Urheberrecht: "Mediennutzung in der Grauzone"
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In der im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) erstellten Studie "Kulturelle Produktion und Mediennutzung im Alltag" (PDF) zeigen Felix Stalder, Konrad Becker und Martin Wassermair vom Wiener Institut für Neue Kulturtechnologien / t0 auf, wie aktive Mediennutzung im Netz heute häufig an urheberrechtlichen Hindernissen scheitert oder die Nutzer vor unabwägbare Risiken stellt. Gesangsdarbietungen im Kindergarten sind davon ebenso betroffen, wie die Manipulation von Spielzeug-Robotern durch HTL-Schüler und der Einsatz audio-visueller Medien in Museen. "Das Urheberrecht muss grundsätzlich reformiert werden", sagt Stalder: "Die nichtkommerzielle Nutzung von Inhalten darf nicht behindert werden."
futurezone: Findet Mediennutzung heute vor allem in einer rechtliche Grauzone statt?
Felix Stalder: Wenn wir Mediennutzung nicht als reinen Konsum sondern als interaktives Hin und Her von Rezeption, Meinungsäußerung und Produktion sehen, findet sie tatsächlich vielfach in einer Grauzone statt. Aus zwei Gründen. Vieles, das früher im privaten Bereich stattgefunden hat - etwa das Teilen unter Freunden - geht heute im öffentlichen Bereich vor sich - auf Facebook, YouTube oder ähnlichen Netzwerken. Heute haben breite Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit an der Medienproduktion teilzunehmen. Dabei greifen sie auf bestehendes Material zurück, und bauen es in eigene Inhalte ein oder machen daraus Eigenes. Solche transformativen Werknutzungen sind aufgrund urheberrechtlicher Regelungen aber immer bewilligungspflichtig. Es ist aber unmöglich, für solche Nutzungen Bewilligungen einzuholen, es sind oft banale, kleine Nutzungen. Deshalb müsste eigentlich eine Regelung gefunden werden, bei der eine Bewilligung im Einzelfall nicht notwendig ist.
Wie sehen Beispiele für solche Mediennutzungen aus?
Wenn etwa Schüler im Rahmen einer Klassenarbeit, die sich mit historischen Themen auseinandersetzt aus vorhandenem Material ein Video herstellen. Solange das nur im Klassenzimmer stattfindet ist es ok, aber wenn der Film auf YouTube gestellt wird, ist es mit unabwägbaren Risiken verbunden. Ein Lehrer, der sich richtig verhalten will, muss soetwas verbieten. Es gibt ganz viele Handlungen die wir als gesellschaftlich wünschenswert erachten, die aber unterbleiben, weil es ein Risiko ist, sich in dieser Grauzone und teilweise auch in der eindeutigen Illegalität zu bewegen. Sehr viel Potenzial bleibt ungenutzt. Die Urheberrechtsdiskussion wird ja üblicherweise über Dinge geführt, die geschehen sind. Wir weisen in unserer Studie auf Dinge hin, die nicht passieren.
Über aktive Konsumenten wird viel geredet. Wie stark ist die Tendenz, kreativ mit vorhandenen Materialien umzugehen, tatsächlich?
Über längere Zeit betrachtet, ist es eine starke Tendenz. Das heißt nicht, dass jeder immer aktiv ist. Wir wollen aber eine Situation, in der jeder aktiv werden darf. Wenn wir eine solche Situation haben, können wir in der Schule auch Angebote machen, die vermitteln, wie man aktiv werden kann. Heute haben wir das Problem, dass diejenigen, die aktiv mit Inhalten umgehen, es auf eigenes Risiko machen - und diejenigen die ihnen helfen könnten, wollen das nicht, weil sie sich nicht in diesem Graubereich hineinbegeben dürfen. Es ist eine politische Frage, ob wir Bedingungen schaffen wollen, unter denen möglichst breite Teile der Bevölkerung aktiv werden können, wenn sie das wollen. Neben urheberrechtlichen Aspekten geht es dabei auch um Fragen der Medienkompetenz und der Netzneutralität. Die zentrale Frage ist, wie wir einen öffentlichen Diskurs in der Netzwerkgesellschaft gestalten wollen und unter welchen Bedingungen dieser Diskurs stattfinden soll.
Wie kann das Verhältnis zwischen privat und öffentlich neu geregelt werden?
Das Urheberrecht baut ganz entscheidend auf der Unterscheidung zwischen öffentlich und privat auf. Im privaten Rahmen haben wir sehr viele Rechte. Wir können Werke kopieren, teilen und verändern. Das Problem ist, dass der private Rahmen heute in dem Sinn nicht mehr existiert. Vieles was einst privat war, findet heute in einem "gefühlten" privaten Raum, nämlich in sozialen Netzwerken statt, die aber rechtlich gesehen öffentlich sind. Damit sind Dinge, die früher erlaubt waren, heute - wenn man sie auf zeitgemäße Art und Weise macht - nicht mehr erlaubt. In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich nicht mehr handhabbar. Das Verschwinden dieser Trennung betrifft nicht das Urheberrecht alleine. Das ist ein gesellschaftlicher Trend. Das ist eine grundsätzliche Änderung. Deshalb schlagen wir vor, dass wir von dieser Trennung wegkommen und stattdessen zwischen kommerzieller und nichtkommerzieller Nutzung unterscheiden.
Anwälten wird es vermutlich nicht schwerfallen, Filesharing im privaten Rahmen als kommerzielle Handlung darzustellen, weil sich etwa argumentieren lässt, dass sich Nutzer damit Vorteile verschaffen.
Das glaube ich nicht. Die Creative-Commons-Lizenzen, die nichtkommerzielle Nutzungen ermöglichen, haben gezeigt, dass es in der Praxis gut machbar ist. Es gab keinen einzigen gerichtlichen Streitfall, indem diese Grenze strittig gewesen wäre. Es ist auch kein Problem, wenn eine Nutzung für verschiedene Parteien verschiedene Bedeutungen hat. Wenn ich ein Video auf YouTube hochlade und teile, ist das für mich eine nichtkommerzielle Nutzung. Für Google, das daraus ein Geschäft macht, ist es eine kommerzielle Nutzung. Das heißt, für mich ist das bewilligungs- und abgabenfrei, aber die Plattform, die es anbietet, muss dafür bezahlen. Das gilt auch für Filesharing-Seiten. Für mich ist es nichtkommerziell, für Anbieter dieser Plattform ist es ein Geschäft. Die Unterscheidung ist gut zu machen. Wir haben ein Problem dabei. Die Industrie wird sich wehren. Sehr vieles, was früher ein Geschäftszweig war, wird heute von Privaten nichtkommerziell gemacht. Der Vertrieb von Files ist heute so banal, dass es einfach kein Geschäft mehr ist.
Für die Vergütung bzw. Nicht-Vergütung solcher nichtkommerziellen Nutzungsweisen gibt es verschiedene Modelle.
Es gibt zwei Möglichkeiten. Das anglo-amerikanische Fair-Use-Prinzip, bei dem Nutzer gewisse Dinge machen dürfen und dafür nichts bezahlen müssen. Man kann nichtkommerzielle Nutzungen aber auch pauschal lizenzieren, etwa wenn private Kopien durch pauschale Abgaben legalisiert werden. Bei der Festplattenabgabe, die im Moment diskutiert wird, halte ich aber für Unsinn. Außer dass ein bisschen Geld in die Kassen der Verwertungsgesellschaften gespült wird, werden keine Probleme gelöst. Wenn wir aber sagen, wir wollen die freie Nutzung von Inhalten im nichtkommerziellen Bereich, dann können wir durchaus auch darüber reden, ob diese über pauschale Mechanismen vergütet werden sollen.
Solche Modelle werden seit Jahren diskutiert. Warum sind sie nicht mehrheitsfähig?
In den vergangenen Jahren hat sich doch einiges verändert. Wir hatten das Scheitern von ACTA in der EU und das Aufkommen der Piratenparteien. Das Verschärfen des Urheberrechts stößt an Grenzen. Der Alltag und das Verhalten der Konsumenten hat sich geändert. Es ist ein langsamer gesellschaftlicher Veränderungsprozess. Es geht auch nicht darum, das Urheberrecht abzuschaffen, sondern es wieder dorthin zu bringen, wo es hingehört. Das Urheberrecht sollte eine Grundlage für die Geschäftsbeziehungen zwischen professionellen, kommerziellen Auswertern sein. Die Privaten waren bis vor wenigen Jahren ausgeklammert. Jetzt sind sie in einem Bereich, der auch von Anwälten kaum mehr zu durchschauen ist. Die Situation ist völlig untragbar.
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Zur Person
Der Medientheoretiker Felix Stalder ist Professor für digitale Kultur und Netzwerktheorien an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und arbeitet auch für das Institut für Neue Kulturtechnologien / t0 in Wien.
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