© Jürg Christandl

Rudolf Taschner

Die Zukunft ist unberechenbar

Liest man die historischen Romane Stefan Zweigs, beeindruckt die Kunst des Autors, kritische Momente der Geschichte zu verlebendigen: An einem bestimmten Augenblick hätte Maria Stuart nur ein wenig anders reagieren müssen, und ihr Königreich wäre gerettet. Zu einer bestimmten Stunde fasste die schottische Königin einen fatalen Entschluss, der ihr in der Folge unvermeidlich den Tod am Schafott bescherte. Hätte Marie Antoinette sich bei der Halsbandaffäre nicht so unbedacht verhalten, das Haus Bourbon wäre nicht untergegangen. Hätte ihr königlicher Gemahl bei der Flucht nicht den Ring getragen, der seine Identität verriet, das Königspaar wäre vor der Guillotine verschont geblieben.

Von Blaise Pascal stammt der Gedanke: Wäre die Nase der Kleopatra kürzer gewesen, hätte das Antlitz der Erde ein anderes Aussehen bekommen. Die vom Kismet oder vom ehernen Gesetz des Fortschritts oder von der List des Weltgeistes Überzeugten meinen, die Geschichte verlaufe wie ein durch natürliche, soziale, ökonomische und kulturelle Umstände vorherbestimmter Prozess, der von Aktivitäten politisch Handelnder in seinem Gang nicht aufgehalten oder umgelenkt werden könne. Doch sie irren. Figuren wie Julius Cäsar, Napoleon Bonaparte oder Franklin D. Roosevelt waren vor ihrer Zeit nicht vorhersehbar.

Historische Entwicklungen nicht launisch
Aber es irren auch diejenigen, die historische Entwicklungen als durch und durch launisch zu entlarven versuchen. Wäre Rom nicht von den Streitigkeiten zwischen Optimaten und Popularen zermürbt, Cäsar hätte eine unbedeutende Karriere vor sich gehabt. Wäre im Zuge der Französischen Revolution nicht der Nationalismus erwacht, Napoleon wäre ein Militär unter vielen geblieben. Hätte sich nicht 1929 der Black Tuesday ereignet, wäre Herbert Hoover Präsident geblieben und Roosevelt hätte nie den New Deal verkünden können.

Umfeld ermöglicht Geschichte
Das natürliche, soziale, ökonomische und kulturelle Umfeld einer Epoche determiniert zwar nie den Verlauf der Geschichte, aber ermöglichen kann es ihn. Es ist wie bei einem Würfel: Wenn er so gezinkt ist, dass er statt der Augenzahl sechs zwei Augenzahlen eins besitzt, wird man mit ihm nie eine Sechs werfen. Ist es hingegen ein ungezinkter Würfel, kann es geschehen, dass man mit ihm Sechs wirft. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar gering, sie beträgt nur ein Sechstel, aber sie ist zumindest positiv. Ebenso ist es in der Geschichte: Das Auftreten eines Stalin war im Russland des 18. Jahrhunderts schlicht undenkbar. Denn nie hätte ein georgischer Bauernsohn, selbst wenn er ein Priesterseminar besuchte, ein hohes politisches Amt ergreifen können. Die Wahrscheinlichkeit dafür war Null. In der Sowjetunion des 20. Jahrhunderts war sie hingegen positiv; zwar war sie 1923, vor Lenins Tod, noch klein, vielleicht sogar kleiner als der Wurf einer Sechs beim Würfeln, doch zumindest größer als Null.

Nun hat für die Vergangenheit der Begriff Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ereignis höchstens episodische Bedeutung. Nur wenn man sich wie Stefan Zweig in einen miterlebenden Zeitgenossen versetzt, darf man von ihr sprechen. Für die Zukunft hingegen ist Wahrscheinlichkeit der alles entscheidende Begriff. Lehrt doch die Geschichte – und dies ist eine der ganz wenigen Lehren, die man aus ihr ziehen kann –, dass Ereignisse weder wie von einem ehernen Gesetz vorherbestimmt und unabänderlich auf uns zukommen, noch dass wir ihnen schier blindlings, gänzlich unerwartet ausgeliefert sind. Wir können und wir sollten Zukunftsszenarien entwerfen. Wir können und wir sollten die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten der einzelnen Szenarien abschätzen. Und die politisch Verantwortlichen sollten durch Änderung des natürlichen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Umfelds dafür sorgen, dass die Wahrscheinlichkeiten für unliebsame Szenarien möglichst klein und die Wahrscheinlichkeiten für wünschenswerte Szenarien möglichst groß ausfallen.

Viel mehr kann man nicht tun. Denn die Zukunft ist prinzipiell unberechenbar.

Drastische Maßnahmen
Was die Zukunft Österreichs betrifft, ist es in den Zeiten der Finanzkrisen, der überbordenden Staatsverschuldungen, der Verwerfungen innerhalb der Europäischen Union besonders heikel, Wahrscheinlichkeiten für Zukunftsszenarien zu kalibrieren – wenn es überhaupt gelingt, mögliche zukünftige Entwicklungen gedanklich zu entwerfen. Allerdings gibt es zumindest einige sehr sichere Daten, unter ihnen die demographische Entwicklung des Landes, aufgrund derer Markierungen für die Zukunft Österreichs ersichtlich sind. Selbst wenn man von diesen spärlichen Daten ausgeht, erkennt man sehr schnell, dass in wesentlichen politischen Feldern drastische Maßnahmen zu setzen sind, will man die Wahrscheinlichkeit für eine unerwünschte Zukunft bei Null bannen.

Worum es sich bei diesen Daten und Szenarien handelt, wird Rudolf Taschner am Dienstag, den 29. November, beim Kunden- und Partnerevent des Bundesrechenzentrums (BRZ) in der Wiener Hofburg in seiner Key Note zum Thema "Wie berechenbar ist Österreichs Zukunft?" ausführlich erörtern.

Der Mathematiker Rudolf Taschner ist Professor an der Technischen Universität (TU) Wien. Gemeinsam mit seiner Frau und Kollegen gründete und betreibt er den "math.space" im Wiener MuseumsQuartier, der Mathematik als kulturelle Errungenschaft präsentiert und mehr als 30.000 Besucher im Jahr anlockt.

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