Der neue Orpheus von Sennheiser kostet läppische 50.000 Euro
Der neue Orpheus von Sennheiser kostet läppische 50.000 Euro
© Pia Bimashofer

Sennheiser Orpheus

Ausprobiert: So klingen 50.000-Euro-Kopfhörer

25 Jahre, nachdem Sennheiser den 30.000 D-Mark teuren Luxuskopfhörer Orpheus auf den Markt brachte, will der deutsche Audiohersteller eigenen Angaben zufolge erneut alles ausreizen, was die technologische Entwicklung für den Kopfhörerbreich derzeit hergibt. 30 Leute haben laut Sennheiser über einen Zeitraum von 10 Jahren nicht ausschließlich, aber dennoch intensiv an dem Kopfhörer gewerkelt und aus 6000 aufeinander abgestimmten Einzelteilen ein System mit integriertem Röhren- und Transistorverstärker geschaffen. Kaufpreis: 50.000 Euro.

Der Orpheus-Schrein

Beim Ears-on in einem kleinen Hotelzimmer in Wien muss man sich zuerst einmal zurechtfinden, welche Komponenten zum Kopfhörer gehören und was nur das Zuspielgerät ist. Der Orpheus ist in einer mit schwarzem Stoff ausgekleideten Box untergebracht, deren Klappe sich beim Einschalten öffnet. Die Box, die auf dem marmornen Verstärkergehäuse wie ein Schrein platziert ist, bettet nicht nur den Kopfhörer, wenn er nicht in Verwendung ist, sondern fasst auch den Kabeleingang, an dem der Orpheus angeschlossen wird. Rechts neben der Box sind die acht Vakuumröhren platziert, die von Quarzkolben umhüllt sind und so jeglichen Schalleinfluss eliminieren sollen.

Der neue Orpheus von Sennheiser
Abgesehen vom Frequenzbereich von 8 Hertz bis über 100 Kilohertz, der weit außerhalb des menschlichen Hörvermögens liegt, rühmen sich die Sennheiser-Entwickler mit dem bislang von keinem Audioprodukt erreichten Klirrfaktor-Wert von nur 0,01 Prozent bei einem Schalldruckpegel von 100 dB bei einem Kilohertz. Übersetzt heißt dies, dass die Audioquelle bzw. das Medium praktisch unverfälscht und detailgetreu wiedergegeben wird.

Hören statt messen

Wer sich nicht jahrelang mit Kopfhörern beschäftigt hat, dem werden die Werte kaum etwas sagen. „Die Ziffern sind das eine – bei Sennheiser wird immer noch viel auch nach Gehör entwickelt“, sagt Produktmanager Manuel Ricke, der den superteuren Kopfhörer beim Probehören keine Sekunde aus den Augen lässt. Einfach aufsetzen und Musik hören – kein schlechter Zugang. Denn was nützt die beste und teuerste Technik, wenn der unter den Säugetieren mit verhältnismäßig schlechtem Hörvermögen ausgestattete Mensch keinen Unterschied zum 50-Euro-Kopfhörer wahrnimmt.

Der erste Eindruck ist – man traut es sich fast nicht sagen – beinahe enttäuschend. Ja, die Lautenmusik, eine Aufnahme von Kapsberger-Stücken durch Rolf Lislevand, klingt faszinierend. Aber 50.000 Euro? Nach der schönen Musik, bei der sich klangfarblich allerdings auch nicht die Welt tut, kommt Pink Floyd zum Einsatz. Das Geld des bekannten Songklassikers „Money“ klingelt links und rechts und sorgt für den ersten Aha-Effekt.

Pink Floyd und Adele in 3D

Die räumliche Tiefe ist beeindruckend. Wo bei dem Stück sonst schnell ein Klanggemisch aus Geräuschen, Klängen, Bass und Stimme mehr oder minder mittig auf den Hörer einprasselt, trennt der Orpheus alle Komponenten säuberlich und platziert sie so weit von einander entfernt, dass man instinktiv den Kopf drehen will, wenn rechts, links oder vorne wieder ein Klangelement auftaucht. Das Saxophon, das ab Minute 2.00 in das Stück reinfräst und normalerweise im Soundgemisch abzusaufen droht, ist derart präsent und direkt abgebildet, dass es körperlich fast wehtut. Haben Pink Floyd das so vorgesehen?

Der neue Orpheus von Sennheiser
Nach der ersten Runde, die einen auch aufgrund der Musikwahl etwas unschlüssig zurücklässt, gibt es später ein weiteres Mal die Möglichkeit, den Kopfhörer auszuprobieren. Von Adele mag man halten, was man will. Wie groß und facettenreich ihre Stimme in Wahrheit ist, wird über die Orpheus-Kopfhörer erst so wirklich deutlich. Die etwas einfallslose Bombasti-Instrumentierung beim Refrain von „Hello“ wird durch die ausgewogene Wiedergabe des Klangs zwar nicht besser, Adeles Stimme schimmert, kratzt, tönt und klingt dafür aber in so vielen Nuancen, dass das für manche musikalischen Schwachstellen des Songs entschädigt.

Klirrende Klaviersaiten

Als letzte Hörprobe darf Keith Jarrett mit seinem Köln Concert aus dem Jahr 1975 in den CD-Player. Wieder offenbart sich eine faszinierende Klangwelt. Der von Sennheiser und anderen High-end-Herstellern gern verwendete Marketing-Spin, dass man durch die Kopfhörer praktisch wie im Konzertsaal sitze, könnte irreführender nicht sein. Großartige Kopfhörer lassen einen mikroskopisch in Musik hineinzoomen und diese ganz nah zu sich holen, ohne dabei die Größe des Raums zu zerstören, die für die Entfaltung des Klangs notwendig ist. Das ist ein viel intimeres Erlebnis als es in einem Konzertsaal mit knarrenden Sesseln, raschelnden und hustenden Konzertbesuchern jemals möglich ist.

Der Orpheus schafft diese Verbindung von mikroskopischen Klangeffekten und großem Raum spielerisch. Jarrets Klavierimprovisation ist überall im Raum, man hört leiseste Details wie Tastenanschläge, Atmen und zwei einzelne Klaviersaiten im hohen Register, die leicht metallisch aus der Reihe tanzen.

Sennheiser vs. Sennheiser

Was besonders auffällt, ist zudem die natürliche Ausgewogenheit. Bei keiner Musikrichtung fragt man sich, ob die Höhen zu präsent, der Bass zu kräftig, dumpf, unterrepräsentiert oder sonst irgendwie unorganisch ist. Im Gegensatz zum Klischee, das Sennheiser-Kopfhörer einen schnörkellosen, leicht höhenbetonten und fast zur Kühlheit neigenden Klang hervorbringen, klingt Musik über den Orpheus trotz aller Klarheit runder und wärmer.

Der neue Orpheus von Sennheiser
Dass die Verarbeitung bei einem System dieser Preisklasse, das noch dazu in aufwändiger Handarbeit hergestellt wird, stimmig ist, sollte nicht verwundern. Die Materialien fühlen sich so hochwertig an, wie sie laut Sennheiser auch sind. An der Verarbeitung lässt sich zumindest nach diesem Ears-on wenig aussetzen. Den Tragkomfort nach der begrenzten Hörzeit zu beurteilen, wäre unseriös. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Kopfhörer doch recht schwer sind, was bei langem Musikhören ein Problem werden könnte.

Leider nur für Superreiche

Aber auch die Verarbeitung des intensiven Klangerlebnisses will gelernt sein. Die wenigen Glücklichen, die in den Genuss eines Exemplars kommen, werden wohl eine Zeit benötigen, um sich beim Hören passiv zurücklehnen zu können. Normalsterbliche wird dieses Problem vermutlich aber kaum betreffen. Denn wer hat schon 50.000 Euro für einen Kopfhörer übrig? 250 Exemplare pro Jahr will Sennheiser ab 2016 am deutschen Standort herstellen. In Österreich wurde der Orpheus übrigens von drei Personen mit Anzahlung vorbestellt: Wer hat, der hat.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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