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Virtual Reality

„Das Aus von Google Glass ist ein schwerer Rückschlag“

Anhänger von virtueller und erweiterter Realität bekommen derzeit heiß und kalt. Während Google ohne Vorwarnung sein gehyptes Brillen-Projekt Google Glass aus den Forschungslabors kickte, preschte Microsoft überraschend mit seiner Augmented-Reality-Lösung HoloLens vor. Kurz bevorstehen dürfte zudem der Marktstart der von Facebook um 2,3 Milliarden Dollar gekauften Virtual-Reality-Brille Oculus Rift, die vor allem auf den Gamer-Markt abzielt. Mit Magic Leap ist ein weiteres vielversprechendes Augmented-Projekt in Lauerstellung.

Henry Fuchs forscht seit den 1970er-Jahren an Computergrafik und virtueller Realität
futurezone: Warum fasziniert Sie das Thema virtuelle Realität eigentlich so?
Henry Fuchs: Die Vorstellung, digitale Materie um uns herum im Raum zu erzeugen, finde ich seit den späten 1960er-Jahren ungemein faszinierend. Auch heute noch würde ich mir wünschen, dass ich in meinem Büro über eine einfache Brille ein riesiges Display in den Raum projizieren könnte oder mit verschiedenen Leuten um einen Tisch sitze, von denen die anderen an ganz anderen Orten sind.

Letzteres klingt sehr nach Holodeck und Star Trek. Wie soll das funktionieren?
Die Vision ist, dass die Webkamera uns aufnimmt und uns praktisch in Echtzeit als 3D-Modell zu den anderen Gesprächspartnern überträgt. Das hat mit Hologrammen aber eigentlich nichts zu tun. Die über die Brille vom Auge aufgenommenen Lichtwellen sind im Idealfall Pixel für Pixel so, wie wenn die Person tatsächlich im Raum sitzen und ich sie „real“ betrachten würde.

Wird die Illusion jemals so gut sein, dass wir uns damit zufrieden geben?
Schon jetzt ist es ja so, dass wir im Kino oder im Fernsehen viele Szenen sehen, bei denen wir nicht mehr sagen können, ob das ein Spezialeffekt ist. Ist das gezeigte Schiff ein maßstabgetreues physisches Modell, eine Miniatur oder von vorne bis hinten im Computer generiert? Sind die Menschen echt oder ein Computer-Render?

Die interessantere Frage ist allerdings tatsächlich, ob man die Präsenz des Gegenübers, also das, was das Spezielle an Face-to-Face-Kommunikation ausmacht, elektronisch replizieren kann. Denn selbst wenn die visuelle Illusion so perfekt ist, dass ich keinen Unterschied feststellen kann, könnte ich immer noch das Gefühl haben, dass etwas nicht ganz stimmt. Physiologische und Hirnstrom-Forschung beschäftigt sich bereits mit diesem Thema.

Das auf die Schulter klopfen oder die Hand reichen, wird es vermutlich auch nicht spielen.
Wenn ich an einem großen Tisch sitze, kann ich das Gegenüber physisch auch nicht erreichen. Aber ja, Haptik hinzubekommen, ist noch einmal eine viel komplexere Angelegenheit. In einigen Jahrzehnten werden wir aber auch da besseres anzubieten haben, als mehr schlecht als recht funktionierende Handschuhe.

Der abrupte Verkaufsstopp von Google Glass hat viele überrascht. Wie beurteilen Sie die Entscheidung?
Das ist wirklich sehr bedauernswert und ein schwerer Rückschlag für die gesamte Industrie. Man kann nur hoffen, dass Google das Thema jetzt nicht abhakt. Aber dass Google das Glass-Projekt einem externen Produktteam überlassen hat, ist leider nicht viel mehr als nur ein Feigenblatt.

Sie glauben also nicht, dass daraus ein marktfähiges Produkt entsteht?
Ich kenne Googles Pläne natürlich nicht. Damit Google Glass im Massenmarkt erfolgreich ist, müssten sie aber ein Display entwickeln, das direkt in die Brillengläser integriert werden kann. Das ist eine spannende Aufgabe, kann aber nur im Forschungslabor und nicht von einem Produktteam bewerkstelligt werden.

Warum ist Google Glass – zumindest vorerst - gescheitert?
In der Diskussion um die Privatsphäre hätte sich Google einiges ersparen können, wenn sie die Aufnahmefunktion mit einer rot blinkenden LED angezeigt hätten. Für den Massenmarkt schaute sie einfach auch zu „geeky“ aus.

Wenn Sie schon die Google Glass als „geeky“ bezeichnen, was sind dann die Oculus und der gezeigte Prototyp von Hololens?
Klobiges Design ist der Tod jeder Virtual- oder Augmented-Reality-Lösung. Oculus trau ich schon zu, dass sie ein paar Millionen Stück unter Gamer-Geeks absetzen. Ob sie darüber hinaus erfolgreich sind, wird wesentlich davon abhängen, ob sie ein massentaugliches Design entwickeln und neue Einsatzgebiete neben dem Gaming finden können.

Und die wären?
Es ist immer noch nicht klar, was der Anwendungsfall im Massenmarkt ist. Aber allein, dass Unternehmen wie Microsoft und Facebook viel Geld in die Hand nehmen, um die Entwicklung weiterzutreiben, ist ein gutes Zeichen. Neben Gaming, das sicher der erste große Markt in den kommenden zwei bis drei Jahren sein wird, glaube ich, dass Entertainment – also etwa 3D-Konzertfilme, in denen man sich virtuell bewegen kann - viele Leute ansprechen würden.

Wem räumen Sie eigentlich bessere Chancen ein – den Oculus-Machern mit ihrer geschlossenen Brille oder Microsoft mit ihrem halboffenen Augmented-Konzept?
Technisch gesehen, sind geschlossene Systeme, also Virtual Reality, eigentlich durch. Ein hochauflösendes Sieben-Zoll-Display um 100 Euro reicht völlig aus, um beide Augen zu bedienen. Den Rest besorgt ein günstiges Vergrößerungsglas, Bildkorrektursoftware und Inertialsensoren, die in Smartphones und Tablets ebenfalls schon Standard sind. Das, was Microsoft und Magic Leap mit Augmented Reality versuchen, ist hingegen viel riskanter.

Inwiefern?
Bei durchsichtigen Systemen ist es bisher eigentlich noch keinem gelungen, eine annähernd breites Gesichtsfeld wie bei geschlossenen Systemen zu erreichen. Auch bei den Microsoft-Demos hatte man das Gefühl, dass die Träger in ihrem Blickwinkel sehr eingeschränkt waren. Dieses Manko werden die meisten Leute aber nicht tolerieren.

Woran könnte die Realisierung von massentauglichen Virtual-Reality-Lösungen noch scheitern?
Die Gefahr ist immer, dass Unternehmen auf dem Weg aufgeben. Damit etwas funktioniert, müssen Hunderte Dinge zusammenpassen. Andererseits sind es oft nur Kleinigkeiten, die ein Projekt oder ein Konzept zu Fall bringen. Auch das zeigt Google Glass – sie waren so nah dran, und es hat dann doch nicht geklappt.

Zur Person

Henry Fuchs, Professor an der University of North Carolina at Chapel Hill, forscht seit den 1970er-Jahren auf dem Gebiet der Computergrafik und Virtual Reality. Er weilte anlässlich des vom VRVis organisierten Symposiums "Visual Computing Trends" in Wien.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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