Experten klären über die Risiken von ELGA auf
Experten klären über die Risiken von ELGA auf
© Barbara Wimmer

Elektronische Gesundheitsakte

Warum Hausärzte den ELGA-Austritt empfehlen

„Wir wollen niemanden überreden, aus der Elektronischen Gesundheitsakte auszutreten, sondern wir wollen nur informieren“, erklärte Christian Euler, Präsident des Österreichischen Hausärzteverbandes (ÖHV) am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zum Thema „Raus aus ELGA“ in Wien. Die Töne, die dort angeschlagen wurden, decken sich jedoch nicht ganz mit denen der Plakate, die bald in sämtlichen Kassenpraxen Österreichs aufliegen könnten. Dort steht nämlich: „Ihr Hausarzt empfiehlt: Raus aus ELGA. 10 Gründe, um auszusteigen“.

„System ist völlig unausgereift. Bürokratie-Monster ohne Notwendigkeit. Scheitern vorprogrammiert. Geldverschwendung trotz Budgetkrise“, so lauten ein paar der Gründe, die auf dem Plakat aufgezählt werden. Die gesamte Führungsriege des ÖHV ist bereits geschlossen ausgetreten. Doch genau dieses Austreten gestaltet sich als nicht so einfach, wie es scheint.

Schwieriger Austritt

„Wer bei der Hotline anruft, um ein Formular zum Austritt zu beantragen, muss nach gefühlten zehn Minuten in der Warteschleife einen Monolog ertragen, bei dem man dazu überredet wird, doch nicht auszutreten“, erklärte etwa der Obmann der ARGE Daten, Hans Zeger. Die ARGE Daten bietet deshalb ein "vereinfachtes Formular" (PDF) an, was laut Zeger von der Widerspruchsstelle akzeptiert wird.

Ohne dieser Hotline und der postalischen Zusendung des Widerspruchsformulars gibt es neben dem Abmelden mittels Handy-Signatur oder Bürgerkarte nur die Möglichkeit, das Formular online auszufüllen, auszudrucken, eine Kopie seines Ausweises zu erstellen und die Unterlagen postalisch an ein Postfach zu senden. Dies geht freilich auch mittels eingeschriebenen Brief. Sollte der Widerspruch verloren gehen, kann der Absender mit dem Aufgabeschein in jeder Post-Filiale sechs Monate eine Nachforschung beantragen.

„Wir kritisieren scharf, dass es keine Möglichkeit gibt, sich persönlich abzumelden. Wir wollen Abmeldestellen nachträglich erkämpfen“, erklärte Eva Raunig, Bundessekretärin des ÖHV. Laut Raunig sei die Einführung des „Opt-Outs“ verfassungswidrig, weil keine „gültige Willenserklärung“ der einzelnen Patienten vorliegt, an ELGA teilnehmen zu wollen.

Datenstrukturierung völlig unklar

Der Hausärzteverband kritisierte zudem, dass durch die Einführung von ELGA ein Mehraufwand für Ärzte entstehen werde, der bisher vom Gesundheitsministerium „nicht einkalkuliert“ wurde. „Im Notfall hat man die Zeit nicht, sich mit Daten in einem PC zu beschäftigen und in PDFs nach alten Blutzucker-Werten zu suchen“, so Raunig. An einem praktischen Beispiel wird auch gleich klar, was, neben dem Mehraufwand für Ärzte, von dem diese fürchten, dass er unbezahlt bleiben wird, eines der größten bisher ungelösten Probleme von ELGA ist.

Wenn bei Patienten ein bestimmter Wert in Blutbefunden regelmäßig kontrolliert werden muss und in Folge auch bei einem Spitalsaufenthalt als wichtig erachtet wird, ist es mit dem derzeit geplanten ELGA-System nicht möglich, genau diesen einen Wert aus den Daten rasch zu extrahieren. „ELGA ist, so wie es geplant ist, nur ein Haufen von PDF-Dateien. Damit es auch funktioniert, dass ein einzelner Wert ausgelesen werden kann, müsste man ELGA richtig umsetzen“, so Zeger. Laut dem Gesetzestext soll erst ab 1.1. 2018 begonnen werden, sich mit dieser Frage überhaupt auseinanderzusetzen. „Zu diesem Zeitpunkt wird, sofern das Gesundheitsministerium keinen späteren Zeitpunkt definiert, erst begonnen, über Datenstrukturierung nachzudenken.“ Bis es diese gibt, ist ELGA laut Zeger nur eine „Vorratsdatenspeicherung für Gesundheitsdaten“. Das Abrufen gezielter Informationen sei mit ELGA nicht möglich, so Zeger.

Mehraufwand oder Verbesserung?

Die Gegenseite, der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, wiederum behauptet, dass Ärzte durch ELGA rascher und sicher einen Überblick über Patienteninformationen erhielten. „Wer will schon zweimal zur Blutabnahme, sich mehrmals gefährlichen Strahlungen aussetzen oder auf den Check von Wechselwirkungen bei der Verschreibung von Medikamenten verzichten“, fragte sich der Vorsitzende des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, Hans Jörg Schelling in einer Aussendung.

Der Hausärzteverband befürchtet jedoch das Gegenteil: „Den Ärzten wird Mehrarbeit aufs Aug gedrückt. Dadurch wird sich auch die Behandlungsdauer pro Patient erhöhen. In Folge brauchen wir mehr Ärzte“, so der ÖHV-Präsident Euler. Die Befürchtung ist aber, dass Kassenärzte, die derzeit im Schnitt ohnehin nur rund 1,50 Euro pro Patient und Behandlung bekommen würden, diese Mehrarbeit kostenlos erledigen müssen, so Euler. Diese Sorge ist berechtigt – erklärt aber auch, warum der Hausärzteverband wirklich so vehement gegen ELGA mobilisiert.

Keine freie Entscheidung

Fakt ist aber, dass es derzeit für Menschen mit nur durchschnittlichen PC- und Internet-Kenntnissen sowie die Gruppe der "Offliner" (40 Prozent der über 60-Jährigen und 70 Prozent der über 70-Jährigen), wirklich schwierig ist, aus ELGA auszutreten. Will man sich nicht minutenlang mit der Hotline herumquälen, braucht man einen Internet-Zugang (um das Formular auszufüllen), einen Drucker (um es auszudrucken) sowie einen Kopierer-Scanner (um seine Ausweiskopie einzupflegen).

Dann braucht man einen PDF-Reader (der ist in der Regel ja nicht vorinstalliert). Und man muss das Formular erst einmal finden, denn es ist "gut versteckt". Im durchgeführten Selbsttest gab es zudem mehrere Fehlermeldungen, die Normal-User wohl schon abschrecken dürften. Patienten sollten aber tatsächlich ein Recht darauf haben, selbst zu entscheiden, ob sie die Elektronische Gesundheitsakte wollen oder nicht – und ein erschwertes Opt-Out verhindert dies bei weniger internet-affinen Menschen derzeit gekonnt.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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