, sorgt nämlich nur für die Illusion von Kälte! Ventilatoren kühlen den Raum nicht, sie erwärmen ihn sogar leicht, wie jedes elektrische Gerät. Die gefühlte Kälte ist bloß ein unphysikalischer Schwindel!
Aber – war das nicht genau das Ziel? Wenn ich in meiner Wohnung knusprig gebacken werde und im Hitzedelirium schon erwäge, mich mit Olivenöl einzupinseln, um die Röstaromen zu verfeinern, dann ist die Illusion von Kälte doch genau, was ich brauche! Das Thermometer ist mir ziemlich egal, wenn ich mich subjektiv besser fühle.
Und genau deshalb ist die simple Anwendung von Naturwissenschaft hier so schwierig: Was man bei Sommerhitze tun soll, hängt nicht nur von unzähligen Parametern ab, von der Luftfeuchtigkeit über die Wärmeleitfähigkeit der Fenster bis zur Aerodynamik des Stadtviertels, sondern auch von persönlichen Vorlieben, die man nicht ausrechnen kann: Der eine hasst Luftzug, der andere findet ihn angenehm. Der eine leidet unter feuchter Luft, der andere nicht. Der eine liebt offene Fenster, den anderen stört der Straßenlärm. Was man am liebsten mag, muss man selbst herausfinden. Dafür gibt es keine Formel. Welche Musik mir gefällt, lässt sich auch nicht in Zahlen fassen.
Wissenschaft ist erstaunlich mächtig. Man könnte natürlich mit viel Aufwand ein Wohnhaus am Computer simulieren und berechnen, welche Anti-Hitze-Strategie dort mit der größten Wahrscheinlichkeit das Wohlbefinden steigert. Ich kann aber auch einfach mal die Nase aus dem Fenster stecken und ausprobieren, wie sich das anfühlt.
Genau das ist die große Kunst: Wir sollten die Wissenschaft nutzen, wo es möglich ist. Aber dort, wo es nicht möglich ist, sollten wir unsere Bauchgefühle nicht künstlich mit Formeln legitimieren. Die Trennlinie zwischen diesen beiden Bereichen ist schwer zu sehen – aber genau das wird in Zukunft zu den wichtigsten Grundfähigkeiten gehören, die jeder lernen sollte.
Zur Person
Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.
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