© Wiener Linien / ZinnerHonorarfreie Nutzung bei Namensnennung ausschliesslich fuer redaktionelle Verwendung.

Nach Vorfall in Wiener U-Bahn

Videoüberwachung bringt nicht mehr Sicherheit

Drei Viertel aller Garnituren sind bei den Wiener Linien derzeit mit Kameras ausgerüstet, der Rest soll "so rasch wie möglich" folgen, so die Wiener Linien nach dem bestürzenden Vorfall in der Wiener U-Bahn. FPÖ-Politiker fordern aufgrund des aktuellen Anlasses neben einer eigenen Sicherheitswacht gar eine "Ausweitung der Videoüberwachung nicht nur in den Öffis, sondern auch auf Plätzen und in Gemeindebauten". Auch in Deutschland wurde vor wenigen Tagen nach einem gescheiterten Bombenanschlag im Bonner Hauptbahnof der Ruf nach dem Ausbau der Videoüberwachung wieder lauter. Doch ist der Ausbau von Überwachung tatsächlich die Lösung?

Die Wiener Linien argumentieren aufgrund des aktuellen Falls damit, dass eine Überwachung mittels Videoüberwachung sehr wohl "sinnvoll" sei. Tatsächlich konnte der Täter in dem konkreten Fall binnen 24 Stunden durch die massive Verbreitung des Fahndungsfotos über sämtlichen Medienanstalten des Landes (TV, Online, Zeitung) gefasst werden. Auch auf das "gestochen scharfe" Fahndungsfoto, das die Kamera lieferte, war man äußerst stolz.

Subjektives Sicherheitsgefühl
Aber wäre in dem Zug keine Kamera montiert gewesen, wäre der Täter erst beim Weglaufen in der Station gefilmt worden - was immer noch früh genug gewesen wäre, wenn man davon ausgeht, dass die Videoüberwachung (wie bisher) nur zur Täterausforschung herangezogen wird und nicht zur eigentlichen Verhinderung des Verbrechens, in dem Fall einer brutalen Vergewaltigung.

Die Erweiterung der Videoüberwachung in den restlichen Zügen der Wiener Linien würde lediglich eine Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls (zum Beispiel für alle jene Frauen, die täglich alleine in der betreffenden U-Bahn-Station einsteigen müssen) mit sich bringen, aber die Sicherheit nicht tatsächlich erhöhen. Denn auch wenn in allen Waggons Kameras angebracht wären - das Material aus den Zügen wird dennoch nicht live ausgewertet.

Verbrechen nur schwer zu verhindern
Eine "Echtzeitüberwachung" sei bei den derzeit insgesamt rund 2500 Kameras in den U-Bahn-Zügen und 1500 Kameras in den Stationen technisch nicht möglich, heißt es bei den Wiener Linien. Und hier kann man nur sagen: Glücklicherweise. Denn eine derartige Echtzeitüberwachung würde praktisch jeden einzelnen Bürger unter Generalverdacht stellen - und im Ernstfall auch nicht bei der Verhinderung eines Verbrechens nützen.

Nehmen wir mal an, es hätte tatsächlich ein Mitarbeiter der Wiener Linien in der Kamera gesehen, wie die betroffene Frau vom Täter geschlagen und im Waggon verschleppt wird. Der Mitarbeiter müsste jemanden vor Ort (wie z.B. den Lokführer) per Funk/Telefon über den Vorfall informieren und dieser müsste in der nächsten Station das entsprechende Zugabteil stürmen. Und dieser Vorgang soll sich innerhalb von den besagten fünf Minuten oder drei Stationen, die es gedauert hat, bis der Täter von seinem Opfer abgelassen hat und geflüchtet ist, umsetzen lassen? Das ist schwer zu glauben. Möglicherweise wäre der Täter auf diese Weise schneller gefasst worden, aber das Verbrechen - die brutale Vergewaltigung der Frau im U-Bahn-Waggon - wäre auch mit Echtzeitüberwachung nur schwer zu verhindern gewesen.

Wie lässt sich "abnormales Verhalten" erkennen?
Es wird auch seit Jahren wie z.B. im Rahmen von diversen Forschungsprojekten wie beispielsweise

daran geforscht, eine derartige Echtzeitüberwachung zu automatisieren, um strafrechtlich relevante Bedrohungen und Taten bereits "im Vorfeld" zu erkennen. Dazu sollen die Bilder aus der Videoüberwachung mit Informationen aus dem Internet (auch Social Networks) und einer Vielzahl weiterer Datenquellen wie Polizei, Telefonfirmen oder Banken automatisch verknüpft werden. Diese Forschung wird von verschiedenen europäischen Einrichtungen und Universitäten betrieben, auch in Österreich.

Doch genau hier beginnt ein äußerst heikler Bereich: Der Bereich, wie eine Maschine erkennen kann, welches Verhalten als "abnormal" bezeichnet werden kann und welches der "Normalität" entspricht. Wie kann eine Maschine zwischen einem zur Weihnachtszeit vom Punschtrinken am Christkindlmarkt bedienten, in der U-Bahn herumtorkelnden Menschen von einem Sextäter oder Smartphone-Räuber unterschieden werden? Das ist derzeit nicht möglich - und wäre auch äußerst gefährlich. Ein Computer registriert das Gesicht eines "Verdächtigen" und grast dann automatisch das Bilderpool der Polizei sowie soziale Netzwerke oder das World Wide Web ab, um weitere Informationen zu einem zu sammeln und Personen würden vielleicht völlig unbegründet in alltäglichen Situationen ins Visier kommen.

Keine erhöhte Aufklärungsrate
Doch zurück zur Videoüberwachung, wie es sie jetzt bereits gibt: Großbritannien gilt als das Land mit den weltweit meisten Überwachungskameras. Über eine Million Videokameras gibt es dort im Einsatz, allein in London befinden sich über 10.000 Kameras. Doch auch dort ist die Aufklärungsrate von Verbrechen laut diversen britischen Polizeiberichten, die aufgrund des Gesetzes zur Informationsfreiheit einsehbar waren, nicht gestiegen. Dort lag die Aufklärungsrate für Verbrechen in denjenigen Stadtteilen mit den meisten Überwachungskameras überwiegend unter dem Durchschnitt.

Das zeigt deutlich, dass Überwachungskameras nicht das Allheilmittel sind, als das sie manche Politiker sehen. Außerdem gibt es dadurch automatisch auch immer eine gewisse "Neigung zu Missbrauch". Bereits im Jahr 2008 wurden gegen die Wiener Öffis "Datenmissbrauchsvorwürfe" laut (siehe Link). Doch während in Deutschland nach dem Bonner Vorfall diverse Politiker bereits laut über die Problematik debattieren, nahm in Wien bisher lediglich die Wiener FPÖ zur Ausweitung der Überwachungskameras Stellung. Doch auch in Österreich wäre  eine sachliche Debatte zum Ausbau von Videoüberwachung höchst angebracht.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare