Peter Glaser: Zukunftsreich

RTFM (Read The Fucking Manual)!

Ich meine, man probiert es ja mit dem Handbuchlesen. Man zeigt guten Willen. Vor allem möchte man, dass einem die wunderbare Vielfalt eines neu erworbenen, hochtechnologischen Produkts auf quasi magische Weise zur Verfügung steht – UND ZWAR SOFORT. Man möchte wissen, wie`s geht und nicht erst drei Wochen später von einem Bekannten den Tip bekommen, es würde doch zu einem ähnlichen Problem ein hilfreiches Diskussionsforum im Internet geben. Der Mensch des digitalen Zeitalters ist extrem ungeduldig, denn Computer und Netz verlocken uns mit der Vorstellung einer Jetzt-Sofort-Alles-Maschine.

„Treten Sie die Nummer ein"
Mal ehrlich, wer liest schon Anleitungen? Gut – wenn man gerade schlechte Laune hat, kann das Anleitungenlesen helfen, einen wieder aufzuheitern. Etwa wenn man über den Nummernspeicher in seinem neuen Telefon erfährt: "Treten Sie die Nummer ein und lassen Sie sie eingelagert". Oft sind es reizvolle Herausforderungen an die Intelligenz, die uns Bedienungsanleitungen servieren. Was, beispielsweise, ist ein "freigestellter Singweisengriffer" am Mobiltelefon? Nachdem man die Singweise in einen Klingelton und den freigestellten Griffer in einen Menü-Auswahlknopf rückübersetzt hat, stellen sich warme Schauder des Verstehens ein.

Urahn des Anleitungskauderwelschs: das Amtsdeutsch
Manche Hersteller verfassen ihre Manuals in einer Fortführung jener Tradition, die mit dem Behördendeutsch ihren Anfang genommen hat. Dabei geht es darum, keinesfalls die gängigen Bezeichnungen zu verwenden, sondern sperrige, sonderbare Begriffe einzuführen. Für die Post war das, was jeder Mensch eine Telefonzelle nannte, vormals ein Öffentlicher Münzfernsprecher. Das Telefonbuch, zu dem jeder Telefonbuch sagte, hieß korrekt Öffentliches Fernsprechverzeichnis. Eine zeitgemäße Fortführung fand das Amtsdeutsch in den Bedienungsanleitungen von Technologieunternehmen wie Siemens oder Microsoft.

Die geheimnisvolle Flucht
Bereits in der PC-Frühzeit scheiterten Hersteller mit dem Versuch, die Fertigkeiten ihrer Maschinen schriftlich an die Nutzer weiterzuvermitteln. Als ich 1984 zum ersten Mal versuchte, einen Drucker an meinen C-64 anzuschließen, fand ich im Handbuch das dazugehörige Kapitel mit der beunruhigenden Überschrift: "Keine Angst vor Hexadezimalcode". Unter anderem war da von "Fluchtsequenzen" die Rede, aber was sollte da flüchten? Lange später erst ging mir das Licht auf, dass "Flucht" auf Englisch ja "Escape" heißt und dass ich bei einem Freund einen anderen Computer mit einer Taste gesehen hatte, die mit ESC beschriftet war. An der selben Stelle war auf der Tastatur meines C-64 ein Pfeil, und mir dämmerte, dass das etwas so wie einen Fluchtweg-Pfeil darstellen sollte.

Wunderbare neue Zumutungen
Eine andere Möglichkeit neben dem Handbuchlesen ist das ziellose, eigensinnige Herumprobieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass die meisten Menschen mit neuer Technik nach dieser Methode verfahren. Ein neues Gadget oder neue Software sind verbunden mit dem Gefühl, dass man damit wahrscheinlich bis zum Mars fliegen könnte, wenn man nur wüßte, wo man drücken muß. Nach der Blitzeroberung der rudimentären Grundfunktionen tritt gewöhnlich eine längere Latenzphase ein. Man gewöhnt sich an die wunderbare neue Zumutung.

Anleitungen sind nichts für Anwender
Hardware und Software sind dann wirklich gut, wenn sie sich verstehen lassen, während man sie benutzt und nicht, während man eine Anleitung liest. Ich glaube, inzwischen sind Bedienungsanleitungen so etwas ähnliches wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die man im Netz ständig anklickt, ohne sie gelesen zu haben. Sie sind etwas für Juristen, nicht für Anwender. Von Apple-Usern hieß es zum Beispiel schon früh, man könne sie an den eingeschweißten Handbüchern erkennen.

Im übrigen hatten die interessanten Computergames schon in der Spielefrühzeit pointierte Anleitungen. Die für eines meiner Lieblingsspiele Anfang der achtziger Jahre, ein wunderbares Ballerspiel namens "Goldrunner", war genau zwei Sätze lang: "If it moves, shoot it. If it doesn`t move, blast it."

Peter Glaser Zukunftsreich

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare