Forschung

Künstliche Intelligenz: Poker statt Schach

Im Rivers Casino in Pittsburgh, im US-Staat Pennsylvania, fand heuer ein Turnier der besonderen Art statt. Bei „Brain versus Artificial Intelligence“ saßen einander vier der weltbesten professionellen Pokerspieler und ein Computer namens Claudico gegenüber. Das Gefecht erstreckte sich über zwei Wochen, wobei die Spieler – jeweils in Einzelduellen – insgesamt 80.000 Hände gegen Claudico spielten. Fazit: ein statistisches Unentschieden.

Mensch gegen Maschine

„Brain versus Artificial Intelligence“ war gewiss nicht das erste Turnier von Mensch gegen Maschine. Spiele waren nämlich von Anfang an mit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz untrennbar verbunden. Über Jahrzehnte galt Schach als das Spiel der ersten Wahl. Der Vater des modernen Computers, Alan Turing, schrieb die ersten Schachprogramme, um seine Ideen und Theorien zu testen. Bis in die 1960er-Jahre war man in der IT-Gemeinschaft der Meinung, dass nur ein guter Schachspieler auch ein guter Informatiker sein konnte.

Der große Augenblick von Mensch gegen Computer schlug 1997. Ein beispielloser Medienrummel umgab das Turnier des russischen Schachweltmeisters Garri Kasparow gegen den IBM-Computer Deep Blue. Nach sechs Partien ging der Computer als Sieger hervor.

Doch zu diesem Zeitpunkt war die Romanze von Computerexperten mit Schach ohnehin schon merklich abgekühlt. Das Brettspiel eignet sich nämlich aus einem wichtigen Grund nicht zum Simulieren menschlichen Denkens: Die Gegner sehen jederzeit das gesamte Spielfeld sowie jede Figur. Nichts ist versteckt, nichts blüht im Verborgenen.

Poker ist wie das Leben

Informatiker wie Tuomas Sandholm begannen daher vor etwa zehn Jahren mit Poker zu experimentieren. Der aus Finnland stammende AI-Experte von der Carnegie Mellon University ist der Vater von Claudico.

Poker ist ein Spiel mit unvollständigen Informationen“, so Tuomas Sandholm. Und daher sei es dem wirklichen Leben sehr viel ähnlicher als Schach. „Oft ist es doch so: Wir müssen eine Entscheidung treffen, aber uns fehlen wichtige Informationen.“ Das treffe auf viele Bereiche zu: von Verhandlungen bis zu Auktionen, von medizinischen Therapien bis zum virtuellen und realen Sicherheitsbereich.

Die Pokervariante der Wahl heißt „Texas Hold ‘em“. Dabei bekommt jeder Spieler zwei verdeckte Karten. Damit sowie mit insgesamt fünf offenen Gemeinschaftskarten bildet der Spieler dann sein bestes Blatt. Wer ein guter Pokerspieler sein will, muss außerdem gut Bluffen und Täuschen können. Sonst ist er bald sein Geld los.

Wie spielt man perfekt Poker?

Der Grundgedanke ist nun, mithilfe des Kartenspiels Programme zu entwickeln, die Menschen in realen Situationen Entscheidungshilfen liefern. Doch um dieses Ziel zu erreichen, müssen Informatiker zuerst – wie es im Fachjargon so schön heißt – das Spiel „lösen“.

„Wenn man eine unendliche Zahl von Händen spielt, - wie sieht das durchschnittliche Ergebnis aus? Darum geht es uns, wenn wir sagen, wir wollen Poker lösen“, erklärt Michael Bowling, Direktor der Computer Poker Research Group an der University of Alberta in Kanada. „Wenn man genug Hände spielt, dann macht bei einer optimalen Strategie das Kartenglück nichts mehr aus.“

Michael Bowlings Programm Cepheus löste erfolgreich eine Variante von Texas Hold’em. „Cepheus ist in der Lage, vier Milliarden Hände pro Sekunde pro Computerchip zu spielen. Das ergibt Billionen von Händen pro Sekunde. Kurzum: Cepheus hat mehr Hände gespielt als die gesamte Menschheit.“

In beiden Informatiklaboren sind die Forscher schon dabei, Programme für reale Situationen mit pokerähnliche Problemstellungen zu entwickeln. Tuomas Sandholm konzipiert gerade folgendes Szenario aus der Medizin: Ein Spieler ist der behandelnde Arzt, der Gegner ist eine Krankheit. „Wir verfügen zwar über Wahrscheinlichkeitswerte, wie bestimmte therapeutische Handlungen in verschiedenen Stadien der Krankheit wirken. Aber wir wissen nicht, was genau in jedem Stadium der Krankheit mit allen existierenden Therapiemethoden passiert.“

Eine Möglichkeit ist nun, dem Computer Regeln einzugeben, damit er die optimale Strategie entwickelt. Eine andere, ebenfalls aus dem Pokerspiel stammende Möglichkeit: Die Schwächen des Gegners – in diesem Fall des Krankheitserregers – zu analysieren und systematisch auszunutzen. Was am grünen Filz profitabel ist, könnte sich in der Medizin als heilsam erweisen.

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Madeleine Amberger

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