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Überwachung

"Snowden-Dokumente sind noch immer toxisch"

Als der „Guardian“-Journalist MacAskill vor mehr als zwei Jahren nach Hongkong flog, um dort Edward Snowden im Hotelzimmer zu treffen, wusste er nicht genau, was ihn erwarten würde. „Seit ich Snowden getroffen habe, bin ich paranoid. Aus gutem Grund“, erzählte er im Rahmen einer Veranstaltung von Ö1 und dem fjum im Radiokulturhaus in Wien vergangene Woche.

Martin Staudinger (Profil) (l.) spricht mit Ewan MacAskill (Guardian)(r.) im Radiokulturhaus.
Für ihn sei es eine vergleichbar „einfache Story“ gewesen, so MacAskill, deren Tragweite er am Anfang zudem gar nicht erkannt hätte. „Aber Snowden, er hat sein Leben im Kampf für die Privatsphäre im Netz aufgegeben.“ Dabei sei Snowden eigentlich ein typischer US-Patriot. „Er wollte nach 9/11 in den Irak-Krieg ziehen“, so MacAskill. „Snowden selbst bezeichnet sich jetzt als Mitte-Links“, wie MacAskill, der den US-Whistleblower zuletzt im Sommer diesen Jahres in Moskau getroffen hat, erzählt.

60.000 Dokumente

Ein Verräter sei Snowden zudem auf gar keinen Fall, so MacAskill zu den Vorwürfen, dass Snowden in Russland US-Staatsgeheimnisse ausplaudern könnte. „Er hat uns alle Dokumente in Hongkong übergeben. Als er in Russland eingereist ist, hatte er kein einziges Dokument mehr bei sich“, so der „Guardian“-Journalist. Insgesamt haben die Dokumentarfilmerin Laura Poitras, Glenn Greenwald und er rund 60.000 Dokumente von Snowden erhalten. „Manche davon haben drei Seiten, anderen 20.000.“

Spätestens als sich jemand versucht hatte, aktiv in die Leitungen der Redaktions-Videokonferenzen einzuklinken, habe man gewusst, dass die Dokumente echt und brisant seien, so der 63-jährige gebürtige Schotte, der das Washington-Büro des „Guardian“ leitete. Was dann passierte, entbehrte jeglicher Plausibilität. Die britische Regierung und der britische Geheimdienst übten täglich Druck aus auf die „Guardian“-Redaktion. „Wenn ihr nicht aufhört, diese Snowden-Storys zu veröffentlichen, veranlassen wir eure Schließung“, lautete einer der täglichen Drohungen gegen die Redaktion - bis dann die Festplatten im "Guardian"-Büro komplett zerstört wurden.

"In den USA undenkbar"

„In den USA ist ein derartiges Vorgehen gegen Medien völlig undenkbar“, sagt MacAskill. Weil die britische Regierung auch das „Guardian“-Büro in den USA als Außenstelle als „britische Terrain“ betrachtetet habe, musste er die Dokumente zur „New York Times“ bringen. „Die haben mir angeboten, dass ich dort einen Raum bekomme, wo ich arbeiten kann“, so MacAskill. In den USA sei es nämlich nicht üblich, gegen Medien vorzugehen, das würde gegen die Verfassung verstoßen.

Die Dokumente im britischen „Guardian“-Büro seien vollständig zerstört worden, aber es gebe selbstverständlich weitere Kopien in Berlin, Rio und eben New York. Der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wolle und könne man die Dokumente aber weiterhin nicht: „Die Dokumente sind noch immer toxisch und könnten Snowden, wenn er jemals in die USA ausgeliefert werde, zum Verhängnis werden“, meint MacAskill. Auch ein Zugänglichmachen für andere Journalisten sei aus derzeitiger Sicht nicht geplant. „Jeder Leak wäre ein Leak zu viel“, so MacAskill.

Man habe zudem nicht unmittelbar vor, noch weitere Geschichten aus dem Fundus der Snowden-Dokumente zu veröffentlichen. „Die Storys, die die Privatsphäre der Menschen betreffen, sind bereits publiziert worden“, sagt der „Guardian“-Journalist. Außerdem habe man im Zuge der Zeit bemerkt, dass die Medien bei dem Thema emotional abstumpfen. „Das mediale Interesse ging mit jeder weiteren Veröffentlichung zurück“.

Terror: "Kein einziger Beweis"

Auf die Frage, warum er glaube, dass so wenig Menschen mit zivilem Ungehorsam auf die Enthüllungen zur Massenüberwachung reagieren, meint McAskill: „Das Eindringen in die Privatsphäre ist für viele nicht direkt spürbar. Sie sehen sie nicht.“

Während in den USA die Snowden-Enthüllungen zu gesetzlichen Verbesserungen geführt hätten, habe man in Europa – vor allem in Großbritannien, aber auch in Deutschland und Österreich – den umgekehrten Weg eingeschlagen. „Dabei haben die Regierungen keinen einzigen Beweis dafür, dass Massenüberwachung Terrorismus wirklich aufhält“, so der Journalist.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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