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Österreich

"Smart Meter-Zwang ist verfassungswidrig"

"Aus Sicht der Mietervereinigung ist der Zwang zum Zähler-Tausch ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Endverbraucher und damit verfassungswidrig", sagt Nadja Shah, Bundesgeschäftsführerin von der Mietervereinigung, zur futurezone. Da die Privatsphäre der Nutzer verfassungsrechtlich geschützt ist, darf in diese nur eingegriffen werden, wenn es entweder ein öffentliches Interesse daran gibt oder wenn die Betroffenen dem Eingriff zustimmen. Laut Mietervereinigung ist dabei weder das eine noch das andere gegeben. "Zum öffentlichen Interesse fehlen bislang glaubhafte Ausführungen", heißt es dazu in einer umfangreichen Stellungnahme zur Begutachtung des Bundes-Energieeffizienzgesetzes, mit der zeitgleich auch dasElektrizitätswirtschafts- und organisationsgesetz (ElWOG) erneut novelliert wird.

5,5 Millionen mechanische Stromzähler sollen in Österreich bis Ende 2019 gegen digitale Smart Meter ausgetauscht werden. Laut ElWOG ist dabei vorgesehen, dass die Verbrauchsdaten in 15-Minuten-Intervallen aufgezeichnet werden und diese Werte 60 Tage im Zähler gespeichert werden müssen.

lassen sich dadurch Rückschlüsse auf die Lebensgewohnheiten der Bewohner ziehen.

Datenschutzrechtliche Verbesserungen
Im Zuge dieser Novelle (PDF) sind einige datenschutzrechtliche Verbesserungen hinzu gekommen. So soll etwa festgeschrieben werden, dass eine Auslesung samt Verwendung von Viertelstundenwerten nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Endverbrauchers zulässig sein soll, außer die Daten werden unmittelbar nach deren Auslesung anonymisiert und nur in dieser anonymisierten Form zum Zweck der Energiestatistik oder zur Aufrechterhaltung eines sicheren Netzbetriebs verwendet. Der MVÖ ist dies zu wenig. "Die Aufzeichnung der Daten ist dabei der springende Punkt. Der Verbraucher kann in keinster Weise kontrollieren, was mit seinen Daten passiert. Es wurde keine technische Vorrichtung vorgesehen, die es ihm erlaubt, die Aufzeichnung im Viertelstundentakt zu stoppen", sagt Shah, die stattdessen ein Recht des Kunden auf Widerspruch gegen dein Einbau der intelligenten Messgeräte fordert.

Zudem hält man sich im Gesetzestext ein "Schlupfloch". "Viertelstundenwerte dürfen nur nach ausdrücklicher Zustimmung des Endverbrauchers oder zur Erfüllung vertraglicher Pflichten an den Lieferanten übermittelt werden", heißt es im Gesetzesentwurf. Laut Mietervereinigung würde dies viel Interpretationsspielraum zulassen und die Zustimmungspflicht des Endverbrauchers untergraben. Gerade dieses Schlupfloch dürfte für Energieversorger interessant sein.

So verweigerten der niederösterreichischen EVN etwa 23,8 Prozent potentielle Teilnehmer am Pilotprojekt die Unterschrift. Am häufigsten wurde dabei als Grund "kein Interesse" genannt, oder es wurde auf die Angabe von Gründen verzichtet. "Im Vergleich zu anderen Studien ergibt sich relativ eindeutig, dass in der Bevölkerung nur maximal 20 Prozent an Energiefragen und dem eigenen Energieverbrauch

", erklärt Maximilian Urban, der die Novelle des ElWOG-Gesetzes begrüßt. "Bei unseren Kunden war tatsächlich die Einholung der Unterschrift des Kunden ein Problem."

Ablehnung der Zähler in zwei (von 86.000) Fällen
Ganz andere Erfahrungen machte hier die Linz AG, die bereits rund 86.000 alte Zähler durch Smart Meter ersetzt hat. "Nur sehr wenige Kunden haben den Zählertausch kritisch hinterfragt und sich besorgt über die technischen Gegebenheiten geäußert", erzählt Andreas Reinhardt von der Linz AG.

Zu einer Ablehnung kam es überhaupt nur in zwei Fällen. "Unsere Monteure reden mit den Menschen. In besonderen Fällen kommen wir daher unseren Kunden umkompliziert entgegen. Durch die gesetzliche Vorschreibung von 95 Prozent bietet sich vorläufig auch die Möglichkeit an, einen Zählerwechsel nicht durchzuführen", sagt Reinhardt. Wenn die Zahl der Zähler-Gegner allerdings künftig die fünf Prozent-Hürde überschreiten sollten, müsse man mit dem Gesetzgeber reden, so Reinhardt. "Generell sieht die Gesetzgebung derzeit klar einen vollständigen Roll-Out vor und der Kunde kann sich die Umstellung auf Smart Meter eigentlich nicht aussuchen, sie ist verordnet."

Strom abdrehen "aus sozialpolitischen Gründen nicht gewollt"
Urban von der EVN sagte zur futurezone, dass er heute noch nicht wisse, was sie 2015 mit Smart Meter-Verweigerern machen werden. "Derzeit sind wir mit der Projektplanung beschäftigt." Ein anderer heimischer Netzbetreiber hat für den Fall der Tauschverweigerung in den Raum gestellt, das man immer noch den Strom abdrehen könnte. Das ist unlängst einer Frau im US-Bundesstaat Ohio passiert, wie "The Blaze" berichtet.

Die Frau hat einen Herzschrittmacher und hat Angst davor, dass der Smart Meter diesen negativ beeinflussen könnte. Anders als bei uns kommunizieren die Zähler in den USA im Bereich von 900 bis 930 MHz und der betroffene Energielieferant konnte nicht ausschließen, dass es zu einer Beeinflussung kommen kann. Aus diesem Grund verweigerte die Frau den Einbau - bis ihr bei Minusgraden im tiefsten Winter der Strom abgestellt wurde.

"Europa hat hier eine deutlich andere Haltung. Eine Abkoppelung ist aus sozialpolitischen Gründen sicherlich nicht gewollt", sagt Urban von der EVN zu dem Fallbeispiel aus den USA. Shah von der Mietervereinigung hält dieses Vorgehen zudem für rechtswidrig. Die Mietervereinigung rät zudem Netzbetreibern die verordnete Verpflichtung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten. "Spätestens wenn die Kunden den Tausch verweigern, wird klar werden, dass das vorliegende Gesetz sowie die darauf basierenden Verordnungen verfassungswidrig sind."

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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