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Cyber Warfare

Russische Profi-Trolle verbreiten Panik in den USA

Der US-Journalist Adrian Chen beschreibt in einem ausführlichen Artikel für die New York Times, wie er Russlands professionelle Troll-Gruppe auf die Spur gekommen ist und bei seiner Vor-Ort-Recherche selbst zum Trolling-Opfer wurde.

Die Gruppe hat den Namen Internet Agency und soll von der russischen Regierung finanziert werden. Berichten russischer Medien zufolge, soll die Internet Agency ein Budgets von umgerechnet etwa 320.000 Euro pro Monat haben und 400 Mitarbeiter, die in 12-Stunden-Schichten arbeiten.

Chemieunfall

Eine der größten Aktionen der Internet Agency war ein vermeintlicher Chemieunfall in Louisiana. Am Morgen des 11. September 2014 erhielten Anrainer einer Chemiefabrik Warn-SMS. Durch eine Explosion in der Fabrik sind giftige Gase ausgetreten, sie sollen Schutz suchen.

Auf Twitter berichteten hunderte Personen unter #ColumbianChemicals über die Explosion. Neben Augenzeugenberichten wurde auch ein Foto einer brennenden Fabrik gezeigt und ein Video einer Überwachungskamera einer Tankstelle, das die Explosion zeigt.

Journalisten, Medien und Politiker erhielten dutzende Nachrichten per Twitter, die auf den Unfall hinwiesen. Einer postete einen Screenshot der CNN-Website, auf der der Unfall bereits Thema war. Ein anderer postete ein YouTube-Video, indem ein Bekenner-Video der IS im arabischen Fernsehen zu sehen ist. Andere verlinkten auf Websites von TV-Sendern und Zeitungen in Louisiana, die über den Unfall/Anschlag berichteten.

Fälschen mit Methode

Der Screenshot der CNN-Website war natürlich gefälscht. Auch das YouTube-Video mit den maskierten IS-Kämpfern war ein Fake. Die Websites der TV-Sender und Zeitungen waren gespiegelte Versionen der Original-Websites, in denen die fingierte Berichterstattung zum Chemieunfall eingebaut wurde.

Dieses professionelle Trolling war kein Einzelfall. Chen hat zwei weitere Fälle untersucht, deren Macharten darauf hindeuten, dass die Internet Agency dahinter steckt. Am 13. Dezember posteten dieselben Twitter-Accounts wie beim Chemieunfall in Louisiana über einen Ebola-Ausbruch in Atlanta. Unter #EbolaInAtlanta tauchte unter anderem ein YouTube-Video auf, in dem Personen mit Schutzausrüstung einen vermeintlichen Ebola-Erkrankten vom Flughafen Atlanta abtransportieren.

Noch am selben Tag machte eine andere Falschmeldung unter #shockingmurderinatlanta die Runde, diesmal von anderen Twitter-Accounts. Eine schwarze, unbewaffnete Frau wurde angeblich von Polizisten erschossen. Ein verschwommenes YouTube-Video zeigte die Tat. Chen erkannte die Stimme des Mannes in dem Video – er hatte sie schon einmal in einem Video des Chemieunfalls in Louisiana gehört.

Propaganda-Ausstellung

Chen verfolgte die Spur weiter. Er identifizierte ein paar Facebook-Troll-Profile und beobachtete sie. So fiel ihm auf, dass mehrere davon zu einer Ausstellung in New York eingeladen waren und daran teilnahmen. Die Ausstellung sollte mit Fotos die Wahrheit des Syrien- und Ukraine-Konflikts zeigen. Als Chen dort war, wurde ihm rasch klar, dass die syrischen Rebellen und Pro-Ukraine-Kämpfer als menschenverachtend dargestellt wurden.

Er vermutet, dass die ganze Ausstellung eine russische Propaganda-Aktion war. Natürlich haben die Twitter-Accounts, die über die gefälschten Ereignisse berichtet haben, die Ausstellung beworben und gelobt.

Getrollt in St. Petersburg

Chen begab sich nach St. Petersburg, um vor Ort weiter zu recherchieren. Über einen Leak von Anonymous International, der interne E-Mails der Internet Agency enthielt, stieß er auf Katarina Aistova. Sie soll einer der wenigen Mitarbeiter der Gruppe sein, die im englischsprachigen Team arbeitet, das ua. für die US-Trolling-Aktionen verantwortlich ist. Der Großteil der Internet-Agency-Belegschaft soll auf russischen sozialen Netzwerken und Medienseiten für Pro-Kremel-Kommentare verantwortlich sein.

Aistova stimmte einem Treffen zu, aber nur, wenn sie ihren Bruder mitnehmen könne. Sie habe Angst, denn nach den Leaks habe sie Drohungen erhalten, unter anderem von Männern, die plötzlich vor ihrer Wohnungstüre standen. Der Bruder hatte ein T-Shirt mit dem SS-Totenkopf an und zahlreiche Tattoos mit Nazi-Symbolen. Aistova lieferte keine neuen Erkenntnisse. Sie habe nur eineinhalb Monate für die Internet Agency gearbeitet, glaube Putin will den Leuten in der Ostukraine helfen und dass er in den US-Medien unfair behandelt werde. Sie liebe Russland, möge aber auch die USA und würde gerne New York besuchen.

Mitarbeiter der CIA

Wenige Tage später veröffentlichte die russische Federal News Agency einen Artikel über Chen. Der Titel: „Was hat ein New-York-Times-Journalist mit einem Nazi von St. Petersburg gemeinsam?“ Aistovas Bruder war in Wirklichkeit ein bekannter Nazi mit dem Spitznamen Fly. In dem Artikel wurden Fotos gezeigt, die so aussahen, als hätte Chen mit Fly geredet und nicht mit Aistova.

Die Federal News Agency ist Chen nicht unbekannt. Sie hat ihren Sitz zufällig in dem Gebäude, aus dem die Internet Agency nach den Anonymous-Leaks ausgezogen sein soll. Bei seinen Recherchen in St. Petersburg sprach er, einen Tag nach dem Treffen mit Aistova, mit dem vermeintlichen Chefredakteur der Federal News Agency in dessen Büro.

Pro-Kremel-Websites und Blogs begannen die Nachricht weiter zu verbreiten. Auf YouTube tauchte ein Video über das Treffen auf. Darin war ein Foto von Chen enthalten, wie er sein Hotel verließ. Er wurde offenbar auch abseits des Treffens beschattet.

Andere Websites verbreiteten das Gerücht, dass Chen für die NSA oder CIA arbeitet. Auf dem russischen Twitter wurde ein kyrillischer Hashtag genutzt, der übersetzt „Rekrutierung von Nazis“ lautete.

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