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Mozilla-Chef: "Wir haben manches verschlafen"

futurezone: Der mobile Markt ist mit iOS, Android und dem kommenden Windows Phone 8 schon jetzt heiß umkämpft. Wieso hat sich Mozilla dazu entschlossen, mit einem eigenen mobilen Betriebssystem in diesen Wettbewerb einzusteigen?
Gary Kovacs: Das sind alles großartige Betriebssysteme, aber sie repräsentieren nicht das Web. Im Gegensatz zu uns verlangen die anderen Plattformen, dass man sich für immer in ihren geschlossenen System bewegt. Firefox OS hingegen ist schlicht und einfach das Web. Es ist etwas, dass jedem erlauben wird, daran teilzunehmen und dafür Dinge zu entwickeln.

Welchen Vorteil bringt Firefox OS konkret?
Es werden etwa auch Mobilfunker, Service-Provider und Geräte-Hersteller tatsächlich wirtschaftlich davon profitieren. Die geschlossenen Systeme halten wir nicht für ein skalierbares Geschäftsmodell. Natürlich können sie heute mit starken Zahlen aufwarten, aber wir sehen eine Evolution. Die hat es auch in der Desktop-Welt gegeben. Es gab geschlossene Systeme, die den Leuten dabei geholfen haben, zu sehen, in welche Richtung es geht. Aber als sie diesen Weg einmal gesehen hatten, wollten sie sich davon befreien und gehen, wohin sie Lust hatten. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir jetzt in der mobilen Welt.

Versteht sich Firefox OS dann überhaupt als Konkurrent zu den existierenden Handy-Betriebssystemen?
Nein. Wir machen hier unser komplett eigenes Ding. Und wir hoffen, dass sich auch die anderen Plattformen als Folge davon stärker des Webs annehmen werden.

Welche Geräte und welche Nutzerzielgruppen hat Mozilla mit Firefox OS im Fokus?
Es wird sich um günstige, 100-Dollar-Geräte handeln. Wir haben jetzt nicht die 2,5 Milliarden Menschen im Blickwinkel, die in Industrieländern leben, sondern die anderen 2,5 Milliarden, die in Entwicklungsländern und zum großen Teil unter der Armutsgrenze leben. So erhalten auch diese Menschen die Möglichkeit auf ein Smartphone mit zahlreichen Funktionen, aber eben zum Preis eines Feature-Phones.

Wie wollen Sie ein entsprechendes Ökosystem rund um das Betriebssystem aufbauen, wie es die anderen Plattformen mit ihren App Stores haben?
Nun, das Ökosystem rund um das Web, das Internet existiert ja bereits. Apple hat heute 100.000 Entwickler für iOS an Bord, Android drei oder vier Mal so viele. Aber für das Web gibt es zehn Millionen Entwickler, sie beherrschen die Programmiersprachen HTML und Javascript. Das Ökosystem ist also schon vorhanden. Diese Leute brauchen nur eine mobile Plattform, für die sie ihre Inhalte schaffen und auf der sie diese verbreiten können.

Wann wird es dann soweit sein, dass Firefox OS genügend Entwickler an Bord hat,  die auch entsprechende Anwendungen anbieten können, um tatsächlich für die Menschen draußen nutzbar zu werden?
Das wird Mitte nächsten Jahres sein. Als erstes werden wir in Lateinamerika und in einigen ehemaligen Ostblock-Ländern starten. Danach erfolgt der Launch in der restlichen Welt.

Welche Zukunft sehen Sie für Apps ganz allgemein? Hat der Trend zu Apps bereits den Zenith erreicht?
Wir kratzen heute erst an der Oberfläche, wenn es darum geht, was alles auf einem mobilen Gerät möglich ist. Apps wird es auch in Zukunft geben, aber es wird niemals so sein, dass ein Unternehmen allein die Neugier von fünf Milliarden Menschen befriedigen wird, die über mobile Geräte ins Internet einsteigen. Das bedeutet, dass wir ein viel breiter gefasstes System schaffen müssen, und hier kommt das Web als solches ins Spiel.

Viele Online-Angebote konzentrieren sich ja jetzt bereits lieber auf eine gut optimierte mobile Webseite denn auf die Entwicklung einer App.
Apps wie wir sie heute nutzen, sind meistens ohnehin nichts anderes als eine Art, Web-Content darzustellen. Viele Leute stellen sich das Web ja auch als Browser vor, nur ist es das nicht. Das Web ist die Möglichkeit, Inhalte zu schaffen, und es wird auf unterschiedliche Weise präsentiert - durch Browser, durch Apps, in unserem Fall wird das Web das Gesicht des Betriebssystems sein. Da gibt es ganz viele unterschiedliche Möglichkeiten.

Wenn wir jetzt vom Browser selbst sprechen: Es gab zuletzt immer wieder harsche Kritik am neuen, beschleunigten Update-Zyklus von Firefox. Nutzer haben sich beschwert und sich teilweise von den häufigen Updates belästigt gefühlt. Was sagen Sie diesen Leuten?
Ich denke, das ist berechtigte Kritik. Wir hatten zuvor einen Update-Zyklus von 44 bis 48 Monaten, das war lächerlich langsam. Ganz offen gesagt, sind wir da hinter die anderen zurückgefallen. Also mussten wir unseren Entwicklungsprozess überdenken und einen sehr viel schnelleren Weg finden, um Innovationen abzuliefern. Wenn sich jetzt Leute über den schnelleren Update-Zyklus beschweren, kritisieren sie aber nur die Unannehmlichkeit an sich, das Update machen zu müssen. Das ist eigentlich ein anderes Problem, das es zu lösen gilt.

Das bedeutet?
Sie regen sich nicht über neue Funktionen auf, dass sie bessere Privacy-Optionen haben oder Sicherheitslücken gestopft wurden. Was die Leute ablehnen, ist es, wenn sie dazu gezwungen werden zu interagieren. Sie fühlen sich belästigt. Daher haben wir uns komplett auf Silent Updates verlagert. Wenn sich der User dafür entscheidet, passiert das Update immer im Hintergrund, und das löst dann wohl auch das Problem.

Nun wird auch Facebook in Firefox integriert. Wie wichtig ist das Thema Social Media für den Browser?
Die Welt ist heute sozial. Vielen Leuten ist nicht bewusst, dass ein Browser vor zehn Jahren etwas ganz anderes gemacht hat als heute. Er hat Webinhalte gezeigt und wir haben mit einer bestimmten Absicht nach Web-Content Ausschau gehalten. Dann aber hat sich das Verhalten geändert und ohne eigentlich zu wissen, wohin wir wollen, haben wir angefangen nach allem Möglichen zu suchen. Anstatt gezielt auf eine einzelne bestimmte Seite zu gehen, hatten wir dann ganze Listen an Seiten zu einem Thema, aus denen wir auswählen konnten. Und so haben wir dann auch eng mit Google zusammengearbeitet und die Suche in den Browser integriert. Dasselbe passiert jetzt mit dem sozialen Netzwerk. Ohne den Browser verlassen zu müssen, können die User mit ihren Freunden interagieren, Inhalte teilen und bewerten.

Nun ist Firefox immer dafür bekannt gewesen, das Thema Privacy sehr ernst zu nehmen. Wie passt das mit der Integration eines Netzwerks zusammen, das eigentlich laufend für seinen Umgang mit der Privatsphäre der Nutzer kritisiert wird?
Das ist ein berechtigter Einwand. Es wird so sein, dass die Privatsphäreeinstellungen direkt in Firefox gesetzt werden und dann auch für alles gelten, was außerhalb des Browsers gemacht wird. Wir bemühen uns sehr, die Privatsphäre der User auch weiterhin in höchstem Maße zu schützen, daran soll sich nichts ändern.

Wie schon kurz angesprochen, pflegt Firefox eine enge Partnerschaft mit Google. Wie schafft Mozilla den Spagat zwischen Kooperation auf der einen Seite und dem Wettbewerb mit Googles eigenem Browser Chrome auf der anderen Seite?
Es gibt eine Reihe an Dingen, die wir verbessert haben. Zunächst einmal lautet unsere Mission, sicherzustellen, dass das Web für alle zur Teilnahme offen ist. Ob wir jetzt 30 Prozent Marktanteil haben oder Chrome 29 und Internet Explorer 40 Prozent, das ist nicht, wofür wir kämpfen. Uns geht es darum, dass es einen übereinstimmenden Zugang zum Web gibt. Am Desktop ist das auch der Fall. Solange sich also alle an dieselben Spielregeln halten, werten wir das als Gewinn. Das Gleiche können wir auch im mobilen Bereich tun, das ist unser nächster Fokus.

Natürlich ist mit Chrome neuer Wettbewerb entstanden. Microsoft war immer ein wenig verschlafen, während wir anfangs aggressiver waren. Dann allerdings, mit den schon erwähnten langen Update-Zyklen von 44 bis 48 Monaten, haben wir auch manches etwas verschlafen. Google hat da wieder neue Energie herein gebracht, Wettbewerb ist gut. Wir haben uns wieder aufs Pferd gesetzt, sind aktiv geworden und haben einen Browser gemacht, der sehr viel besser und einfacher ist. So gewinnt am Ende jeder. Nun sehen wir auch wieder wachsende Marktanteile.

Also hat Google den Konkurrenzkampf verschärft.
Ich weiß nicht, ob ich es genau so sagen würde. Ich würde eher sagen, Google hat überhaupt Wettbewerb in den Markt gebracht. Denn letztlich ist es doch so , dass man mehrere Mitspieler braucht. Wenn zwei Unternehmen erst einmal ihre Marktanteile sichergestellt haben, hört die Innovation auf. Man braucht dann jemanden, der das Feuer wieder anzündet, und das hat Chrome gemacht. Es gibt aber auch noch einige andere Browser, die versuchen, den Markt aufzumischen.

Mozilla hat sich in diesem Jahr dazu entschlossen, den E-Mail-Client Thunderbird nicht mehr selbst weiterzuentwickeln und stattdessen in die Hände der Community übergeben. Nach der Bekanntgabe dieses Schrittes haben doch viele Nutzer sehr enttäuscht reagiert. Wie haben Sie die Reaktionen empfunden?
Thunderbird hat ein paar Millionen Nutzer. Das ist keine kleine Nutzergruppe, natürlich sind das keine 500 Millionen wie beim Desktop, aber es ist eine wichtige Gruppe. 50 Prozent unseres Codes werden ohnehin von der Community entwickelt. Ich hab also seither tatsächlich keinen maßgeblichen Unterschied im Zugang zu Thunderbird feststellen können. Nur hatten wir als Projekt eben eine Entscheidung zu treffen. Wir sehen die Zukunft im mobilen Bereich, und das Ausmaß an Innovation, das beim E-Mail-Client passiert, ist mittlerweile einfach sehr gering. Wir haben das Gefühl, dass unsere Arbeit in dem Bereich erfolgreich war, aber wir wenden uns jetzt anderen Dingen zu. Es liegt jetzt in den Händen der Community, künftig Sicherheitsupdates und Bugfixes für Thunderbird zu machen.

Und das funktioniert?
Ja, das wird auch gemacht. Wir selbst wollen einfach nur nichts mehr weiterentwickeln in diesem Bereich. Ich höre auch kaum noch Beschwerden, wie kurz nach der Bekanntgabe unserer Entscheidung. Die Situation wie sie ist, scheint jetzt für alle zufriedenstellend zu sein. Veränderungen regen die Leute zuerst einmal immer auf.

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Claudia Zettel

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futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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