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Apple-Betriebssystem

OS X 10.11 El Capitan im Test: Braver Pirat auf Metal

Das Dutzend ist voll. Mit El Capitan erscheint am Mittwoch die bereits zwölfte Version von Apples Desktop-Betriebssystem OS X. Während iOS-Nutzer Updates im Jahrestakt bereits gewohnt sind, ist die Tradition bei den Macs noch relativ jung. Seit knapp vier Jahren liefert Apple Jahr um Jahr eine neue Version aus, seit zwei Jahren sind diese vollkommen kostenlos. Die Qualität schwankte, brachte aber oftmals auch sinnvolle neue Funktionen oder einen ordentlichen Performance-Schub mit sich.

Dieses Jahr lässt Apple "El Capitan" von der Kette, das wohl kontroverseste Update der letzten Jahre. Apple schraubt hier vor allem unter der Haube, liefert aber auch einige neue Funktionen nach. Dabei dürfte sich der Konzern einiges an Inspiration von der Konkurrenz geholt haben, allen voran Microsoft. Doch hat Apple auch "gut geklaut"? Die futurezone hat das neue Mac-Betriebssystem getestet.

Wer noch kaum den Wechsel von Lucida Grande auf Helvetica Neue verdaut hat, sollte womöglich mit dem Upgrade auf El Capitan warten. Apple hat wieder einmal die System-Schriftart gewechselt, dieses Mal dürfte es aber endgültig sein. Wie bei iOS und Watch OS kommt nun die von Apple entwickelte Schriftart-Familie "San Francisco" zum Einsatz. Diese soll vor allem die Lesbarkeit kleiner Schrift verbessern, behält dabei aber ein ähnliches Look and Feel wie Helvetica Neue. Das funktioniert bei hochauflösenden Displays gut, wie den "Retina"-Modellen von MacBook Pro und iMac, auf niedrig aufgelösten Bildschirmen ist die Schrift aber spürbar dicker und macht leichte Stufenbildung sichtbar. Dennoch ist sie auch auf älteren Macs gut zu lesen.

Abgesehen von der neuen Schriftart stechen keine großen optischen Veränderungen ins Auge. Apple hat jedoch eine kleine, aber praktische Funktion spendiert, die vor allem MacBook- und MacBook-Air-Besitzer freuen dürfte. Neben dem Dock kann nun auch die Menüleiste ausgeblendet werden (unter Einstellungen – Allgemein). So wird vor allem auf kleinen Bildschirmen Platz für die Fenster geschaffen. Das ermutigt vor allem dazu, den Vollbild-Modus zu verwenden. Für große Bildschirme praktisch: Das schnelle "Wackeln" mit dem Cursor vergrößert diesen kurzzeitig, sodass man ihn leichter finden kann.

Apple hat sich mit El Capitan einiges von Microsofts jüngsten beiden Windowsversionen und Linux abgeschaut – zumindest wenn es um das Thema Fenstermanagement per Mission Control geht. So lassen sich Vollbild-Apps nun nebeneinander verwenden. Dazu muss der Benutzer lediglich lange das grüne Icon gedrückt halten, das Programm wird automatisch auf die Hälfte des Bildschirmes angepasst. Für die zweite Hälfte werden alle geöffneten Apps zur Auswahl gestellt. Die Aufteilung lässt sich mit einem Trennbalken in der Mitte auch (fast) frei verschieben. Je nach Programm kann das Layout auf bis zu 25 Prozent Breite verkleinert werden.

Die Funktion revolutioniert das Arbeiten am Mac nicht unbedingt, vereinfacht aber das rasche Anordnen von zwei Fenstern nebeneinander. Tipp: Befindet sich ein Programm bereits im Vollbild-Modus, kann unter Mission Control einfach ein weiteres Programm auf den Schreibtisch gezogen und der Bildschirm geteilt werden. "Split View" ließ sich fast immer ohne Einschränkungen verwenden. Lediglich einige ältere Apps, wie beispielsweise der Text-Editor Textwrangler, ließen sich nicht teilen.

Mission Control wird weiterhin durch Wischen mit drei Fingern nach oben geöffnet. Hier offenbart sich allerdings ein anderes Bild: Jetzt werden alle geöffneten Fenster auf einer Ebene angezeigt. Früher wurden Fenster von Programmen gruppiert. Waren beispielsweise mehrere Bilder in Vorschau geöffnet, wurde lediglich ein Fenster für das Programm angezeigt. Diese Aufteilung schafft mehr Überblick, wenn wenige verschiedene Fenster geöffnet sind. Bei einer großen Zahl an geöffneten Fenstern kann es aber rasch unübersichtlich werden. Per Wisch nach unten werden aber weiterhin alle Fenster des aktiven Programmes eingeblendet.

Siri hat es zwar noch immer nicht auf OS X geschafft, doch nun ist zumindest die Suche Spotlight etwas intelligenter. So werden nun Suchen, die in herkömmlichen Sätzen eingegeben werden, erkannt. Die Suche nach "PDFs aus März 2012" liefert alle auf der Festplatte gespeicherten PDF-Dateien aus dem Jahr 2012. Auch einfache mathematische Berechnungen, Ergebnisse von Sport-Teams (wenn auch bevorzugt aus großen Ligen) sowie Wetter-Vorhersagen können so rasch angezeigt werden. Die Suche ist ähnlich einfach wie bei Google, bereits der Name der Mannschaft, eines Unternehmens oder der Stadt reicht aus, um die entsprechenden Zusatzinformationen zu bekommen.

Spotlight zeigt auch Sportergebnisse an
Wie bisher liefert Spotlight auch Ergebnisse von anderen Webdiensten wie YouTube, Wikipedia, iTunes oder (neu dazugekommen) Apple Music. Mit der neuen Suche, die überraschend zuverlässig und intuitiv funktioniert, wird der Alltag spürbar erleichtert, von der Funktionalität von Cortana oder Googles Now ist man aber noch weit entfernt. Neu ist auch, dass der Benutzer nun das Spotlight-Fenster vergrößern kann – zumindest in der Höhe.

Herzlich Willkommen im Jahr 2009, Safari-Nutzer. Auch ihr könnt nun Tabs pinnen, wie jeder andere Browser auch. Apples Ansatz ist hier allerdings etwas anders. Wird beispielsweise versucht, eine Seite zu öffnen, die bereits gepinnt wurde, springt Safari automatisch zum gepinnten Tab und lädt die Seite neu. Das Verhalten des Browsers wirkt zu Beginn noch wie ein Fehler, fühlt sich auf Dauer aber wie ein Umerziehungsversuch an. "Wozu öffnest du noch einen Tab, wenn du die Seite bereits geöffnet hast?", scheint Apples Browser zu sagen. Grundsätzlich eine gute Idee, um Arbeitsspeicher und Akku auf dem Laptop zu sparen, für manche Nutzer mag es aber etwas zu bevormundend sein.

Safari 9 kann nun Tabs stummschalten, wahlweise per Klick auf den Tab oder alle gleichzeitig über die URL-Leiste
Die Status-Bar ist ebenfalls eine Funktion, die Nutzer anderer Browser lange kennen und schätzen. Berührt der Benutzer einen Link mit dem Cursor, wird die URL links unten angezeigt. Eine Funktion ist jedoch besser gelöst als bei Chrome und Co: Das Stummschalten von Tabs. Safari zeigt sowohl in der URL-Leiste als auch auf dem verursachenden Tab ein Symbol an, mit dem der Ton mit einem Mausklick stummgeschaltet werden kann. Wird die Taste in der URL-Leiste lange gedrückt, zeigt Safari zudem eine Übersicht mit allen lauten Tabs an. Apropos lärmende Videos: Diese können nun auch direkt per Airplay übertragen werden. Das Airplay-Symbol ist nun bei fast allen Webvideos zu finden, sodass Videos, wie bei Chromecast auf den Apple TV übertragen werden können.

Notizen

Die Notiz-App ist nun zu Evernote "light" verkommen. Neben Text kann nun fast jeder Inhalt aus anderen Programmen, seien es Webseiten, Karten, Fotos oder andere Dokumente, in eigene Notizbücher abgelegt werden. Neu ist auch, dass nun Checklisten erstellt werden können, die per Mausklick abgehakt werden. Das Programm wird per iCloud auch mit der dazugehörigen iOS-App synchronisiert, sodass auch der mobile Einsatz kein Problem ist.

Mails

Apples Mail-Client ist mit El Capitan etwas bedienungsfreundlicher geworden, zumindest wenn man ein Touchpad besitzt. So kann eine Mail durch Wischen mit zwei Fingern als ungelesen markiert oder in den Papierkorb verschoben werden, ähnlich wie in der iOS-App. Zudem hält die intelligente Suche aus Spotlight nun auch in Mails Einzug.

Finder und Co

Bislang ließen sich Dateien nur mithilfe der Enter-Taste oder einfachem Anklicken einzeln umbenennen. Der Finder beherrscht nun aber auch das Umbenennen von mehreren Dateien gleichzeitig. Dazu müssen diese lediglich markiert und mit der rechten Maustaste angeklickt werden. Im Kontextmenü findet sich nun der Punkt "Umbenennen". Über das nun geöffnete Menü kann nach bestimmten Bezeichnungen im Dateinamen gesucht und dieser ersetzt, ergänzt oder gar eine vollkommen neue Benennung erstellt werden.

Der Finder kann nun mehrere Dateien auf einmal umbenennen
Apple hat zudem sein Festplattendienstprogramm stark vereinfacht, dabei aber auch einige Funktionen, wie das Reparieren der Berechtigungen, entfernt. Das Programm ist nun vor allem für Laien einfacher zu bedienen, bietet aber abseits der Speicherbelegung, einiger technischer Informationen sowie dem Partitionieren und Formatieren von Datenträgern kaum Funktionen.

Die wohl umstrittenste neue Funktion ist "System Integrity Protection". Dieses Feature sperrt den Nutzer de facto aus vielen Systemdateien und –ordnern aus. Bislang behalf sich Apple damit, diese Ordner (/System, /bin, /sbin und /usr) einfach zu verstecken. Unerfahrene Nutzer oder Malware können so keinen Schaden anrichten, so die Argumentation von Apple. Das neue System entzieht dem Nutzer auch die Schreibrechte für diese Ordner und zahlreiche System-Dienste. Die Funktion ist nach der Installation automatisch aktiviert, kann aber über den Recovery-Modus deaktiviert werden.

Otto Normalverbraucher wird davon wenig spüren, dennoch ist das System zurecht umstritten. Kritiker merken an, dass Apple sein Mac-Ökosystem ähnlich einschränken könnte wie jenes von iOS. Apple würde Entwickler dazu zwingen, die offiziellen APIs zu verwenden und sich Apples Segen für Kernel-Erweiterungen zu holen statt den Entwicklern Freiheiten zu lassen. Bereits der Gatekeeper, der auf "nicht bekannte" oder "nicht vom Mac Store heruntergeladene" Programme hinwies, wurde von vielen Entwicklern und Nutzern kritisch beäugt.

Root als Risiko – auf lange Sicht könnte das zu einer Situation wie bei iPhone und iPad führen, die ohne sogenannten Jailbreak das Installieren von App-Store-fremden Apps nicht erlauben. Bereits jetzt kommt auf viele Entwickler Arbeit zu. So berichteten einige Beta-Tester von Problemen mit Carbon Copy Cloner oder Virtualisierungssoftware wie VMware Fusion. Die meisten populären Programme haben aber mittlerweile mit El Capitan kompatible Versionen veröffentlicht. Ärgerlich: Das Kommandozeilen-Tool Diskutil lässt sich nicht mehr nutzen, wenn SIP aktiviert ist. Stattdessen repariert Apple Berechtigungen nachdem ein Update heruntergeladen wurde – selbstverständlich aber nur bei Updates aus dem App Store.

Windows hat DirectX, Linux hat Vulkan (OpenGL) und mit El Capitan hat OS X (wie auch iOS) nun auch seine eigene Grafikschnittstelle namens Metal. Mit der hauseigenen Grafik-API will Apple den Overhead für Entwickler spürbar reduzieren und so für bessere Performance sorgen. Das mag vorwiegend für Spiele und 3D-lastige Software wichtig sein, doch auch Apples "Core Graphics"- und "Core Animation"-Frameworks, die für Animationen und Berechnung der grafischen Benutzeroberflächen zuständig sind, können die zusätzliche Performance nutzen.

Im Alltag machte sich das nicht wirklich bemerkbar, einige Beta-Tester berichten aber von verbesserter Performance beim Betrieb externer Displays, vor allem beim Hochskalieren auf 4K-Bildschirme. Kurioserweise beschleunigt Metal die Leistung der 2D-Animationen lediglich auf Intel-Grafikchips, die leistungsstarken dezidierten Nvidia- und ATI-Grafikkarten im MacBook Pro und Mac Pro profitieren nicht davon.

Warten auf Spiele

Laut Apple könnten Spiele und Programme wie After Effects dank Metal bis zu zehn Mal mehr Leistung liefern als bisher. Doch um diesen Vorteil ausnutzen zu können, müssen die Entwickler zunächst einmal Metal implementieren und der Nutzer über kompatible Hardware verfügen. Laut Apple sind nahezu alle Macs ab 2012 kompatibel. In der Liste finden sich neben dem neuen MacBook auch das MacBook Pro (ab 2012), MacBook Air (2012), Mac Mini (2012), iMac (2012) sowie der Mac Pro (Ende 2013). Das bedeutet, dass auch der bereits etwas betagte integrierte Grafikchip Intel HD 4000 unterstützt wird.

Leider ließ sich Metal aus Mangel an Programmen oder Spielen nicht ausprobieren. Epic kündigte bereits an, dass die Unreal Engine 4 Metal unterstützen wird. Zudem will das Entwicklerstudio hinter Titeln wie Gears of War oder Unreal Tournament auch ein Metal-Spiel veröffentlichen. Der Survival-Shooter Fortnite soll noch dieses Jahr als Beta für OS X veröffentlicht werden.

Apple setzt mit El Capitan sein Tick-Tock-Prinzip fort. Wer die Veröffentlichungs-Zyklen von iPhones verfolgt, kennt das bereits: Eine Version konzentriert sich vor allem auf neues Design und Features, der Nachfolger liefert den Feinschliff. Dass hinter OS X 10.11 ein derartiges Feinschliff-Update steht, verrät bereits der Name: El Capitan ist ein Felsvorsprung im Nationalpark Yosemite. Obwohl es an den großen neuen Features mangelt, ist El Capitan ein sinnvolles, wenn auch kein verpflichtendes Upgrade. Die kleinen neuen Features verbessern den Alltag nicht spürbar, auch von Leistungsschüben merkt man vorerst wenig. Vom flotteren Safari und Animationen abgesehen bleibt leistungstechnisch alles beim Alten, auch die Akkulaufzeit ist nahezu unverändert.

Mac-Entwickler sollten El Capitan aber näher unter die Lupe nehmen, denn mit dem Update halten zahlreiche wichtige Änderungen Einzug. Neben Metal, das die Grafikleistung vieler Macs in Zukunft endlich ausreizen könnte, bekommen Mac-Entwickler einige neue Schnittstellen (und Hürden) spendiert. Wer noch auf ältere Software setzt, sollte sich einen Umstieg übrigens zweimal überlegen. Funktionen wie die System Integrity Protection machen einiges an Software unbrauchbar. Daher besser Kompatibilität mit El Capitan prüfen und womöglich das erste Update für El Capitan abwarten, das erste Kinderkrankheiten ausbügelt.

Grundsätzlich gilt: Wer Mavericks (10.9) oder Yosemite (10.10) installieren konnte, darf auch auf El Capitan upgraden. Das Update ist ab sofort kostenlos für alle Macs im App Store erhältlich. Die Installation ist simpel und dauert rund 30 Minuten, exklusive des Downloads der Installationsdatei. Wer El Capitan auch auf anderen Macs installieren, aber den Download dort nicht wiederholen möchte, kann per Terminal einen bootfähigen USB-Stick erstellen. Dazu benötigt man lediglich einen zumindest acht Gigabyte großen USB-Stick, der auf "Mac OS Extended (Journaled)" formatiert wurde.

Vor dem Upgrade oder einer Neuinstallation ist allerdings ein Backup per Time Machine empfehlenswert. So können bei einer fehlerhaften Installation alle Daten wiederhergestellt werden. Zudem gibt es für ältere Macs Einschränkungen. Erst bei Modellen ab dem Baujahr 2012 wird die Grafik-Plattform Metal unterstützt. Zudem sind – logischerweise - auch die neuen Force-Touch-Funktionen nur auf jenen Geräten verfügbar, die bereits zuvor Force Touch unterstützt haben.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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