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Peter Glaser: Zukunftsreich

Schamlose Maschinen

Wenn mich ein Roboter hätte sehen können, er hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Ich saß auf der Bettkante und versuchte, einen Gedanken festzuhalten, den ich aus einem Traum gerettet hatte. Solche Geistesgebilde sind zart und flüchtig, wie kleine Gebäude aus Asche. Auf dem Nachttisch lag eine Packung Kopfschmerztabletten, und ich trennte die Schachtel auf, um das unbedruckte Innere als Notizzettel benutzen zu können. Mir war eingefallen, dass ich in der Hosentasche einen Kugelschreiber hatte, also angelte ich meine Hose vom Fußboden und suchte meinen Weg in die Beinröhren. Ich versuchte, nicht allzu intensiv an den Kugelschreiber zu denken, um den zarten, noch unnotierten Gedanken nicht zu verscheuchen. Während ich mir die Hose anzog, fiel der Kuli aus der Hosentasche.

Ich sah mir dabei zu, wie ich ein verdrehtes Hosenbein geradeschob und am Reißverschluß zippelte, bis er sich endlich hochziehen und mit dem Metallknopf im Bund abschließen ließ, über dem dann noch die Gürtelschnalle zugemacht wurde. Angesichts der Umstände, die ein Mensch auf sich nimmt, um bekleidet an der Zivilisation teilzunehmen, fragte ich mich, wie wohl ein Robotiker mit einem solchen Aufwand umgehen würde.

Einfache Antwort: Garnicht.

Hightech und Hosen
Kein Kybernetiker würde auf die Idee kommen, einen Roboter zu bauen, der sich eine Hose anziehen kann. Das ganze Konzept des Hoseanziehens ist aus Sicht eines Roboterbauers absurd. Ein Roboter mit Hose würde nur Umstände machen. Dinge wie Schamhaftigkeit oder Schutz vor Kälte und Schmutz sind für eine Maschine kein Thema.

Der Kuli, der aus meiner Hose gefallen war, war ein Stück unters Bett gerollt. Da ich zu faul war, mich zu bücken, tastete ich mit einem Fuß nach dem Stift. Als ich ihn fühlte, konnte ich eine kleine animalische Fähigkeit zum Einsatz bringen, über die ich verfüge: Ich kann auch mit den Zehen greifen. Ich reichte mir den Kuli mit dem Fuß in die Hand und notierte ein paar Stichworte auf die weiche Innenseite der Schachtelpappe.

Die Neuerfindung des Menschseins
Es gibt unter den Robotikern ein paar, die sich als Avantgarde sehen. Sie vertreten die Auffassung, dass nicht ein weiterentwickelter Mensch, sondern eine künstlich intelligente Maschine der nächste Schritt der Evolution sei. Männer wie Hans Moravec, Kevin Warwick oder Ray Kurzweil sehen die Zukunft in Maschinenwesen, die sich nicht mehr mit Hosen befassen sollen. Diesen Männern geht es allerdings ähnlich wie der NASA. Niemand begeistert sich mehr so recht für ihre Ideen, also werden die Propaganda-Coups aberwitziger.

Warwick beispielsweise, er leitet das Institut für Kybernetik an der Universität Reading bei London, hat sich vor einiger Zeit einen Chip einpflanzen und mit Nervenfasern verbinden lassen. Die wissenschaftliche Ausbeute des Selbstversuchs war gleich null, der PR-Effekt beträchtlich. Kurzweil hat einen Aufsatz über die „Neuerfindung des Menschseins" veröffentlicht. Darin kündigt er einen radikalen Entwicklungssprung der Spezies Mensch im Lauf der nächsten 40 Jahre an. Das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine une eine explosionsartige Zunahme künstlicher Intelligenz werde seiner Meinung nach eine wunderbare Welt hervorbringen, in der die Unterschiede zwischen biologischen und mechanischen Systemen aufgehoben sein werden. Vielleicht werden sich Maschinen in einer Zukunft dafür schämen, vom Menschen herzukommen, so wie es dem Menschen einmal unangenehm war, vom Affen abzustammen.

Drei Minuten auf der Bettkante
Die erträumten Zukunftswesen, die den Menschen in seinen Fähigkeiten weit übersteigen sollen, werden eine Menge Dinge nicht können, weil ihre Konstrukteure es nicht für nötig halten. Wozu sollte das auch gut sein, dass eine künstliche Intelligenz beispielsweise Hosen trägt? Nichts von dem, was ich in den drei Minuten auf der Bettkante gemacht habe, würde in die Interessenssphäre einer solchen Übermenschmaschine fallen. Die Künstliche Intelligenz würde sich nicht in eine Hose wurschteln und keinen Pappfetzen für ihre Notizen benutzen. Sie hätte keinen Traum, aus dem ein vager Gedanke aufstiege, kein Kuli fiele ihr aus der Tasche, und bei dem Versuch, ihn unterm Bett vorzuangeln, entfiele ihr auch nicht wieder die Hälfte.

Sie hätte in einem Sekundenbruchteil die Beobachtung sichergestellt, dass eine Hose vielleicht dem emotionalen Bedürfen eines Menschen entgegenkommt. Und sie hätte, allerdings unabsichtlich, dem Menschen wieder deutlich gemacht, was ein Mensch ist: Das Wesen, das die Hosen anhat.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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