© Barbara Wimmer

Netzpolitik.org-Gründer

Beckedahl: "Wer nur herumpöbelt, wird gesperrt"

In Deutschland ist nach Ihrem Blog-Eintrag "Einfach mal die Kommentare schließen" eine Debatte über User-Kommentare im Netz entbrannt. Wie wird bei netzpolitik.org mit Postings von Nutzern umgegangen? Wie schwierig ist die Entscheidung, welche Inhalte man aus welchem Grund löschen soll?
Wir sind das jahrelang ganz gemütlich angegangen, in dem wir nur grenzüberschreitende Kommentare wie falsche Tatsachenbehauptungen und Beleidigungen, also wofür wir auch rechtlich haftbar gewesen wären, rausgelöscht haben. Vor einem Monat habe ich einen Kommentar dazu geschrieben, dass wir das Ganze weiterentwicklen müssen, weil sich bei uns eine Kommentarkultur entwickelt hat, bei der kaum noch konstruktive Debatten möglich waren.

Eigentlich ging es immer nur um ein oder zwei Handvoll Menschen, die sehr destruktiv kommentiert haben, aber nie etwas zur Sache beigetragen haben. Das hat zu einem Klima geführt, bei dem Menschen mit konstuktiven Beiträgen immer weniger Lust verspürten, zu kommentieren. In diesem Kommentarbeitrag von mir habe ich die Frage gestellt, wie wir eine positivere Kommentarkultur zurückbekommen können. Liegt die Lösung in technischen Plug-Ins für unsere Blog-Software, oder geht es um soziale Normen? Darüber ist eine riesige Debatte entbrannt, die nach wie vor anhält.

Bei größeren Medien fällt hier öfters das Stichwort "Klarnamenzwang". Warum ist das definitiv keine Lösung?
Wir haben verschiedene No-Gos. Klarnamenpflicht ist eines davon - das wollen wir nicht. Unsere Nutzer sollen ohne sehr viele Datenspuren zu hinterlassen anonym kommentieren können, das halte ich für sehr wichtig - gerade bei politischen Debatten. Bei einer Klarnamenpflicht ist die Einschränkung der Meinungsfreiheit viel größer. Viele würden sehr bewusst darauf verzichten, ihre Meinung kundzutun, weil sie vielleicht bei der Jobsuche in zehn Jahren nicht mit ihrem Kommentar konfrontiert werden wollen.

Wie sieht nun eine brauchbare Lösung aus - und besteht die aus technischen Maßnahmen, oder mehr aus sozialen Normen?
Wir experimentieren mit technischen Maßnahmen. Nutzer werden künftig andere Kommentare bewerten können. Das wird ein Experiment, bei dem wir schauen, ob es etwas bringt, diese destruktiven Kommentare nach unten zu ranken, oder ob es dazu führt, dass Minderheitenmeinungen verdrängt werden und nur die Mehrheitsmeinung akzeptiert wird. Außerdem werden wir gegen die schlimmsten Kommentatoren vorgehen und sie einfach auf eine schwarze Liste setzen. Wer nicht in der Lage ist, zu argumentieren und nur herumpöbelt, der soll sich sein eigenes Blog schaffen, wo er weiterhin herumpöbeln kann.

Die schlimmsten User kommen also auf eine Blacklist. Wie fühlt sich das an?
Für mich war es ziemlich befreiend, dass es dafür in den Kommentaren unter meinem Beitrag überwältigenden Zuspruch gegeben hat und fast alle zugestimmt haben. Ich habe bereits einige User auf die Liste gesetzt und seitdem gehen die Kommentare wieder viel zivilisierter voran. Mehrere Leute besinnen sich auch, dass sie sehr wohl argumentieren können und nicht nur rumpöbeln. Wenn ein Thema emotional ist und jemand enttäuscht darüber ist, dass die Politiker eine falsche Entscheidung gefällt haben, verstehe ich, dass man da seinen Frust loslassen möchte. Dagegen kann man auch gar nichts sagen, aber wenn dieselben Personen unter jedem Artikel über das "Politiker-Pack" schimpfen, denke ich mir oft genug, dass sie das besser in ihrem Blog machen sollten.

Das Blog netzpolitik.org gibt es bereits seit acht Jahren. Was waren die Themen, die im Laufe der Zeit am meisten Zuspruch gefunden haben?
Das kommt immer ganz drauf an. Natürlich gibt es Themen wie Urheberrecht, Datenschutz oder Überwachung, die wir von Anfang an begleitet haben. Aber es gibt immer eine Art "Thema der Saison", worüber wir viel schreiben, weil viel passiert. Das war zwischen 2007 und 2009 sicherlich die Vorratsdatenspeicherung. Das war 2008 die Online-Durchsuchung, das war 2009 die Zensursula-Debatte und in diesem Jahr ganz klar ACTA. Zu unserem achten Geburtstag habe ich aus Spaß in unsere Blog-Software Schlagwörter eingegeben. Da kam z.B. raus, dass wir rund 1000 Artikel zur Vorratsdatenspeicherung haben, zur Überwachung ebenfalls, aber das Urheberrecht führt bereits mit 1400 Treffern.

Apropros Urheberrecht: Wie geht es nach der Ablehnung von ACTA im EU-Parlament nun weiter? Es gibt ja das bekannte Zitat "ACTA ist nicht das Ende, ACTA ist der Anfang" - Wie schätzen Sie die derzeitigen Bestrebungen mit den abstrakten Abkürzungen CETA, TPP, IPRED 2

(die hier erklärt werden)
ein?
Unser Hauptkritikpunkt an ACTA war neben dem ganzen intransparenten Prozess die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Die Ideen einer Privatisierung zur Rechtsdurchsetzung, die zu Netzsperren, einer Echtzeitüberwachung des Internets oder zu Two- oder Three-Strikes-Modellen führen kann, die sind nicht aus der Welt. Dieselben Lobbys, die für diese Ideen die letzten Jahre massiv geworben haben, die sehr mächtig und einflussreich sind, die versuchen das auf allen möglichen Wegen, ihre Pläne weiter umzusetzen.

Auch wenn ACTA als Meilenstein erfolgreich bekämpft worden ist, was vor einem halben Jahr übrigens noch keiner geglaubt hat, so kommen diese Ideen über alle möglichen Wege wieder. Wir müssen daher wachsam bleiben und auch versuchen, auf diesem Momentum aufzubauen, um zu sagen: Wir brauchen ein anderes, reformiertes Urheberrecht, anstatt immer weiter über eine Zementierung von grundrechtseinschneidenden Durchsetzungsmaßnahmen zu diskutieren.

Am "Daten. Netz. Politik"-Kongress in Wien wurde mit österreichischen EU-Abgeordneten darüber

diskutiert
, wie es auf EU-Ebene weitergehen soll. Wie soll es denn Ihrer Meinung nach weitergehen?
Ich würde mich freuen, wenn wir an die europäische Urheberrechtsrichtlinie rangehen und diese reformieren würden. Wir könnten beispielsweise ein Recht auf Remix einführen, eine Schrankenregelung für transformative Werke - ein bisschen analog zu den Fair-Use-Regelungen in den USA. Damit würde man eine ganze Menge der Mediennutzungspraktiken im Internet aus der Illegalität herausholen, die der riesige Großteil der Gesellschaft für völlig legitim hält.

Jeder von uns begeht jeden Tag einen Haufen von Urheberrechtsverletzungen - und ich glaube es tut dem Urheberrecht und der Akzeptanz überhaupt nicht gut, wenn immer mehr Menschen bewusst wird, dass sie als Kriminelle gehandelt werden für Sachen, die einfach zur kulturellen Praxis gehören. Es ist außerdem völlig unverständlich, dass in den USA Internet-Nutzer viel mehr im Internet mit urheberrechtlich geschützten Werken machen dürfen als wir in Europa. Das ist vollkommen unlogisch. Hier sollte man mal rangehen und das Ganze reformieren.

Die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger hat am Kongress beispielsweise angesprochen, dass es viel zu lange dauern würde, wenn man das gesamte Urheberrecht auf einmal reformieren würde. Daher solle man es lieber "Step by Step" machen. Wie sehen Sie das?
Das ist immer die Frage, wo man ansetzt. Jeder hat seine kleinen Baustellen und natürlich wird eine riesige Urheberrechtsreform unendlich lange dauern, aber wir müssen sie trotzdem angehen. Wir können nicht ein oder zwei Generationen warten, bis auf internationaler Ebene etwas verändert worden ist, weil dann haben wir wegen der Durchsetzung des Urheberrechts bereits das komplette Internet umgebaut und uns ganz viele Chancen genommen. Ich kann mir vorstellen, dass es relativ schnell gehen würde, wenn der politische Wille da wäre, eine weitere Schrankenregelung für transformative Werke einzuführen.

Was ist auf der Netzpolitik-Agenda Ihrer Meinung nach die größte offene Baustelle neben dem Urheberrecht?
Eigentlich müssen wir den Trend in Richtung "immer mehr Überwachung" zurückgedrängt bekommen, sonst leben wir bald in einer vollkommenen Totalüberwachung, was ich als Vision extrem fürchterlich finde, andere empfinden das als eine sehr bequeme Vorstellung, weil es sehr viele praktische Probleme lösen würde. Davon bin ich allerdings nicht überzeugt.

Ansonsten müssen wir zusehen, dass wir klare gesetzliche Regeln für den Erhalt einer Netzneutralität schaffen. Denn ohne klaren Regeln machen die großen Telekommunikationsbetriebe, was sie wollen und bauen das Internet in die Richtung um, dass sie entscheiden können, was durch ihre Netze läuft und was nicht. So ein Netz möchte ich eigentlich nicht haben. Ich möchte ein offenes und freies Internet erhalten, in dem jeder möglichst gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten hat - und zwar sowohl vom Innovationsaspekt aus betrachtet, dass jeder in seiner Garage das Google von morgen erschaffen kann, als auch vom Meinungsfreiheitsaspekt, dass jeder eine gleichberechtigt laute Stimme hat, die nicht von denjenigen mit massiven Geldressourcen übertönt wird.

In Deutschland können Kunden der Deutschen Telekom den Musikdienst Spotify dazubuchen, ohne dass die anfallenden Daten zum Datenverbrauch des Nutzers hinzugezählt werden. Ist das nicht bereits ein Eingriff in die Netzneutralität?
Der Spotify-Deal ist tatsächlich ein wenig problematisch, aber es geht dabei nicht um die Kernfrage bei der Netzneutralität. Es werden dadurch zwar andere Anbieter wie Simfy diskriminiert, aber ich fände es schlimmer, wenn andere Anbieter geblockt werden würden, wie wir das beispielsweise bei T-Mobile explizit haben bei Voice Over IP. Peer-to-Peer wird in den AGBs sogar explizit verboten. Ob dieses Verbot technisch auch durchgesetzt wird, weiß ich nicht, aber in den AGBs werden Dienste bereits ganz klar diskriminiert und das ist für mich eine Verletzung der Netzneutralität und müsste ganz klar verboten werden.

Sie haben dazu die Kampagne echtesnetz.de gestartet (Anmerkung: In Österreich gibt es eine ähnliche Kampagne unter

unsernetz.at
). Was sind Ihre Forderungen?
Wir fordern eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität, ein Verbot von Deep Packet Inspection-Technologien, die eine Echtzeit-Überwachung des Datenverkehrs ermöglichen. Wir fordern außerdem ein Diskriminierungsverbot und eine Stärkung von Verbraucherrechten. Wenn ein Telekommunikationsanbieter Internet verkauft, muss auch Internet drin sein. Man darf ja auch keine Bio-Produkte verkaufen, wenn nicht Bio drin ist. Insofern fordern wir eine Art Gütesiegel und empfindliche Strafen, wenn kein "echtes Internet" enthalten ist.

Wie siehts in Deutschland generell mit Netzpolitik aus, ist es immer noch ein Nischen-Thema?
Netzpolitik ist natürlich noch immer eine Nische, aber eine, die immer mehr Aufmerksamkeit erhält. Immer mehr Politiker sind persönlich betroffen, weil sie mittlerweile auch mit Smartphones und Tablet-Computern durch die Gegend laufen und nicht mehr immer nur das Internet für sich ausdrucken lassen. Durch das Größerwerden der Piratenpartei, aber auch durch die Digitalisierung und auch durch erfolgreiche Kampagnen der Zivilgesellschaft gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen Zensursula, gegen ACTA hat sich gezeigt, dass man das Thema ernster nehmen muss und in allen Parteien gibt es mittlerweile ausgewiesene Netzpolitiker, die einen guten Job machen. Die Frage ist, ob die jeweiligen Spitzenpersonen der Parteien auch das Potential und die Tragweite erfasst haben. Da bin ich noch skeptisch. Aber Netzpolitik läuft nicht mehr "unter ferner liefen" ab, sondern hat Potential, bei der Tagesschau Top-Thema Nummer 1 zu sein.

In Deutschland hat sich die Piratenpartei in diversen Landtagen durchsetzen können. Wie sehen Sie die Chancen der Partei bei der nächsten Bundestagswahl 2013?
Ich glaube immer noch, dass die Piraten ziemlich große Chancen haben bei der Bundestagswahl über die fünf-Prozent-Hürde zu kommen, wenn sie sich nicht selbst weiter so viele Steine in den Weg legen würden. Es gibt ein großes Protest-Potential und es gibt eine große Unzufriedenheit mit den bestehenden Parteien und die Piraten stehen im Moment noch für frischen Wind. Das ist eine große Chance, andererseits müssen sie im nächsten Jahr beweisen, dass sie in der Lage sind, parlamentarisch zu arbeiten. Denn sie sind jetzt schon in vier Parlamenten drin und dabei werden sie sicherlich gut beobachtet werden, ob sie auch tatsächlich die Alternative bei den Bundestagswahlen sind, für die sie sich selbst halten.

Sie waren am ersten Netzpolitik-Kongress Österreichs als Keynote-Speaker eingeladen. Wie war Ihr Eindruck vom Kongress?
Ich finde es gut, dass es in Österreich jetzt auch Events gibt, bei denen alle an Netzpolitik Interessierten zusammen kommen und sich vernetzen können. Meine Erfahrung aus Deutschland zeigt mir, dass das sehr wichtig ist, wenn man aus dem Netz herauskommt und sich gegenseitig offline kennenlernt. Das hilft, Netzwerke zu entwickeln und zu stärken.

Mehr zum Thema

  • Der "Geist" von ACTA lebt weiter
  • Freihandelsabkommen TPP geht über ACTA hinaus
  • „Brauchen Fair Use-Klausel für Europa"
  • FreedomBox soll Privatsphäre schützen
  • "Keine Autobahnspur für Privilegierte im Netz"
  • "Auch ohne Vorratsdaten wäre Welt nicht ok"
  • Aktivisten fordern Gesetz für Netzneutralität

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare