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Netzpolitik

Was das neue Digital-Gesetz für User und Tech-Riesen bedeutet

Über 20 Jahre ist es her, dass die EU sich zuletzt umfassende Regeln fürs Internet gab. Google war gerade gegründet, Amazon verkaufte hauptsächlich Bücher, Facebook entstand erst Jahre später.

Probleme wie Hassrede im Netz existierten nicht, und die grenzübergreifende Macht einiger Tech-Riesen war nicht absehbar. Heute geht es im Internet teils turbulent und oft unfair zu.

Die EU will das ändern - und hat sich nun auf ein neues Gesetz zur umfassenden Regulierung der großen Internet-Unternehmen geeinigt: das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA). Verbraucherschützer*innen sprachen am Freitag von einem Meilenstein für Nutzer*innen und kleinere Unternehmen. "Alles in allem stärkt der DMA Wettbewerber, führt zu mehr Innovationen, niedrigeren Preisen und erhöht die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen", sagte Jutta Gurkmann vom Verbraucherzentrale Bundesverband. "Das war überfällig und wird sich im Alltag der Menschen positiv auswirken."

Schranken für "Gatekeeper"

Die Gesetze und Regeln in Europa sind den Realitäten der digitalen Welt nicht mehr gewachsen - so der Eindruck, unter dem die EU-Kommission im Dezember 2020 ein großes Digital-Paket vorgeschlagen hatte. Dazu gehört neben dem Gesetz über digitale Märkte auch das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA). Dieses geht gesellschaftliche Fragen wie den Umgang mit illegalen Inhalten im Netz an und wird noch verhandelt. Der DMA soll die Marktmacht von Digital-Riesen wie Google, Facebook und Amazon beschränken.

Denn Tech-Riesen wie Meta (Facebook) oder Alphabet (Google) sind oft in der Position, ihre Macht auszuweiten und die Konkurrenz auszubremsen. Das Wettbewerbsrecht aus der analogen Welt hilft mit seinen jahrelangen Verfahren nur begrenzt. Der DMA zielt nun auf bestimmte Unternehmen, die für gewerbliche Nutzer*innen ein wichtiges Zugangstor zum Endverbraucher sind. Diese "Gatekeeper" müssen künftig bestimmte Verbote und Vorgaben beachten.

Ende der Selbstbevorzugung

Eigene Produkte und Angebote dürfen nicht mehr bevorzugt gegenüber denen der Konkurrenz behandelt werden. Nutzer*innen sollen vorinstallierte Apps auf Geräten zudem löschen können - es sei denn, die Programme werden gebraucht, damit das Gerät funktioniert. Zudem dürfen die großen Unternehmen die Daten aus verschiedenen Quellen künftig nur noch mit ausdrücklicher Nutzereinwilligung zusammenführen und müssen die Nutzung alternativer, günstigerer App-Stores erlauben.

Neu ist zudem, dass Messenger wie WhatsApp und der iMessenger dazu verpflichtet werden, sich für die Kommunikation mit kleineren Diensten zu öffnen. Dies heißt jedoch nicht automatisch, dass Signal- oder Threema-Nutzer*innen Nachrichten oder Fotos an Freunde bei WhatsApp schicken können. Denn den kleineren Firmen bleibt die Entscheidung, ob sie sich öffnen wollen, selbst überlassen. Wahrscheinlicher ist, dass neue Anbieter auf den Markt kommen, die ihren Dienst mit WhatsApp verknüpfen. Für Gruppenchats wird die Funktion nicht sofort zur Verfügung stehen, sondern erst im Laufe der kommenden Jahre.

Betroffene Unternehmen

Andreas Schwab (CDU), der den DMA für das Parlament verhandelt hat, geht zunächst von 10 bis 15 Tech-Unternehmen aus, die unter den DMA fallen - darunter die US-Riesen Alphabet, Apple, Facebook und Amazon. Konkret sieht der Kompromiss der Unterhändler von EU-Staaten und Europaparlament vor, dass Digitalunternehmen betroffen sind, die entweder einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Milliarden Euro oder eine Marktkapitalisierung von mindestens 75 Milliarden Euro haben. Zudem müssten sie mindestens einen sogenannten zentralen Plattformdienst mit mindestens 45 Millionen aktiven Nutzer*innen und 10.000 aktiven gewerblichen Nutzer*innen monatlich betreiben.

Zu zentralen Plattformdiensten sollen etwa gehören: Suchmaschinen wie Google, Vermittlungsdienste wie Amazon Marketplace, Soziale Medien wie Facebook, Video-Plattformen wie Youtube, Messengerdienste wie WhatsApp oder der Facebook-Messenger, Betriebssysteme wie das iOS von Apples iPhones sowie Android und Cloud-Dienste wie Amazon AWS. Bei den Verhandlungen am Donnerstag einigten sich das Parlament und die EU-Staaten zudem darauf, dass auch Web-Browser und Sprachassistenten wie Amazons Alexa dazu gehören. Die DMA-Regeln beziehen sich auf den jeweiligen Plattformdienst - nicht auf das ganze Unternehmen.

Im Ernstfall sogar Aufspaltung

Bei Verstößen drohen heftige Sanktionen, zunächst von bis zu 10 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Bei wiederholten Verstößen könnten es bis zu 20 Prozent sein. In Ausnahmefällen, bei "systematischer Verletzung", könnte die EU-Kommission unter anderem auch Fusionen für einen bestimmten Zeitraum verbieten oder strukturelle Maßnahmen wie eine Zerschlagung anwenden.

Formelle Bestätigung und Übergangsfristen

Der Rat der EU-Staaten und das Europaparlament müssen die Einigung der Unterhändler vom Donnerstagabend noch einmal bestätigen, dies gilt jedoch als Formalie. Schon im Oktober könnte der DMA dann in Kraft treten, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Freitag. Dann müssen jedoch noch die Gatekeeper designiert werden und es gilt eine mehrmonatige Übergangsfrist.

Reaktionen auf DMA-Regeln

Die Tech-Firmen haben mit massiver Lobbyarbeit versucht, den DMA in ihrem Interesse zu verwässern. Der iPhone-Konzern Apple reagierte auf den Deal nun besorgt darüber, dass einige DMA-Vorschriften unnötige Datenschutz- und Sicherheitslücken für die Nutzer*innen schaffen würden. "Andere Regelungen des DMA werden es uns unmöglich machen, Gebühren für geistiges Eigentum zu erheben, in das wir sehr viel investieren."

Christian Miele, Vorsitzender des Start-up-Verbands, sprach dagegen von einem "entscheidenden Schritt für mehr Chancengerechtigkeit im Zeitalter der Plattform-Ökonomie". Kleine Startups bekämen mehr Chancen, selbst groß zu werden.

Der deutsche Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) sowie der Medienverband der freien Presse (MVFP) begrüßten vor allem, "dass mächtige Suchmaschinen und soziale Netzwerke verpflichtet werden, faire, angemessene und nicht-diskriminierende Zugangsbedingungen für gewerbliche Nutzer*innen" anzuwenden. Dies sei "ein womöglich historischer Schritt zum Schutz der freien Presse im digitalen Zeitalter".

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