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Wissenschaft & Blödsinn

Essen wie früher

Es scheint eine Altersfrage zu sein. Als Studenten im ersten Semester hielten wir Tiefkühlpizza für ein wertvolles Grundnahrungsmittel und Büffelgrasvodka für ein Vitamingetränk. Irgendwann entwickelt man sich weiter. Doch man kann es auch übertreiben und sich in einem Gesundheitswahn verfangen, der nicht mehr gesund ist.

In urbanen, gebildeten Bevölkerungskreisen gehört es heute fast zum guten Ton, sich Sorgen über die Ernährung zu machen. Der eine bemüht sich gerade, Industriegifte im Körper mit Detox-Smoothies loszuwerden, die andere verbringt ihre Freizeit damit, panische Angst vor Mono- und Diglyceriden zu entwickeln. Die junge Familie mit dem Kind lebt jetzt lactose- und glutenfrei, nicht weil irgendwelche langweiligen wissenschaftlichen Tests auf eine Unverträglichkeit hingewiesen hätten, sondern weil der Großstadtschamane des Vertrauens das so ausgependelt hat.

Wenn moderne Menschen ihre Ernährungsprobleme vergleichen wie Philatelisten ihre Briefmarkensammlung, dann fühlt man sich als einigermaßen beschwerdefreier Allesfresser schon fast als Außenseiter. Ich kann bloß versuchen, mit Berichten über meine Pollenallergie Mitleidspunkte zu sammeln. Es misslingt: „Siehst du, das kommt, weil du so viel Chemie isst“, sagt man mir mit strengem Ton. Ich schäme mich, verstecke mich am Klo und löffle aus Frust heimlich ein halbes Glas industriegefertigte Billigmajonäse.

Die Paleo-Diät

Es liegt im Trend, sich bei der Ernährung auf alte Zeiten zu besinnen: Keine modernen Zusatzstoffe, keine Konservierungsmittel, keine industrielle Landwirtschaft. Doch es geht noch viel radikaler: Bei der Steinzeitdiät darf man nur essen, was auch bei unseren Vorfahren vor zwanzigtausend Jahren auf dem Speiseplan stand: Viel Fleisch, Eier, Obst und Gemüse, aber keine Milch- oder Getreideprodukte. Zucker ist überhaupt verboten, an Alkohol oder Konservierungsmittel ist gar nicht zu denken.

Manchen Leuten ist auch das noch zu harmlos. Sie gehen noch ein paar hunderttausend Jahre weiter zurück und lehnen auch das Erhitzen von Nahrungsmitteln ab. Bei der Grillparty ist das praktisch: Während alle anderen verzweifelt darauf warten, dass endlich eine ordentliche Glut entsteht und sich mit Ketchup und Cocktailsauce auf den Beinen halten, macht sich der Steinzeit-Rohdiät-Anhänger bereits über das blutige Steak her.

Die Idee dahinter ist, dass unser Körper evolutionär auf diese prähistorische Art der Ernährung ausgerichtet ist, und dass wir in den letzten paar Jahrtausenden noch keine Zeit hatten, uns körperlich an neumoderne Hypes wie Ackerbau und Viehzucht einzustellen. Wissenschaftlich ist das nicht haltbar: Erstens haben wir uns sehr wohl angepasst, so können etwa heute die meisten von uns im Gegensatz zu unseren altsteinzeitlichen Vorfahren Milchzucker verdauen, und zweitens hat Natürlichkeit noch nicht unbedingt etwas mit Gesundheit zu tun.

Zu viel Natur ist auch nicht gut

Man könnte genauso gut argumentieren, dass uns die Evolution daran angepasst hat, im Winter draußen zu schlafen oder den ganzen Tag nackt im Nieselregen durch den Wald zu wandern. Empfehlenswert ist das deshalb aber noch lange nicht.

Wir züchten Pflanzen und Tiere und sorgen damit für eine unnatürlich breite, gesunde und vitaminreiche Nahrungsvielfalt. Wir setzen ganz bewusst künstlich hergestellte Zusatzstoffe ein, um unsere Nahrungsmittel unnatürlich lange genießbar zu halten und ganz natürliche Effekte wie Fäulnis und Pilzbefall zu verhindern. Wir können dadurch eine große Zahl von Menschen auf unnatürlich kleinen Flächen ernähren und haben eine unnatürlich hohe Lebenserwartung erreicht.

Wer sich bei der Ernährung nach vergangenen Epochen zurücksehnt, trauert einer guten alten Zeit nach, die nicht gut war, und in der kaum jemand alt wurde. Natürlich muss man darüber nachdenken, ob sich unser Speiseplan in die richtige Richtung entwickelt. Sich ausschließlich von fettigem Fast-Food und überzuckerten Süßigkeiten zu ernähren, kann nicht gesund sein. Aber das bedeutet nicht, dass die Nahrung unserer Vorfahren perfekt war – weder die Bio-Nahrung unserer Urgroßeltern noch die Paleo-Diät unserer steinzeitlichen Ahnen.

Genuss statt Frust

Man redet uns heute ein, dass Essen etwas höchst Kompliziertes ist. Selbsternannte Berater ohne medizinische Ausbildung reden über Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Detox-Spezialisten machen uns Angst vor giftiger Schlacke im Körper, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, und das Wort „Chemie“ ist irrigerweise zum gefürchteten Kampfbegriff geworden, mit einem ähnlich schlechten Image wie „Atomunfall“ oder „Steuernachzahlung“. Wir haben Bücher über Trennkost, Rohkost, Urkost, Eiweißkost und Sonnenkost, und die Grüblerei darüber kostet uns den Schlaf.

Wir sollten nicht vergessen, dass Essen nicht nur die Gesundheit fördern, sondern auch Genuss bringen soll. Vielleicht kommen die Magenschmerzen mancher Leute nicht vom Essen, sondern viel eher von den Sorgen, die sie sich darüber machen.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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