© Screenshot/32c3 Live-Stream

Vortrag

32c3: Floskeln als Krisenbarometer einer Gesellschaft

„Bei Floskeln geht es nicht darum zu lügen“, meint Kai Biermann, Psychologe und Investigativ-Redakteur der „Zeit Online“ beim gemeinsamen Vortrag mit Martin Haase, Professor für romanische Sprachwissenschaft, am dritten Tag des 32. Chaos Communication Congress. Die beiden betreiben auch den Blog „Neusprech“. „Floskeln enthalten Informationen. Man kann sie sehen, aber man muss dazu eine Filterleistung erbringen, um dahinterzukommen, was eigentlich gemeint ist“, sagt Biermann.

Für ihren 32c3-Talk haben die beiden zwölf vor allem für das Thema Flüchtlinge und Asyl relevante Begriffe analysiert und ihre Erwähnungen im Jahr 2015 visualisiert. Die Daten dafür wurden ihnen von Udo Stiehl und Sebstian Pertsch aka „Floskelwolke“ via API zur Verfügung gestellt. Die beiden untersuchen täglich Google News und analysieren, welche Floskeln wie oft zum Einsatz kommen.

Flüchtlingskrise mit Metaphern

Der Spitzenreiter bei den Floskeln im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Asyl war das Wort „alternativlos“. „Das ist der Null-Wert der politischen Kommunikation. Es ist alles alternativlos“, sagt Haase. Während am Anfang des Jahres 2015 noch die Worte „menschliche Katastrophe“ dominiert haben, war gegen Jahresende kein Mitleid mehr übrig. Stattdessen war von einem „Flüchtlingsansturm“ die Rede. Hierbei handelt es sich um eine Bellizismus-Metapher, also einer Metapher, die den Krieg betrifft. „Wenn so etwas verwendet wird, dann gewöhnen sich die Leute an das Reden von Konflikten und Krieg. Deshalb sollte man solche Wortprägungen tunlichst vermeiden“, erklärt Haase.

Ebenfalls gegen Jahresende häufte sich die Phrase „das Boot ist voll“, eine maritime Metapher. „Die Wahrnehmung von Leid nahm gegen Jahresende ab, die Angstmetaphern hingegen zu“, analysierte Biermann.

Zur Flüchtlingsfrage hielt auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die ein oder andere Rede, die von den beiden analysiert wurde. Diese enthielt 5.237 Wörter zum Thema, wie die Bundesregierung mit Flüchtlingen umgehen soll. „Ohne Phrasen waren es 2.287 Wörter. 56 Prozent der Rede waren Zeug. Dabei wäre die Rede ohne den Phrasen gut gewesen“, sagte Biermann dazu. In einer anderen Rede zum Umgang mit Flüchtlingen erzählte die Kanzlerin plötzlich etwas von „Behörden, die im Augenmaß handeln und robusten Einsatzgebieten, denen man in terroristischen Lagen begegnen könnte“. Die Themen Terrorismus und Flüchtlinge wurden auch in Österreich in so mancher Talksendung gekonnt miteinander vermischt.

"Sprache verschleiert sehr gut"

„Mit Floskeln sollen Zusammenhänge verschleiert werden, die Informationsdichte verringert werden, oder es soll abgelenkt werden von dem, worum es eigentlich geht“, so Biermann. „Oder aber Floskeln sollen für zitierfähige Sätze sorgen, ohne eine klare Position erkennen zu lassen.“ Letzteres wurde deutlich anhand eines Beispiels des Politikers Sigmar Gabriel (SPD), der 2011 als Oppositionspolitiker deutlichere Worte zum selben Thema fand als 2014 als Teil der Regierung. „Die Sprache verschleiert sehr gut, dass er zwar noch immer der gleichen Meinung ist, aber dass er nicht opportun ist, diese Meinung so klar zu äußern“, sagte Biermann.

Auch bei der Vorratsdatenspeicherung fand die Politik immer wieder neue Wege, diese mit Metaphern zu umschreiben. Zuletzt sprach Angela Merkel etwa von der Verkehrsdatenspeicherung. „Ein Wort, das verstecken soll, worum es eigentlich geht“, so Haase. Gemeint sind die Daten, die beim Kommunikationsverkehr anfallen – also Metadaten. Dass Metadaten aber längst so viel über Betroffene aussagen wie gesprochene Worte, ist mittlerweile bekannt. In Deutschland hatte man bereits in der Vergangenheit mit Begriffen wie „Mindestdatenspeicherung“ versucht, der Bevölkerung die Vorratsdatenspeicherung schmackhaft zu machen. So wollte man damit etwa signalisieren, dass diese Speicherung notwendig sei.

Automatisierter Bullshit-Filter?

Nicht immer ist es einfach, nachzuvollziehen, wo die Floskeln, laut Haase auch „der Blähsprech“, seinen Ursprung hat. „Vor ein paar Jahren gab es dieses Wort Rettungsschirm. Da konnte man gut ermitteln, ob das Wort eher aus der Politik oder eher aus dem Journalismus kam. Aber es ist oft sehr mühsam“, sagt Haase.

Auf die Frage aus dem Publikum, ob man bald mit einem „automatisierten Bullshit-Filter“ rechnen könne, sagte Biermann: „Wir treffen uns im Jänner mit der Floskelwolke-Team dazu. Aber es ist schwierig, weil der Kontext sehr wichtig ist. Ein paar Sachen wird man sicher automatisieren können.“ Auf die Frage, was man mit Freunden machen soll, die selbst solche Floskeln – beispielsweise in der Flüchtlingsfrage – verwenden, sagte Biermann: „Hauen und Schütteln. Oder: Auf friedliche Art und Weise fragen – was macht es mit dir, wenn du so etwas sagst?“

Hinweis: Der Talk „Nach bestem Wissen und Gewissen“ – Floskeln in der Politik wird auch vom Chaos Computer Club unter https://media.ccc.de/ zum Nachsehen verfügbar gemacht.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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