Group of doctors analyzing medical data on laptop in the laboratory.
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Meinung

Forschen oder sterben

Der Spaß ist vorbei. Lange Zeit war Technologie hauptsächlich dazu da, unser Leben angenehmer zu machen. Wir haben erreicht, dass sauberes, warmes Wasser aus der Leitung kommt, dass wir komfortabel zu fernen Kontinenten reisen, dass wir mit unsichtbaren Wellen Botschaften austauschen können. Die technische Forschung schenkte uns elektrische Dosenöffner, Staubsaug-Roboter und Katzenvideos.

Das ist nun anders. Wissenschaft und Technologie ist kein Luxus mehr, den wir uns gönnen dürfen, wenn am Ende noch ein bisschen Geld übrig ist, sondern eine Überlebensfrage. Wir haben unseren Planeten aus dem Gleichgewicht gebracht und können das mit unserem heutigen Wissen nicht wieder in Ordnung bringen. Wenn wir keine neuen Forschungsergebnisse produzieren, dann sterben wir, und mit uns viele andere Spezies auf diesem Planeten.

Die Erde gehört jetzt uns

Wir haben – mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie – unsere Welt drastisch verändert. Noch nie in der Geschichte unseres Planeten hat eine Spezies die Erde so dominiert wie wir es heute tun. Unser Einfluss auf das Ökosystem ist gewaltig: Wir sind die erste Spezies, die Sümpfe trockenlegt, Flüsse reguliert und Wälder pflanzt. Wir beeinflussen die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre und der Ozeane. Die meisten großen Tiere leben deswegen, weil wir das so wollen – weil wir ihr Fleisch oder ihre Milch nützlich finden.

Die Technik hat unseren Handlungsspielraum radikal erweitert. Jedes Kind hat heute Möglichkeiten, von denen unsere haarigen Vorfahren am Rand der Savanne nicht einmal träumen konnten – und das ist gut so. Aber wir haben durch unsere Fortschritte einen Punkt erreicht, an dem wir nicht mehr umkehren können.

Die Geister, die wir riefen

Das erinnert an die Geschichte vom Zauberlehrling, der mit Zaubersprüchen herumspielt, die er noch nicht ganz verstanden hat. Der Hexenmeister ist nicht zu Hause, und so verwandelt der Zauberlehrling einen Besen in einen Wasserträger, der ihm die Badewanne anfüllen soll. Anfangs klappt das gut – doch der Zauber lässt sich nicht mehr stoppen. Immer mehr Wasser wird herbeigeschleppt, das ganze Haus wird zum reißenden Strom, der Zauberlehrling droht zu ertrinken. Die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los.

Und auf ähnliche Weise stellen wir heute fest, dass wir auf unserem Planeten einen Veränderungsprozess in Gang gesetzt haben, der sich nicht mehr aufhalten lässt. Das Klima verändert sich mit besorgniserregender Geschwindigkeit, wir verbrauchen Rohstoffe schneller, als sie nachwachsen können, wir verschmutzen die Meere und zerstören Lebensräume.

Müssen wir also zu einem romantisch-vorindustriellen Lebensstil zurückkehren? Was ist, wenn wir auf die Technik wieder verzichten und im Garten Schafe grasen lassen, so wie früher?

Nein. Jeder Versuch, die technologische Entwicklung umzukehren wäre völlig sinnlos. Selbst wenn wir beschließen, ab morgen wieder so zu leben wie im achtzehnten Jahrhundert, würden wir die Welt damit nicht retten. Dafür ist unser Eingriff in die Natur schon lange zu schwerwiegend. Eine globale Entwicklung, die ins Rollen gekommen ist, kann man nicht durch Untätigkeit aufhalten.

Mehr Forschung jetzt!

Die Geschichte vom Zauberlehrling findet ein gutes Ende: Als die Not am größten ist, kommt nämlich der Hexenmeister zurück. Er versteht die Gesetze der Zauberei viel besser als der unerfahrene Lehrling und bringt die Sache mit dem richtigen Zauberspruch wieder in Ordnung.

Genau so müssen wir es auch machen: Wir müssen die Gesetze der Natur besser verstehen und die Sache mit der richtigen Technologie wieder in Ordnung bringen. Nicht durch ein Zurück in vortechnologische Zeiten können wir unsere Probleme in den Griff bekommen, sondern durch mehr Wissenschaft und Technologie.

Wir müssen Möglichkeiten finden, unseren Energiebedarf auf nachhaltige Weise zu decken. Wir müssen die Stoffkreisläufe schließen und unsere Rohstoffe aus Abfällen gewinnen. Wir müssen neue Materialien entwickeln, um unabhängig von Minen und Bergwerken zu werden, die zwangsläufig eines Tages erschöpft sein werden. Wir müssen eine Landwirtschaft gestalten, die umweltfreundlich und nachhaltig ist. Wir müssen die Ökosysteme besser verstehen, um sie wieder in ein stabiles Gleichgewicht zu bringen. Wir müssen Technologien entwickeln, mit denen man Kohlendioxid aus der Atmosphäre holen und sicher verwahren kann.

All das wird eine Menge Arbeit. Aber es sind keine aussichtlosen Aufgaben.

Was wir dafür aber brauchen, ist ein gesellschaftlicher Konsens, dass Wissenschaft und Forschung keine nette Fleißaufgabe ist, der man sich widmet, um ein paar neue spaßige Technik-Spielzeuge zu entwickeln. Die mögen als Nebenprodukte entstehen. Aber Forschung und Technologie brauchen wir heute in erster Linie dafür, um das Überleben unserer Spezies zu sichern. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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