Massive Kritik an den Überwachungsplänen der Regierung
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Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Tagen auf eine Vielzahl an neuen Überwachungsmaßnahmen geeinigt. Begründet werden diese von SPÖ und ÖVP gleichermaßen mit einer wachsenden Bedrohungslage in Bezug auf Terrorismus. Man könne Anschläge wie in Brüssel, Paris oder Berlin nicht einfach ignorieren, heißt es seitens Hans Peter Doskozil (SPÖ), der den Pakt des Innenministers Wolfgang Sobotka (ÖVP) abgesegnet hatte.
Experten, Bürgerrechtler und Juristen halten einige der im Sicherheitspaket geschnürten Maßnahmen jedoch für unsinnig, andere gar für verfassungswidrig, wie sie im Gespräch mit der futurezone erläutern. So stößt etwa die geplante Maßnahme, dass Prepaid-Wertkarten künftig registriert werden müssen, auf generelle Ablehnung. Die Maßnahme sei nicht zielführend, heißt es hier etwa seitens Alexander Czadilek, Jurist bei der Bürgerrechtsorganisation epicenter.works (ehemals AK Vorrat).
Registrierung der Wertkarten
Laut Innenminister Sobotka würden anonyme Wertkarten „inbesonders von Kriminellen“ verwendet. „Viele Straftaten werden unter Ausnützung von Wertkartenhandys begangen“, heißt es dazu im Arbeitsplan der Regierung. Tatsächlich gibt es aber laut den jüngsten Zahlen der Telekomregulierungsbehörde RTR in Österreich mehr als 4,5 Millionen Kunden, die Wertkartenhandys von Mobilfunkern verwenden. Diese müssten künftig beim Erwerb einer neuen SIM-Wertkarte verpflichtend einen Ausweis vorlegen und ihre Identität preisgeben.
Sabrina Burtscher, die als Studienvertreterin der Fachschaft Informatik rund 6000 Studierenden an der TU Wien vertritt, kritisiert die Aussage Sobotkas als „rassistisch und klassistisch. Wer kann sich denn keine fixen Handyverträge leisten? Menschen, die nicht arbeiten dürfen, etwa, weil sie sich im Asylverfahren befinden oder von schlecht bezahlten Jobs leben.“
„Damit werden 4,5 Millionen Menschen unter Generalverdacht gestellt und Bürgern wird eine Möglichkeit genommen, unbeobachtet zu kommunizieren. Wirklich Kriminelle können diese Maßnahme aber leicht mit ausländischen SIM-Karten umgehen, oder auf gratis verfügbare anonyme Messaging-Dienste setzen, die nicht auf einer Telefonnummer basieren“, sagt Czadilek. Tatsächlich gibt es zahlreiche Messaging-Dienste, bei denen die Telefonnummer keine Voraussetzung ist, um miteinander chatten zu können.
So wie eine Videokamera keine Straftaten verhindern kann, wird auch eine Registrierungspflicht Straftaten nicht verhindern können. Der fehlende Nutzen einer Prepaid-Registrierungspflicht zur Bekämpfung von schwerer Kriminalität oder Terrorismus steht einer Beschränkung der Freiheit des Einzelnen gegenüber, die unverhältnismäßig ist. Das Recht auf Privatsphäre, in das mit einer solchen Maßnahme eingegriffen wird, schützt auch die unbeobachtete, freie elektronische Kommunikation. Eine Prepaid-Registrierungspflicht ist insofern auch verfassungsrechtlich problematisch.
Laut Czadilek würde eine Registrierung der SIM-Karten zudem Mobilfunk-Diskounter vor neue Herausforderungen stellen, die derzeit über keine Infrastruktur verfügen, die Identität ihrer Käufer zu überprüfen. Beim Mobilfunk-Anbieter spusu sieht man dieses Problem jedoch nicht. „Wir selbst werden diese Daten niemals für etwas verwenden, aber technisch ist es eine Registrierung wahnsinnig aufwendig“, sagt spusu-Geschäftsführer Franz Pichler auf futurezone-Anfrage.
Kennzeichenüberwachung
Neben der Registrierung der SIM-Karten stößt insbesondere die Kennzeichenüberwachung auf Kritik. Das Innenministerium soll „in bestimmten Anlassfällen“ auf das Kennzeichenerfassungssystem der ASFINAG zugreifen dürfen. Das wäre laut Czadilek aus grundrechtlicher Perspektive „ein Schritt in Richtung einer totalen Überwachung.“
„Eine flächendeckende Überwachung von Fahrzeugen und eine damit einhergehende Speicherung von personenbezogenen Daten steht einer Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten in nichts nach. Genau das wird aber bei der Verwendung der Kameradaten für die Strafverfolgung und Verbrechensprävention gefordert. Eine solche Forderung scheint nicht verhältnismäßig“, kritisiert Czadilek.
Öffentliche Videoüberwachung
Außerdem soll künftig Videomaterial öffentlicher Betreiber wie der ASFINAG oder der Wiener Linien sowie auch privater Betreiber bei einer „Gefährdungslage“ genutzt werden dürfen, wenn möglich auch in Echtzeit. Diese Idee hat Sobotka bei seinem Besuch beim britischen Geheimdienst MI5 mitgenommen. London gilt hier als Vorbild für Österreich.
Dort gibt es seit Jahren Videokameras, mit denen sich Sicherheitsbehörden live an bestimmten Plätzen zuschalten können. Ähnliche Forderungen gab es auch in Deutschland nach dem Terroranschlag in Berlin. Während Österreich nun also eine Einführung dieses Systems überlegt, wird in London darüber nachgedacht, das Videoüberwachungssystem wieder zu begrenzen, weil es zu teuer und ineffizient sei. Auch in Wien wurden im Jänner 2017 15 von insgesamt 17 Überwachungskameras der Landespolizeidirektion wieder abgebaut, weil die Kosten für die Betreibung zu hoch und der Nutzen zur Verbrechensbekämpfung nicht sichtbar waren.
Generell ist es seit längerem umstritten, ob Videoüberwachung ein geeignetes Mittel ist, um Terrorismus zu verhindern. Bei den Anschlägen in Nizza gab es entlang der gesamten Uferpromenade Videokameras, der Anschlag konnte dennoch nicht gestoppt werden. „Videokameras können Terroristen sogar als Ansporn dienen, schließlich zielen sie mit ihren Gräueltaten auf die größtmögliche Verstörung der Bevölkerung ab“, sagt Czadilek.
Lauschangriff im Auto
Auch die Tatsache, dass eine akustische Überwachung im Auto jener der Wohnung gleichgestellt werden soll, sorgt für scharfe Kritik. Was von Innenminister Sobotka als kleiner Lauschangriff auf Autos beschrieben wird, ist in Wahrheit ein großer Lauschangriff, der eine besonders eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahme ist. Ein kleiner Lauschangriff würde nämlich voraussetzen, dass einer der Gesprächspartner in die Überwachung eingeweiht ist. Die Maßnahme soll nun aber auch bei niederschwelligen Delikten (Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren statt wie bisher zehn Jahren) Anwendung finden.
Das ist laut den Bürgerrechtlern besonders bedenklich, zeigt es doch die Gefahr des in den Sozialwissenschaften beschriebenen Phänomens des sog. Function-Creep auf - eine einmal eingeführte Maßnahme wird nach und nach ausgeweitet und die Grund- und Freiheitsrechte werden Stück für Stück beschnitten. Bevor man eine endgültige Bewertung vornehme, wolle man jedoch die konkreten Gesetzlichen Grundlagen abwarten, heißt es bei epicenter.works.
Staatstrojaner
Auch bei der Überwachung internetbasierter Kommunikation mittels Staatstrojaner bleibt es fraglich, wie die Regelung umgesetzt werden soll, ohne dass sie am Ende vor dem Verfassungsgerichtshof landet. Der im Frühjahr 2016 vorgelegte Gesetzesentwurf zum Staatstrojaner wurden von unterschiedlichen Experten regelrecht zerpflückt, sodass sich die Regierung am Ende dafür entschieden hatte, den Vorschlag zurückzuziehen.
Auch die Fußfesseln für nicht verurteilte Gefährder und die Vorratsdatenspeicherung „light“ sorgen für Kritik.
Überwachungsstaat
„Wir sind vom totalitären Überwachungsstaat nur noch wenige Schritte entfernt“, warnte die TU-Studienvertreterin Burtscher. „Für Sicherheitspakete soll im Sinne der Menschenrechte gelten, dass sie technisch machbar, angemessen und notwendig sein sollen. Das Paket erfüllt aber keinen dieser Punkte.“
Auch der Direktor der Volkshilfe Österreich, Erich Fenninger, warnt vor dem Sicherheitspaket: „Der Ausbau von Überwachung verfehlt messbar seine Wirkung, Menschen Sicherheit zu geben. Darin steckt die Annahme, dass keinen Menschen zu trauen ist, jeder Mensch eine potenzielle Bedrohung darstellt. Damit werden Ängste geschürt, statt genommen. Sie unterstellen allen Bürgerinnen und Bürgern feindseliges Verhalten und Gefährlichkeit. Das ist ein erster Schritt in die falsche Richtung“.
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