EU-Fluggastdaten: "Absurde Grenzkontrollen"
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Am heutigen Montag hätte der LIBE-Ausschuss über die Richtlinie zur Speicherung von europäischen Fluggastdaten abstimmen sollen. Informationen von Flugreisenden sollen dabei europaweit an den Staat übermittelt und für fünf Jahre gespeichert werden. Doch der zuständige Berichterstatter Timothy Kirkhope hat die Abstimmung am Donnerstagabend auf unbestimmte Zeit verschoben. "Der Druck von den jeweiligen Koordinatoren der Fraktionen im Innenausschuss auf den Berichterstatter, die Abstimmung zu verschieben, war groß", berichtet eine parlamentarische EU-Mitarbeiterin der futurezone.
"Die Sozialdemokraten im Ausschuss haben sich somit gemeinsam mit Grünen, Liberalen und Linken mit ihrer Forderung, die angesetzte Abstimmung zu verschieben, durchgesetzt. Das ist ein wichtiges Zeichen des Europäischen Parlaments gegenüber dem Rat, die Arbeiten an der Datenschutz-Richtlinie nicht länger zu blockieren", erläutert der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer, selbst Mitglied des Innenausschusses. Vom Parlament werde einerseits verlangt, permanent neue Instrumente zu Datensammlung, Speicherung und Austausch zu verabschieden (wie EURODAC, EU-PNR; Europäische Strafermittlungsanordnung, etc.), gleichzeitig werde aber im Bereich Datenschutz kaum Arbeit vorangetrieben, heißt es aus dem Büro von Weidenholzer. Der Rat blockiere die Arbeiten an der Datenschutz-Richtlinie in justizieller und polizeilicher Zusammenarbeit seit Jänner 2012.
Weidenholzer: "Wäre der völlig falsche Weg gewesen"
Für Weidenholzer ist die Verschiebung nur der erste Schritt: "Jetzt noch schnell die europaweite Fluggastdatenspeicherung durch den Innenausschuss durchzuwinken, wäre der völlig falsche Weg gewesen. Vielmehr liegt es am EU-Parlament sich für den Schutz von persönlichen Daten einzusetzen und gegen weitere Datensammlungen und Speicherungen eine Schranke einzuziehen." Weidenholzer spricht sich wie berichtet klar gegen die Einführung einer EU-weiten Speicherung von Fluggastdaten aus und lehnt die Richtlinie ab.
Auch die Netzaktivisten rund um die Initiative "NoPNR" sehen in der Verschiebung einen ersten "Teilerfolg".
Schaar: "Halte ich für verfassungswidrig"
Für die Netzaktivisten stellt die Richtlinie eine "unverhältnismäßige Maßnahme dar, die den Rechtsstaat aushöhlt und jeden Bürger unter Generalverdacht stellt". Auch der deutsche Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, hat massive rechtliche Bedenken bei der Auswertung von PNR-Daten. „Neben Telekommunikationsdaten sollen nun auch noch die Daten von Flugpassagieren gespeichert werden. Diese zusätzliche Vorratsdatenspeicherung halte ich für verfassungswidrig. Das EU-Parlament muss gegen diesen sich ausbreitenden Ölfleck der Totalregistrierung dringend Sperren errichten", warnt Schaar in der Osnabrücker Zeitung.
Besonders heikel sehen Netzaktivisten auch, dass Mitgliedsstaaten "optional" auch innereuropäische Flüge einbeziehen dürfen sollen. Dafür macht sich neben dem EU-Rat auch vor allem der zuständige Berichterstatter Kirkhope stark. Kirkhope empfiehlt in seinem Entwurf sogar, Flüge innerhalb der EU generell zu erfassen. Gegenüber der futurezone erklärt Kirkhope auch warum: "Wir sehen darin eine klare Notwendigkeit und einen Extra-Nutzen. Organisierte Kriminelle und Terroristen suchen sich nicht die einfachste Route aus, sondern machen diese so schwierig wie möglich. Wenn man Flüge innerhalb der EU ausschließen würde, würde man Kriminellen und Terroristen damit die Möglichkeit geben, Aktionen so zu planen, dass sie durchs Raster fallen." Nach dem Europol-Bericht "EU Terrorism Situation and Trend Report 2010" gebe es nämlich in Europa weiterhin eine "reale und ernste Bedrohung", auch wenn Terrorismus in der EU generell zurückgegangen sei.
Sander: "Es würden absurde Grenzkontrollen eingeführt"
"Die Speicherung von innereuropäischen Flügen ist aus unserer Sicht besonders problematisch. Dadurch würden die Schengen-Regeln verletzt. Statt sich gegenseitig zu vertrauen und den Bürgern einen angenehmen Reiseverlauf zwischen den Schengenländern zu gewährleisten, würden neue, absurde "elektronische" Grenzkontrollen eingeführt, die den eigentlichen Charakter des Schengenraums ad absurdum führen würden", sagt Sander von NoPNR dazu.
Ob nach der Verschiebung im LIBE-Abschluss tatsächlich ein Voranschreiten des parlamentarischen Prozesses bei der EU-Datenschutz-Richtlinie abgewartet wird, oder ob die Abstimmung lediglich bis zum Jänner verschoben wird, ist noch unklar. Für die Aktivisten heißt es daher: "Weiter mobilisieren". Wie der Ausschuss dann über die EU-Fluggastdatenspeicherungsrichtlinie abstimmen wird, ist derzeit komplett offen. Insgesamt gibt es rund 500 Abänderungsanträge zur Richtlinie.
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