LTE als Zukunft des Zugfunks
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GSM-R ist ein Standard zur Kommunikation zwischen Zügen und den Kontrollzentren von Eisenbahnbetreibern, der seit dem Jahr 2000 besteht. Im Rahmen der zweiten Ausbaustufe des European Train Control System (ETCS) soll GSM-R sicherstellen, dass Eisenbahnbetreiber effektiv kommunizieren können und somit konkurrenzfähig gegenüber dem Transport auf der Straße und in der Luft bleiben.
Mit dem ETCS ist es möglich, die Position von Zügen innerhalb des Schienennetzwerks genauer zu bestimmen, wodurch die Kapazität auf Zugstrecken erhöht werden kann. Die Europäische Union forciert die Interoperabilität von Kommunikationstechnik, um gleiche Voraussetzungen für alle Marktteilnehmer im Zugverkehr zu schaffen und hat sich für GSM-R als Standard im Zugfunk entschieden.
Während GSM im Mobilfunk längst durch folgende Technologie-Generationen abgelöst ist, wird GSM-R auf vielen Zugverbindungen heute erstmals eingeführt. Im Hintergrund laufen jedoch bereits Überlegungen zur Nachfolge des Standards. Der chinesische Netzwerktechnik- und Telekommunikationskonzern Huawei bewirbt LTE als Zukunftslösung im Bahnbereich. Das Potential ist groß, doch auch die Hürden für LTE sind beachtlich.
GSM-R: Sicher, aber nicht omnipotent
"GSM-R ist ein sicheres Konzept, aber man kann nicht alles damit machen", erklärt Norman Frisch, der Verantwortliche für Business Development im Eisenbahnbereich bei Huawei. Die futurezone traf Frisch, der sich zuletzt anlässlich des "Signalling and Train Control Congress" in Wien aufhielt, zu einem Gespräch. Frisch war bei der Geburtsstunde des GSM-R-Standards Mitte der 90er-Jahre dabei.
GSM-R unterscheidet sich durch eine Reihe von Zusätzen vom Mobilfunkstandard GSM, der 1992 festgelegt wurde. Im Gegensatz zu "normalem" Mobilfunk müssen bei GSM-R Gruppenanrufe möglich sein, bei der etwa ein Zugführer eine Notfallbotschaft an mehrere Stellen gleichzeitig übermitteln kann. Außerdem müssen bei GSM-R blitzartig Leitungen freigeschaltet werden und bestehende Verbindungen getrennt werden können.
Was beim Mobilfunk mit Zügen dazukommt, sind physikalische Herausforderungen. Trotz hohen Geschwindigkeiten müssen Verbindungen gehalten werden können. Züge bewegen sich üblicherweise direkt auf GSM-R-Antennen zu oder davon weg, weshalb der Doppler-Effekt beim Funken entsprechend groß ist. Während GSM-R bei der Sprachübertragung punktet, stößt man bei der Übertragung von Daten jedoch schnell an Leistungsgrenzen. Hier kommt LTE ins Spiel.
Die Vorteile von LTE
Am Beispiel Videoüberwachung beschreibt Norman Frisch die Möglichkeiten einer neuen Übertragungstechnologie. Heute werden Videos, die etwa in Zugwaggons aufgenommen werden, im Zug abgespeichert und können erst nach der Ankunft des Zuges am Wartungsstandort übertragen und aufbewahrt werden. Eine Live-Übertragung der Videobilder mittels GSM-R ist unmöglich. Mit LTE könnten Videobilder aus Zugwaggons live in die Leitzentrale übertragen werden. Kommt es zu einem Notfall, können sich Fahrdienstleiter schnell selbst einen Überblick über die Lage verschaffen.
Durch LTE stünden dem Datenfunk zwischen Zügen und Kontrollzentren viel größere Bandbreiten zur Verfügung. Die Verteilung von Botschaften an eine große Zahl an Empfängern (ähnlich dem Gruppenanruf bei GSM-R) gestaltet sich durch die Übertragung und Replizierbarkeit von Datenpaketen einfacher. Mittels LTE-Verbindung könnte ein Zug auch mit einer Mobilfunk-Basisstation ausgestattet werden, um die Gesprächsqualität von Handytelefonierern an Bord zu verbessern.
Was laut Norman Frisch dazukommt, ist, dass die Einrichtung und Betrieb eines LTE-Netzes billiger sei als das Herstellen und Betreibeneines GSM-R-Netzes. Bahnbetreiber erhielten "bessere Kommunikation für weniger Geld". Um eine zügige Vorbereitung auf den neuen Standard in Europa zu erreichen, unterstützt Huawei die Europäische Eisenbahn Agentur (ERA) bei der Untersuchung von zukünftigen Telekommunikationssystemen für den betrieblichen Sprach- und Datenverkehr.
Hürden
Bei der Umsetzung von LTE für den Zugverkehr gibt es jedoch noch einige Herausforderungen, die zu bewältigen sind. Das größte Problem ist die Geschwindigkeit. Auf Zugstrecken kommt es aufgrund der - oben bereits erwähnten - physikalischen Gegebenheiten zu einem starken Doppler-Effekt, also zu Frequenzverschiebungen, an die sich Sende- und Empfangseinrichtungen anpassen müssen. Wie Norman Frisch betont, sei es Huawei gelungen, erfolgreich eine LTE-Verbindung selbst dann zu halten, wenn sich der Zug mit 430 km/h bewegt - so geschehen bei einer Magnetschwebebahn in Shanghai.
Eine weitere Herausforderung sind Sprachdienste. Während GSM-R vornehmlich auf Sprachtelefonie ausgelegt ist und die Übertragung von Daten schwieriger wird, ist es bei LTE umgekehrt. Eine dritte Herausforderung betrifft die Sender-Infrastruktur. Wie auch im "normalen" Mobilfunk verlangen LTE-Sender die Anbindung an ein Glasfaser-Netzwerk. Werden Bahnstrecken heutzutage neugebaut, sei das kein Thema, so Frisch. Da werde entlang der Strecke sofort Glasfaser verlegt. Das Nachrüsten bestehender Strecken mit Glasfaserverbindungen ist jedoch mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden.
Huawei ist jedenfalls von LTE als GSM-R-Nachfolger so überzeugt, dass jede neue Hardware im Zugbereich beide Standards unterstützt. Seit 2012 sind alle neuen Huawei-Sender auf "Dual Mode" ausgelegt.
LTE als Möglichkeit für ÖBB und Kapsch
Die Österreichischen Bundesbahnen halten unterdessen, was LTE betrifft, die Augen offen. Bis 2025 will man aber auf GSM-R vertrauen. Als Teil einer internationalen Arbeitsgruppe unter der Leitung des Internationalen Eisenbahnverbands (UIC) spezifizieren die ÖBB bereits Anforderungen für das Nachfolgesystem von GSM-R. Dabei werden verschiedene Technologien in Betracht gezogen, auch LTE.
Das österreichische Unternehmen Kapsch CarrierCom, das Teil der GSM-R Industriegruppe ist, bestätigt, dass die Technologie auf alle Fälle bis 2025 unterstützt wird. Aber auch Kapsch denkt an die Zukunft. Ab 2014 will die GSM-R Industriegruppe gemeinsam mit der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) und der UIC einen neuen Standard entwickeln. Dieser soll bis 2018 definiert sein. Bis 2020 sollen die ersten Feldtests erfolgen. In den Jahren darauf sollen GSM-R und sein Nachfolger in einer Übergangsphase parallel eingesetzt werden.
Schneller dürfte es in der Eisenbahn-Welt einfach nicht gehen. Wie Jean-Michel Evanghelou, Head of Railway Solutions bei Kapsch CarrierCom beschreibt, sind die Lebenszyklen bei Telekommunikationstechnologien für die Bahn sehr unterschiedlich zu üblichen Telekommunikationslebenszyklen: "Ungefähr 25 Jahre, verglichen mit sieben."
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