Weihnachten ist unwissenschaftlich – und das ist gut so
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Weihnachten ist eine seltsame Angelegenheit. Mitten im Winter töten wir Tannenbäume und stellen sie in unsere Wohnungen, um die Geburt eines antiken Sozialrevolutionärs aus dem Nahen Osten zu feiern, der mit Tannen überhaupt nichts zu tun hatte und höchstwahrscheinlich auch nicht zu dieser Jahreszeit geboren wurde.
Geschichten, wonach ein „Stern von Bethlehem“ das Ereignis am Himmel angezeigt haben soll, lassen sich wissenschaftlich nicht bestätigen, und obwohl das Fest viel mit Lichtmythologie zu tun hat, feiert man es nicht exakt am Tag der Wintersonnenwende, sondern sinnloserweise ein bisschen danach.
Ist Weihnachten unwissenschaftlich? Darf man als rationaler, wissenschaftlich denkender Mensch überhaupt Weihnachten feiern? Soll man ein religiöses Fest als Anlass für Familienzusammenkünfte nehmen, auch wenn man sich von Religion sonst eher fernhält? Darf man sich als politisch denkender Staatsbürger auf Weihnachten freuen, ohne das Fest gleichzeitig angesichts seiner Kommerzialisierung diskursiv zu dekonstruieren? Ist es in Ordnung, Kindern Lügengeschichten über Fabelwesen zu erzählen, die mit wissenschaftlich höchst fragwürdiger Effizienz den ganzen Erdball an einem einzigen Tag mit Geschenken versorgen?
Ja, natürlich darf man das. Weihnachten ist großartig. Dafür braucht man keine Wissenschaft.
Naturwissenschaft hat Grenzen
Seit mittlerweile vier Jahren schreibe ich hier in der Futurezone über wissenschaftliches Denken und über seltsamen esoterischen Unfug. Da ist es wohl Zeit, auch einmal zu überlegen, wo die Naturwissenschaft ihre Grenzen hat und für welche Lebensbereiche sie nichts Konstruktives beizutragen kann.
Die Wissenschaft brauchen wir, wenn wir Fakten bewerten, die physische Welt verstehen und logische Zusammenhänge erkennen wollen. Doch bei manchen Dingen helfen uns wissenschaftliche Fakten nicht weiter, sie sind einfach Geschmackssache. Das darf man ruhig akzeptieren, auch als überzeugter Wissenschaftsfan.
Wir Menschen sind von Natur aus so gebaut, dass wir Rituale und Traditionen brauchen. Sie gehören zu unserem Leben wie das Atmen, Essen und Trinken. Feste feiern ist keine geniale Erfindung irgendwelcher Philosophen oder Religionsgründer, sondern ein menschliches Bedürfnis. Rituale an astronomische Tatsachen anzupassen und im wiederkehrenden Jahrestakt zu feiern, ist ziemlich naheliegend. Und sich gerade für die längsten, dunkelsten und kältesten Nächte des Jahres ein warmherziges Lichterfest auszudenken, ist auch keine besonders überraschende Idee.
Die Natur macht Pause, und auch uns tut es gut, einmal im Jahr ein bisschen langsamer zu werden, damit der Kopf wieder frei für Neues wird. Das hat sich bewährt. Wenn man es wissenschaftlich formulieren möchte, könnte man sagen: Der Erfolg des Weihnachtsfestes ist experimentell beeindruckend gut bestätigt.
Aber ein traditionelles Fest ist keine wissenschaftliche Theorie. Es stellt nicht den Anspruch, uns Wahrheiten zu verkünden, es muss daher auch nicht wissenschaftlich hinterfragt werden. Wer möchte, kann sich rational klingende Gründe für das Fest ausdenken – etwa die Geschichte von einem jungen Paar, das vor zweitausend Jahren fern der Heimat ganz ohne Kindergeld und medizinische Supervision ein Kind bekam und trotz aller widrigen Umstände vor lauter Freude die Engel singen hörte.
Wer die Sache lieber wissenschaftshistorisch anpackt, kann auch den Geburtstag eines ganz besonderen Menschen feiern, der unsere Welt mit seinen revolutionären Gedanken nachhaltig verändert hat: Der große Physiker Isaac Newton kam am 25. Dezember 1642 zur Welt.
Und wenn jemand stattdessen lieber ein Fest zu Ehren der kosmischen Einhörner, der feinstofflichen Energieschwingungen oder des großen Cthulhu feiern möchte, soll es mir auch recht sein. Weihnachten ist für alle da. Es ist ein Fest, bei dem man sich mit netten Leuten trifft, gut isst und trinkt und sich ein paar Tage Pause gönnt – und daran kann doch nun wirklich nichts falsch sein.
Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.
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