Günther Oettinger in Lech
Günther Oettinger in Lech
© futurezone/kessler

Interview

Oettinger will Vorratsdaten-Neuauflage bis Ende 2016

Günther Oettinger hat in seiner Rolle als EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft das Europa Forum in Lech am Arlberg besucht. Die futurezone hat die Gelegenheit genutzt, um Oettinger zu einigen aktuellen Themen zu befragen. Im Gespräch beschreibt Oettinger seine Pläne für ein neues Urheberrecht in Europa, eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene und seine Ansichten zu Googles Vorgehen in Europa. Daneben hat die futurezone erfahren, in welchen Bereichen Oettinger auf die Telekommunikationsindustrie und die Polizei hört - und was man tun muss, um von einem EU-Kommissar als Taliban bezeichnet zu werden.

futurezone: Sie haben jüngst ein Sachrecht für digitale Güter vorgeschlagen. Heißt das, dass Sie digitale Güter mit physischen Objekten gleichsetzen wollen?
Günther Oettinger: Udo Jürgens war geistiger Handwerker. Er hat selbst Lieder geschrieben und wurde wohlhabend - Weil er die Sicherheit hatte, dass seine Musik von dem, der sie genießt, bezahlt werden muss. Wir arbeiten für ein neues Urheberrecht und haben schon viele Voraussetzungen geschaffen. Im Oktober wollen wir einen Vorschlag vorlegen.

Oettinger in Lech
Niemand will, dass Künstler nicht bezahlt werden. Die Probleme liegen ganz woanders: Inwieweit, darf ich Erworbenes kopieren oder ...
Zum Beispiel Geoblocking. Fragen sie die Filmwirtschaft ihres Landes. Die sagen: “Wenn wir nur einen gemeinsamen europäischen Markt hätten, hätten wir keine Chance unsere Filme zu produzieren. Es gäbe nur noch Hollywood.” Dann würden Google und Co aus den USA den Markt beherrschen.

Ist das nicht ein Kampf gegen Windmühlen? Jedes Kind mit einem VPN-Zugang (Virtual private network) kann solche Blocks umgehen.
Warten wir ab. Ich versuche, die Balance zu wahren. Sie sind in dieser Sache ein Taliban. Wenn ich auf dem Flughafen Wien von fünf österreichischen Filmemachern spontan auf das Thema angesprochen werde, dann habe ich dem Rechnung zu tragen. Ich will das Kulturgut des österreichischen Films …

Sie glauben, dass man hier mit Geoblocking zum Erfolg kommt?
Ich traue mir das zu. Die Fußballer übrigens auch. Sie glauben doch nicht, dass der österreichische Fußball, der mittelmäßig ist, sich halten könnte, wenn es nur noch einen Markt gäbe? Dann wäre das Spiel Salzburg gegen Austria Wien nur noch sekundär. Dann gäbe es nur noch Real gegen Barca.

Sie sind für Netzneutralität, fordern aber Ausnahmen, etwa für selbstfahrende Autos und Notrufsysteme. Das will auch die Telekommunikationsindustrie. Dabei würde doch keine Firma lebenswichtige Systeme von einer Internetverbindung abhängig machen.
Diese Argumente werden mir von den Autobauern genannt.

BMW zum Beispiel sagt, dass solche Systeme komplett unabhängig vom Netz konstruiert werden.
Warten wir ab. Wir prüfen gerade, welche Spezialdienste eine Garantie für Qualität und Transportgeschwindigkeit brauchen. Drei Möglichkeiten analysieren wir konkret: Notrufdienste, Gesundheitsdienste und Verkehrsdienste. Ich habe aber noch nicht entschieden. Ich will die Debatte führen, ob Ausnahmen von der Neutralität im Interesse aller notwendig sind. Die Beweislast liegt selbstverständlich bei denen, die solche Dienste anbieten wollen.

Was sagen Sie zu den Gegenargumenten?
Ich muss nicht verteidigen, was nicht benötigt wird. Ich bin selber ein normaler Bürger und will auch für mich möglichst viel Neutralität. Genau dieses Thema wird jetzt bei der TSM-Direktive (Telecoms Single Market, Einheitlicher Telekommarkt) im Trilog zu behandeln sein.

Wie wollen sie feststellen, welche Datenpakete unter die Ausnahmen fallen. Mit Deep Packet Inspection?
Wir haben Regulatoren in Deutschland oder in Österreich, die in der Lage sind, das zu machen. Für eine perfekte, ausnahmslose Netzneutralität müssten auch Kontrollen stattfinden.

Dazu müsste ich sicher nicht in die Pakete schauen.
Stimmt, aber entsprechende Dienstleister haben auch jetzt schon gewisse Verschwiegenheitspflichten, die sie auch einhalten. Die Mitgliedsstaaten könnten die Erfüllung der europäischen Direktive stichprobenweise kontrollieren. Ansonsten würden wir auf Beschwerden warten, um dann prüfend einzuschreiten. Dafür hätten wir Zugang zu den Daten, die ansonsten anonymisiert und geheim sind.

Wie sehen Sie den neuen Vorschlag zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, vor allem vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils gegen die Vorratsdatenspeicherung?
Das Urteil des EuGH war sehr umfangreich und überraschend. Deshalb haben wir unsere Fachleute darum gebeten, dass sie sich bei der Auswertung des Urteils auf dem Weg zu einem neuen Vorschlag Zeit lassen. Unser Zeitplan geht hier tendenziell in Richtung zweite Jahreshälfte 2016. Die deutsche Regierung hält das Thema für eilbedürftig und hat sich entschlossen, einen Vorschlag mit zehn Wochen Speicherdauer für Deutschland zu machen. (Ergänzung vom 28.4.2015 15:30h: Die futurezone hat beim zuständigen EU-Kommissar nachgefragt und dieser dementiert, dass eine Neuregelung geplant sei.)

Finden sie diesen Vorschlag vernünftig?
Ich kenne den Text noch nicht. Ich spreche aber noch mit (dem deutschen, Anm.) Justizminister Maas über dieses Thema. Ob zehn Wochen oder sechs Wochen, da möchte ich dem Rat von Fachleuten folgen, die von der Verfolgung von Straftaten eine Ahnung haben.

Die Terrorismusbekämpfung, die oft als Begründung für die Vorratsdatenspeicherung herhalten muss, profitiert laut Studien kaum von der Speicherung von Vorratsdaten.
Was die Fallzahlen angeht, mögen Sie recht haben. Aber unsere Fachleute von der Polizei sagen, dass die Aufklärung auf der Grundlage der Daten einfach effizienter war. Die Gewerkschaftsvertreter der Polizeibeamten wollen diese Instrumente. Die verdienen deswegen nicht mehr. Da gibt es keine Erfolgsprämien. Die können die Daten auch nicht daheim an die Wand hängen.

Beim Interview mit Oettinger
Die Vorratsdatenspeicherung ist nur für schwere Straftaten im Gespräch, die Aufklärungsraten rechtfertigen das aber kaum. Sind diese Argumente nicht reiner Populismus?
Vielleicht wäre die Aufklärungsrate ohne diese Möglichkeiten ja gesunken. Es geht außerdem nicht nur um die Aufklärung von bereits verübten Verbrechen, sondern auch um die Vermeidung von geplanten Straftaten. Wenn ein Fachmann für innere Sicherheit das Instrument verlangt, dann will ich es auch zur Verfügung stellen. Zurückziehen kann man das Werkzeug immer noch.

Aber in Verdachtsfällen haben die Behörden ohnehin ganz andere Mittel zur Hand. Dass die Vorratsdatenspeicherung einem Pauschalverdacht gleichkommt, lässt sich schlecht wegdiskutieren.
Stimmt. Wenn sie den ersten Bezirk von Wien mit der Kamera überwachen, ist das auch ein pauschaler Verdacht, dass jeder, der Abends spazieren geht, einen Ladendiebstahl begehen könnte. Es geht immer um eine Abwägung. Ich sage als Bürger: Ich finde den Eingriff in meine Privatsphäre vertretbar.

Wie beurteilen sie die Verschärfung der Gangart ihrer Kollegin Vestager gegenüber Google in Sachen Wettbewerbsverfahren?
Die Kommission hat die Pflicht zu prüfen, ob Marktteilnehmer unsere Regeln beachten. Dabei werden wir aufgrund von Beschwerden tätig. Unser vorläufiges Ergebnis ist, dass die Marktpraxis von Google wichtige Regeln des europäischen Binnenmarktes verletzt. Wir halten Google für qualifiziert. Das ist ein Dienstleister, den wir brauchen. Aber dieser Dienstleister muss Neutralität und Objektivität wahren und diskriminierungsfrei arbeiten. Bei 80 bis 90 Prozent Marktanteil ist es unsere Pflicht, sehr sensibel zu sein. Google hat zehn Wochen Zeit, um Gegenargumente zu bringen. Dann werden wir ein Urteil fällen.

Durch eine Trennung der Geschäftsmodelle ist ihre Forderung nach Neutralität aber nicht erfüllt. Sind sie für spezielle Vorschriften?
Wenn sich unsere vorläufigen Martktbewertungen als endgültig erweisen, dann müsste Google abgemahnt werden und es könnten gegebenenfalls auch Geldstrafen ausgesprochen werden. Wir erwarten, dass Unternehmen sich an unsere Regeln halten, wenn sie an unserem Markt teilnehmen wollen. Ansonsten könnte auch ein weiteres Verfahren folgen. Im schlimmsten Fall fliegt ein Teilnehmer sogar aus dem gemeinsamen Markt.

Aber gilt ihre Anforderung für Neutralität auch für die Suchergebnisse?
Man kann mit Sicherheit keine völlig neutrale Erwartung formulieren. Es geht darum, Irreführungen zu vermeiden und eine Beeinflussung, die der Nutzer vielleicht gar nicht bemerkt, zu verhindern.

Sind sie trotz der gescheiterten Versuche in Deutschland und Spanien für ein europäisches Leistungsschutzrecht?
Das deutsche Leistungsschutzgesetz hat sich in der Praxis nicht als wirkungsvoll erwiesen. Wir prüfen im Zuge der Urheberrechtsreform, ob und wie wir eine vergleichbare Regelung europäisch aufbauen könnten.

In Spanien hat Google lieber seine Nachrichtensuche eingestellt, als zu zahlen. Glauben Sie, sie können Google Bedingungen diktieren?
Darauf habe ich keine abschließende Antwort. Aber Google hat ein Interesse daran, im europäischen Markt tätig zu sein. Der Konzern wird sich dreimal überlegen, ob er mit uns in eine Schlacht gehen will.

EU-Kommissar Günther Oettinger
Finden Sie es grundsätzlich in Ordnung, dass die Verlage Geld von Google wollen, obwohl sie ja auch von dem Angebot profitieren?
Ich würde gerne den Inhalteanbietern, in diesem Fall den Verlagen, die Möglichkeit verschaffen, dass sie frei entscheiden können, ob sie ihre Inhalte hergeben.

Das können sie auch jetzt.
Rechtlich ja, faktisch aber nicht. Ich würde sie gerne rechtlich und faktisch in den Stand versetzen, dass sie frei entscheiden können, ob sie ein Produkt nur gegen Geld weitergeben, oder ob sie aus Vermarktungsgründen einem Dritten gestatten, die Inhalte ohne Entgelt zu präsentieren.

Was uns wieder zum Thema bringt, welche Regeln für Suchmaschinen gelten sollen. Es scheint, dass sie auch hier höhere Anforderungen an Google stellen. Gibt es eine Art öffentlich-rechtlichen Auftrag für Suchmaschinen?
Ich glaube, dass die Position von Google auf dem Markt so dominant ist, dass es nicht nur um eine privatwirtschaftliche Dienstleistung geht. Mit einer solchen Position sind besondere Pflichten verbunden.

Wie geht es mit der Datenschutzreform voran?
Im Rat gab es Stillstand, fast eineinhalb Jahre lang. Jetzt arbeiten die Mitgliedsstaaten aber sehr konstruktiv und arbeiten Kapitel für Kapitel ab. Ich gehe davon aus, dass die neue Datenschutzgrundverordnung vor Jahresende in Kraft treten kann.

Sie sagen, dass Deutschland seine Datenschutzregeln im Interesse einer EU-weiten Lösung zurückschrauben muss. Führt dieser Kompromiss nicht zu einer verwässerten europäischen Lösung?
Derzeit gehen die großen Online-Dienstleister nach Irland und halten sich dann ausschließlich an das dortige Datenschutzrecht. Mir ist eine wirksame europäische Regelung lieber, auch wenn sie in einigen Artikeln unterhalb des deutschen Datenschutzniveaus liegt. Dann können wir in ganz Europa abmahnen und abstrafen.

Sollte im Sinne der Bürger nicht der höchste Standard angestrebt werden?
“Höchstmöglich” hieße Datenschutz ohne jede Einschränkung. Wenn man Daten so weit schützt, sind sie nicht mehr nutzbar. Deswegen ist Balance gefragt. Der beste Datenschutz nützt nichts, wenn der Bürger bei der Telekom im Laden steht, sich das iPhone von Apple kauft und die allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht liest. Durch das Akzeptieren der Datenschutzregeln von Apple unterwirft sich der Kunde beim Kauf den Vorschriften des US-Konzerns.

Ihnen wurde zum zum Amtsantritt medial vorgeworfen, zu wenig Erfahrung mit der digitalen Welt zu haben. Wie hat sich ihr digitaler Alltag seither verändert?
Meine Vorgängerin war zehn Jahre älter. Wie kommt man eigentlich auf die Idee, mir mein Lebensalter vorzuwerfen? Ich war früher Energiekommissar, und am Anfang gab es die gleichen Vorwürfe. Ich habe tolle Fachleute und bin noch immer lernfähig. Man muss keine Software schreiben können, um Regulierungen für den digitalen Sektor zu formulieren.

Ihr digitaler Alltag hat sich nicht geändert?
Nein, der Umgang mit Smartphone, E-Mails und SMS ist gleich geblieben. Ich habe aber viele neue Wörter gelernt. Es gibt eben in jeder Branche Spezialbegriffe. Das ist das Normalste der Welt.

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Markus Keßler

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