Überwachung

Big Data: Auf dem Weg in den präventiven Polizeistaat

Anfang Dezember entschied ein Berufungsgericht in Texas, dass die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss auf der Vorhersage einer künftigen Straftat erhalten darf. Hintergrund des Beschlusses ist ein Vorfall aus dem Jahr 2010. Damals nahm die Polizei einen mutmaßlichen Drogenhersteller mit seinen Partnern in Gewahrsam. Sie hatte sein Haus über einen Monat lang beobachtet, da ein Informant behauptet hatte, dass dort die Herstellung von Methamphetamin vorbereitet würde.

Illegale Durchsuchung

Ohne einen Durchsuchungsbefehl brachen die Beamten in das Haus ein und durchsuchten es, während die Verdächtigen in Handschellen gefesselt wurden. Bevor sie verschiedene Materialien beschlagnahmten, die zur Herstellung der Droge benötigt wurden, versuchten die Beamten einen Durchsuchungsbefehl zu erhalten. Dabei erwähnten sie die illegale Hausdurchsuchung nicht und bezogen sich nur auf die Information des Tippgebers.

Der Anwalt der Beschuldigten verlangte daher vor Gericht, dass die Materialien nicht als Beweis verwendet werden dürften. Dem Antrag wurde nicht stattgegeben, da der illegal erlangte Beweis zuvor von Dritten identifiziert wurde. Der Beschuldigte wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt und ging in Berufung. In der nächsten Instanz gab das Gericht seinem Anwalt recht, da sich die Polizei offenbar falsch verhalten hatte.

Vorhersagen legalisieren illegale Beweise

In einem weiteren Berufungsverfahren kassierte der Texas Court of Criminal Appeals aber dieses Urteil wieder, da auch ein illegal erlangter Beweis in das Verfahren eingebracht werden darf, wenn er von einer unabhängigen Quelle bestätigt wird. In einer abweichenden Meinung verurteilte der Richter Lawrence Meyers allerdings diese Mehrheitsentscheidung: Der Tipp des Informanten sei kein unabhängiger Beweis, sondern eine Vorhersage. Demnach könnten künftig Durchsuchungsbefehle aufgrund der Vorhersage künftiger Straftaten ausgestellt werden.

In den US-Medien stieß diese Entscheidung auf einige Resonanz, weil immer mehr Strafverfolgungsbehörden in den USA Computer-Analysemethoden einsetzen, die Verbrechensmuster erkennen und vorhersagen, wo und wann die nächsten Straftaten begangen werden. Immerhin wurde das Urteil von einem ranghohen Gericht gefällt und könnte künftig als Vorlage für ähnliche Entscheidungen verwendet werden.

Erfolge statistischer Pre-Crime-Software

Die Erfolge von Vorhersage-Computertechniken sind jedenfalls verführerisch: Dank des Technikeinsatzes, so behaupten Polizeibeamte in Memphis, wo eine IBM-Software eingesetzt wird, seien schwere Straftaten bereits um 30 Prozent zurückgegangen. Gewalttaten sollen um 15 Prozent zurückgegangen sein, seitdem das Programm 2006 eingeführt wurde. IBM arbeitet inzwischen mit Dutzenden Polizeibehörden in Großbritannien, Polen, den USA und Kanada zusammen.

Eine Pre-Crime-Software im kalifornischen Santa Cruz basiert auf Rechenmodellen zur Vorhersage von Nachbeben. Sie wertet die Kriminalitätsstatistiken aus mehreren Jahren aus, um Kriminalitätsmuster zu entdecken. Außerdem werden täglich neue Daten eingegeben. Die Vorhersagen sind damit von Woche zu Woche unterschiedlich. Polizeianalyst Zach Friend sagte der New York Times, dass die Resonanz innerhalb der Polizei gut ist: „Sie überprüft die eigene Intuition oder bietet den Fokus auf eine neue Gegend, die so noch nicht auf dem Radar war.“ Die Erfolge lassen sich vorzeigen: Die Diebstähle sind im Vorjahresvergleich um 27 Prozent zurückgegangen. Die Polizei hofft angesichts knapper werdender Personalmittel, dass die Vorhersagen eines Tages so gut werden wie Wettervorhersagen.

Körperdaten sollen böse Absichten verraten

Eingesetzt werden soll auch eine ganz andere Spielart der Pre-Crime-Technik an Flughäfen und anderen öffentlichen Orten, um verdächtige Reisende ausfindig zu machen und zu befragen. So soll ein Face-Scanning-Lügendetektor Emotionen erkennen und darüber entscheiden dürfen, ob eine Person richtige Angaben macht.

Auch das amerikanische Department of Homeland Security entwickelt mit dem FAST-Programm eine ähnliche Technik, die „böse Absichten“ mit Hilfe von Gesichts- und Körper-Scans erkennen will. So sollen bestimmte physiologische Hinweise wie ein erhöhter Herzschlag, eine Augenbewegung, die Körpertemperatur und Körpersprache mit Algorithmen auf statistische Abweichungen hin analysiert werden. Diese werden dann als Hinweise auf die Absicht eines Menschen gewertet.

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Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti berichtet seit 1996 als freie IT- und Medienjournalistin über das Leben in der Informationsgesellschaft. Wie digitale Bürgerrechte bewahrt werden können, ist ihr Hauptthema. Die europäische Perspektive ist ihr wichtig – da alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Internet in Brüssel fallen.

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