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Gastkommentar

MWC 2012: Augmented Reality

Der Mobile World Congress in Barcelona ist ein anregender Spielplatz für digitale Eingeborene. Er bedient die Steigerungslogik der mobilen Kommunikation mit entsprechenden Innovationen wie z.B. Vierkernprozessoren, hochauflösenden Handy-Kameras mit 41 Megapixel, wasserdichte (weil nanobeschichtete) Handys usf.

Treiber dieser Technologien sind die „Digital Natives“, für die Kommunikation ein Lebens- und mobiler Konsum ein Genussmittel ist. Die Netz-Generation empfindet das Internet nicht als Parallel-Welt irgendwo da draußen, sie lebt in der virtuellen Welt ebenso selbstverständlich wie in der realen. Daher treibt sie die digitale Erweiterung der physischen Welt voran, der „Augmented Reality“, welche die Grenzen zwischen Realität und Virtualität zunehmend aufhebt.

Immer mehr Elektronik ist heute unsichtbar in unsere Umgebung und unseren Alltag eingebunden. Die Welt ist voller Sensoren, mobiler Chips, Smart Tags u.a. Diese vernetzen nicht nur uns Menschen, sondern – immer mehr – auch Konsumgüter und Geräte miteinander bzw. mit unseren mobilen Kommunikationsmedien. Der IT-Vordenker Nicholas Negroponte hatte es schon vor Jahren vorausgesehen: „In drei bis fünf Jahren wird die größte Internet-Community aus Waschmaschinen, Geschirrspülern, Tiefkühltruhen und Spielsachen bestehen“. Eine smarte Welt, in der irgendwann jedes Produkt über Tags für Konsumenten zugänglich sein wird zum Abruf von Infos, Service etc.

Intelligente Bikinis und Telematik-Systeme
In Sportshirts sind waschbare Sensoren integriert, die die Herzfrequenz überwachen, intelligente Bikinis messen den aktuellen UV-Wert. Telematik-Systeme werden eingesetzt, um den Verkehrsfluss der öffentlichen Transportsysteme effizienter und Ressourcen schonender zu gestalten. Automatische Leitsysteme lenken in spätestens einem Jahrzehnt den Verkehr durch die Strassen, sprechende Ampeln teilen dem Fahrer über ein Display im Auto kurz vor der Kreuzung mit, wann sie auf Grün umschalten werden. Sprechende Strassen, sprechende Autos. Die intelligente Stadt der Zukunft besteht aus unzähligen Knotenpunkten eines riesigen Netzwerks, ein Nervensystem aus Licht Glasfaserkabeln überzieht künftig den öffentlichen Raum.

Mit High-Tech-Prognosen sollte man aber besonders vorsichtig sein. Bis heute ein Minderheiten-Programm ist etwa der intelligente Kühlschrank, der Lebensmittel selbständig bestellt und dem Hausherrn die Herausgabe einer zweiten Flasche Chardonnay verweigert, wenn dieser mal wieder über die Promillegrenze getrunken hat. Die Erklärung dafür ist einfach: so viel Intelligenz in seiner Umgebung verträgt der Mensch nicht. Die Liste der technologischen Prognosen ist daher so lang wie ihr Scheitern – nicht alles was technisch machbar ist, wird auch vom Menschen umgesetzt. Der „Augmented Reality“ jedoch gehört die Zukunft, weil sie vielfach schon in der Gegenwart angekommen ist.

Man versteht die Anzeigentafel in einer U-Bahnstation in Madrid nicht? Mit der „World Lens“-App auf dem Smart Phone kein Problem – man zielt mit seinem Handy auf die Schrift, die App übersetzt den Text (in dem Fall Spanisch-Englisch) und verwandelt ihn in ein Bild, sodass auf dem Display letztlich die englische Schrift realitätsgetreu steht. Man steht im Supermarkt vor den Regalen und weiß nicht, was kochen? Man richtet seine Handy-Kamera auf eine Flasche Heinz Tomato Ketchup und erhält (über eine spezielle Scanner-Software) augenblicklich entsprechende Rezepte aufs Handy.

Praktische Helfer
In einer beschleunigten Transit-Gesellschaft – 2015 soll laut Marktforscher Gartner weltweit jedes zweite verkaufte Handy ein Smartphone sein, in Westeuropa beinahe jedes – werden sich vor allem mobile Dienste und Applikationen durchsetzen, die uns den Alltag erleichtern. High-End-Convenience verschränkt sich mit Hightech, besonders die Augmented-Reality-Apps leisten hier praktische Dienste: sie sind wertvolle Orientierungshilfen, vom Car Finder bis zur touristischen Information Wikitude (die die mit dem Handy gescannte Sehenswürdigkeit mit entsprechenden Informationen auf dem Display versieht). Augmented-Reality-Apps werden zur Bedienungsanleitung für eine digital vernetzte Welt.

Derartige Realitäts-„Erweiterungen“ verändern natürlich Organisationen, soziale Gewohnheiten und das Konsum-Verhalten. Im vor kurzem eröffneten Hamburger Adidas Shop „Neo“ steht mitten im Geschäft ein interaktiver Spiegel. Der Kunde kann darin nicht nur sich selbst beim Anprobieren bewundern, sondern auch mit einer Konsole einen Film drehen, untermalt von selbst gewählter Musik und passender Beleuchtung. Das Video wird auf Wunsch auf die eigene Facebook-Seite hochgeladen, so dass auch die Freunde ihre Meinung über das neue Kleidungsstück abgeben können.

Ambient Intelligence ist das Zauberwort der „erweiterten Welt“ von morgen: alles ist mit allem und jedem unsichtbar verbunden. Man kann es auch anders sagen: der Mensch denkt, der Chip lenkt.

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