"Soziale Medien machen Welt nicht demokratischer"
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Sie wählen für uns aus, was für Nachrichten wir auf Facebook sehen und entscheiden darüber, ob wir einen Kredit bekommen oder nicht: Algorithmen. Doch was für einen Einfluss haben sie tatsächlich auf uns und unser demokratisches System? Die Debatte über gefälschte Profile und Nachrichten, die die Wahlen in den USA nachhaltig beeinflusst haben könnten, führt in Europa nun zu Rufen nach schärferen Regelungen. Es wird auch befürchtet, dass vermehrt sogenannte „Social Bots“ eingesetzt werden, die Stimmung für bestimmte Parteien und Themen machen. Doch kann ein Gesetz gegen „Fake News“, also Falschmeldungen in sozialen Netzwerken, wirklich die Demokratie retten? Die futurezone traf die deutsche Komplexitätsforscherin Yvonne Hofstetter zum Gespräch.
futurezone: Was macht die Digitalisierung mit unserer politischen Meinung? Yvonne Hofstetter: Was Digitalisierung ist, merken die Menschen am meisten an der Vernetzung. In sozialen Medien kann heute jeder mitzwitschern. Die Massendaten, die sich dort ansammeln, zeigen mir Facebook & Co. nur an, wenn sie für mich relevant sind. Nun sind für mich ganz andere Dinge relevant als für Sie. So spalten uns Facebook,Twitter & Co., und wir haben keine gemeinsame Information mehr über das Weltgeschehen. Jeder von uns steckt in seiner persönlichen Gummizelle, der Echokammer. Das macht politische Debatte unmöglich.
Wie genau darf man sich das vorstellen? Anfangs dachten wir, soziale Medien würden die Welt demokratischer machen. Das hat sich als großer Irrtum erwiesen. Soziale Medien sind nur eine private Technologieplattform für die Werbung, die Technologiekonzerne noch reicher machen. Sie bestimmen die Regeln: wer mitmachen darf, welche Bilder zensiert werden, dass Übertreibungen oder sogar dreiste Lügen angezeigt werden – eben typische Werbestrategien. Hauptsache, ein Posting ist ein Aufreger. Die größten Aufreger bringen Facebook, Twitter & Co. das meiste Geld ein.
Und was kann man dagegen tun? Obwohl Facebook, Twitter & Co. größte Breitenwirkung und höchste Suggestivkraft haben, sind sie nicht reguliert wie ein öffentliches Massenmedium. Die sozialen Medien sind ein Raum für Werbung und eben kein öffentlicher Raum für politischen Diskurs. Man kann dort nicht die Wahrheit über das Weltgeschehen herausfinden, weil sie als Werberaum für potenzielle Täuschung, Übertreibung und Auslassungen wie geschaffen sind und für wahrheitsgemäße Darstellung keine Verantwortung übernehmen wollen.
Sollte man dann Ihrer Meinung nach versuchen, private Netzwerke wie Facebook zu regulieren oder sich lieber um Alternativen kümmern, etwa ein öffentliches Netz schaffen? Einige Medienrechtler fordern einen öffentlichen digitalen Raum. Ein Netz, in dem Informationen und ihre Quellen verifiziert sind, damit man zuverlässig darüber urteilen kann, was Lüge ist und was nicht. Im Internet lässt sich nur selten die Quelle einer Information feststellen. Natürlich ist auch die Presse nicht vorurteilsfrei, aber sie weiß, woher Informationen stammen, wer sie redaktionell bearbeitet hat und verantwortlich ist. Bei Facebook übernimmt ein Algorithmus die redaktionelle Arbeit. Er fragmentiert die Gesellschaft und atomisiert sie. So entstehen unsere Echokammern, eine Masse an Echokammern. Aber eine Gesellschaft, die zur Masse gemacht wird, ist anfällig für totalitäre, undemokratische Tendenzen.
Wie umfangreich war der Einsatz von sogenannten Wahl-Bots? Wie Wahl-Bots den US-Wahlkampf beeinflusst haben, muss erst noch wissenschaftlich untersucht werden. Viele Nutzer wissen nicht, dass rund 50 Prozent des gesamten Internetverkehrs von Maschinen erzeugt wird. Sie posten, teilen, liken und das viel schneller und häufiger, als wir Menschen das tun.
Sind Algorithmen wirklich so mächtig, dass sie Meinungen beeinflussen können? Viele Algorithmen und Social Bots sind dumm, aber ihre Wirkung ist mächtig. In meinem Buch beschreibe ich ein Szenario, in dem Wähler durch sogenannte Informationsläufer dazu gebracht werden, wieder demokratisch zu wählen. In der Realität passiert derzeit genau das Gegenteil. Die Neue Rechte in Europa hat längst erkannt, dass man mit digitalen Werkzeugen die Aufregung, die Wut im Netz verstärken kann. Bürgerliche Parteien hingegen haben hier keine Masterstrategie.
Neben „Fake News“ ist auch „Hate Speech“ ein weit verbreitetes Phänomen im Netz. Können Algorithmen hier beim Löschen weiterhelfen? Die Lösung bestünde im redaktionellen Bearbeiten von Inhalten. Maschinen tun sich hierbei schwer. Kürzlich hat Facebook das weltberühmte Bild von Nick Ut aus dem Vietnam-Krieg gelöscht. Ein neunjähriges Mädchen läuft nach einem Napalm-Angriff schreiend davon. Das Kind ist nackt. Facebook duldet keine Nacktbilder. Nur: Viele Menschen sehen nicht primär das nackte Kind, sondern den Bildkontext: den Schrecken des Krieges, die Angst, die Hitze des Feuers. Diesen Kontext haben nur Menschen, nicht aber Maschinen. Daher braucht es menschliche Redaktionen. Den Menschen aus dieser Kontroll-Schleife rauszunehmen und durch Algorithmen zu ersetzen, halte ich für den falschen Weg.
In Deutschland will man jetzt schärfer gegen „Fake News“ und „Hate Speech“ vorgehen, unter anderem mit Verboten und einem Wahrheitsministerium. Wer soll am Ende darüber entscheiden, was richtig und was falsch ist im Netz? Lieber Himmel, wir würden ins 19. Jahrhundert zurückfallen. Über Wahrheit und Lüge hat nicht der Staat zu entscheiden, sondern unabhängige Redaktionen, die an das Presserecht oder das Medienrecht gebunden sind. Ein Wahrheitsministerium ist opportunistisch. Wem verbiete ich was? Vielleicht kommt dem Staat die eine oder andere Lüge ganz gelegen. Lasse ich sie dann stehen? Nein, der Staat muss durch die vierte Macht, die Medien, kontrolliert werden. Allerdings müssen Staaten grundrechtssichere digitale Infrastrukturen zur Verfügung stellen, bei denen klar ist, dass sie Qualitätsjournalismus und gesicherte Informationen bereithalten.
Wer sagt, dass die Menschen derartige Informationsangebote auch wirklich nutzen würden? Derzeit kann sich auch jeder abseits von Facebook informieren. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, sich informieren zu wollen. 45 Prozent der Europäer beziehen Nachrichten tatsächlich nur noch über die Newsfeeds sozialer Medien. Hier tut Aufklärung not: Mitbürger, ihr lest nur Werbenachrichten. #dressgate, #grumpycat, #divakid machen nur die Technologiegiganten reicher. Geld verdienen ist ein anderer Begriff für Kapitalismus. Es ist die kapitalistische Ideologie der Digitalisierung, die in unserer Gesellschaft keinen Stein mehr auf dem anderen lässt. Es herrschen die Technologiekonzerne, nicht mehr die demokratisch gewählten Institutionen.
Staaten sind hier also bereits machtlos? Wenigstens in Deutschland hat man den Eindruck, es herrscht der Primat der Wirtschaft. Aus Berlin kommt die Forderung nach einer marktkonformen Demokratie. Eigentlich haben wir uns in Europa auf die soziale Marktwirtschaft geeinigt, also wohl eher einen demokratiefähigen Markt. Noch etwas: Warum haben wir Europäer keine eigenen Technik-Angebote? Keine Smartphones, keine Betriebssysteme, keine Computer, keine Chips – warum ist das so? Warum nutzen wir nur amerikanische Angebote?
Sie glauben, da stecken politische Gründe dahinter? Die USA haben viele Billionen investiert, um die führende Cyber-Macht zu werden. Wir Europäer benehmen uns wie Trittbrettfahrer dieser Investments. Warum eine eigene europäische Infrastruktur bauen, wo uns doch die USA alles kostenlos zur Verfügung stellen? Die Cyberstrategie der USA hat uns dazu gebracht, den USA freiwillig zu folgen. Dafür akzeptieren wir, dass US-Konzerne, von NSA über Amazon bis Google, auf unseren Datenströmen und Netzwerkknoten sitzen und die US-Amerikaner informiert sind, was bei uns läuft. Wir haben sie als Ordnungsmacht akzeptiert. Die Chinesen und Russen wollen diese Cybermacht brechen. Und wir Europäer stehen wie ein Spielball dazwischen.
Und was wäre Ihre Lösung für Europa? Ich bin ein Proponent einer eigenen europäischen Infrastruktur, die auch unserem Verfassungsverständnis und unseren Rechtsordnungen folgt. Also für die digitale Emanzipation.
In Ihrem Buch „Das Ende der Demokratie“ schreiben Sie: „Die Digitalisierung ist wie Lehm. Sie ist formbar. Wir sollten uns die Hände schmutzig machen und daran mitformen.“ Was kann jeder einzelne beitragen? Digitalisierung fällt nicht vom Himmel, sondern wird gemacht. Eine europäische Digitalisierung sieht anders aus als die aus dem Silicon Valley. Mit digitalen US-Angeboten kaufe ich mir amerikanische Werte und Standards ein. Etwa die Überwachung. Sie ist in jeder unserer Lieblingsmarken, von Google bis WhatsApp, eingebaut. Die einzige Möglichkeit, etwas zu ändern, wäre, wenn Europa sagt: Wir krempeln gemeinsam die Ärmel hoch und bauen unsere eigenen europäischen Angebote. Nur sie werden unsere europäischen Rechtsordnungen achten können.
Und das macht Ihrer Meinung nach derzeit niemand? Es gibt nur sehr wenige Unternehmen, die bereit sind, das zu machen. Einige bieten bewusst rein europäische Angebote an – etwa das österreichische Unternehmen Fabasoft aus Linz. Aber generell tun wir hier noch viel zu wenig.
Wie wird sich die Gesellschaft durch die Digitalisierung verändern? In den nächsten zehn bis 15 Jahren werden wir vor allem massive Verwerfungen der Arbeitswelt sehen. Die Digitalisierung wird viele Berufsbilder für immer auslöschen. Das wird derzeit völlig unterschätzt. Fakt ist: Auch hier muss jede Branche selbst Lösungen finden. Sich die Hände schmutzig machen und mitgestalten. Nur wer bereit ist, einige Jahre in die Zukunft zu blicken, ist für alle Eventualitäten gerüstet.
Wie kann man gesamtgesellschaftlich hier gegensteuern, damit die Menschen nicht verarmen? Kapital hat immer mehr Anteil an der Produktivität eines Landes, während der Anteil der menschlichen Arbeit weiter sinkt. Wir müssten das Steuerrecht reformieren, indem wir Kapitaleinkünfte progressiv besteuern und eine Flat Rate für menschliche Arbeit einführen.
Yvonne Hofstetter. „Das Ende der Demokratie“. ISBN: 978-3-570-10306-7
Zur Autorin:
Die Deutsche Yvonne Hofstetter ist nach einem Studium der Rechtswissenschaften seit 1999 international in Softwareunternehmen tätig und für die Positionierung von Multi-Agentensystemen bei der Rüstungsindustrie und für den Algorithmischen Börsenhandel zuständig. Seit 2009 ist sie Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH, eines Unternehmens, das auf die intelligente Auswertung großer Datenmengen mit Optimierern und maschinellen Lernverfahren spezialisiert ist. Ihr erstes Buch „Sie wissen alles“ (erschienen im Jahr 2014) wurde ein Bestseller.
Hinweis
Yvonne Hofstetter wird am 11. Jänner von 12 bis 13.30 Uhr im Clubraum der ÖGAVN in der Hofburg (Reitschulgasse 2/2, 1010 Wien) als Vortragende sprechen. Sie wurde vom "Internationalen Club" der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen eingeladen. Bei Besuch der Veranstaltung wird um Anmeldung unter office@oegavn.org gebeten.
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