© Florian Aigner

Wissenschaft & Blödsinn

Ich öffne mein drittes Auge

Ich werde sie einfach nicht los, diese seltsamen diffusen Kopfschmerzen. Der Arzt meint, es liegt bloß an Verspannungen, vielleicht sollte ich weniger Zeit vorm Computerbildschirm verbringen. Ich setze mich also vor den Computerbildschirm und versuche im Internet herauszufinden, ob er Recht hat.

Dabei mache ich eine erstaunliche Entdeckung. Es gibt ziemlich viele mögliche Ursachen für Kopfschmerzen, aber eine davon erscheint mir ganz besonders plausibel: Die Schmerzen können darauf hindeuten, dass mein drittes Auge gerade dabei ist, sich zu öffnen.

Die Sache mit dem dritten Auge ist nicht so einfach: Jeder von uns hat eines, und zwar mitten auf der Stirn. Es handelt sich dabei um das sechste Chakra, das für außersinnliche Wahrnehmungen zuständig ist. Wer gelernt hat, mit dem dritten Auge zu sehen, kann damit auf den ersten Blick die Aura fremder Menschen erkennen. Das stelle ich mir besonders praktisch vor, wenn man bei der Flughafensicherung arbeitet: Dann wird jeder Terrorist anhand seiner bösartigen Aura sofort überführt, das mühsame Durchleuchten der Gepäckstücke kann man sich sparen.

Das dritte Auge lohnt sich

Auch für Immobilienmakler lohnt sich ein drittes Auge, mit ihm kann man wertvolle Kraftorte nämlich als strahlende Lichtsäulen erkennen. Ebenso werden Engel, Feen und andere feinstoffliche Lichtwesen sichtbar, angeblich kann man damit sogar in die Zukunft blicken.

Wie viele Menschen ihr drittes Auge verwenden, weiß ich leider nicht. Dummerweise kann man die dritten Augen anderer Leute erst dann sehen, wenn man selbst sein drittes Auge öffnet – und das ist ein etwas komplizierter Prozess, der mir nun offenbar bevorsteht.

Eigentlich bin ich gar nicht sicher, ob ich das überhaupt will. Meine beiden Originalaugen sind nicht die besten, ich bin etwas kurzsichtig. Wer weiß, ob ich für mein drittes Auge dann auch eine Sehhilfe brauche? Wo bekomme ich im Bedarfsfall feinstoffliche Brillengläser her? Was ist, wenn ich mit dem dritten Auge dann ständig feinstofflichen Dreck in meiner Küche wahrnehme und dadurch das Putzen viel länger dauert als bisher?

Allerdings erfahre ich, dass mein drittes Auge in meiner Kindheit vermutlich bereits geöffnet war. Die meisten von uns kommen nämlich mit einem wachen dritten Auge zur Welt, verschließen es dann im Lauf der Zeit und müssen dann im Erwachsenenalter erst mühsam wieder lernen, es zu benutzen. Ich kann mich zwar nicht erinnern, als Kind jemals Engel oder Feen erblickt zu haben, aber wenn ich darüber nachdenke, habe ich die Dinge damals wirklich aus einer anderen Perspektive betrachtet. (Also mehr von unten. Ich war schließlich deutlich kleiner.) Wie auch immer: Wenn mein drittes Auge damals schon offen war, dann kann es auch nicht so gefährlich sein, es erneut zu versuchen.

Lichtstrahl des Erzengel Raffael

Ich erkundige mich also, wie das am besten gelingt. Wenn das dritte Auge verklebt ist, so erfahre ich, dann muss man den Erzengel Raffael bitten, es mit Licht zu reinigen. Der Gedanke behagt mir nicht besonders. Ich habe zwar nichts gegen Engel, ich mag jede Art von Geflügel. Aber dass mir irgendwelche fremden Lichtgestalten in meinem Auge herumfummeln, das geht mir dann doch zu weit. Da muss es auch andere Methoden geben.

Jedes Chakra hat eine Farbe, und die Farbe des Stirnchakras ist violett. Daher soll man sich mit violetten Dingen umgeben, wenn man das dritte Auge öffnen möchte. Das klingt logisch. Dummerweise habe ich kaum violette Gegenstände in meiner Wohnung. Eine Flasche Veilchenlikör steht noch herum, das könnte funktionieren. Wichtig ist es, die violette Farbenergie tief in mein Inneres einzulassen. Das schmeckt zwar recht intensiv süß, aber was tut man nicht alles für seine Gesundheit. Bald schon spüre ich eine feinstoffliche Wärme, die sich im ganzen Körper ausbreitet. Schluck für Schluck meditiere ich die Flasche zu Ende, und tatsächlich beginnen die Dinge nach und nach eine Aura zu bekommen.

Das dritte Auge ist eine tolle Sache, nur schlecht fürs Gleichgewicht. Das hat wohl mit den unübersichtlich vielen Dimensionen zu tun, die ich jetzt wahrnehmen kann. Endlich sehe ich die Dinge, wie sie wirklich sind. Teilweise sogar doppelt. Erst leuchtet der Likör. Dann tanzen die Feen. Langsam und lautlos legt sich ein liebliches lila Licht übers Land. Hihi.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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