Mit ultratiefen Temperaturen auf Materialsuche
Mit ultratiefen Temperaturen auf Materialsuche
© TU Wien

Mit ultratiefen Temperaturen auf Materialsuche

Mit ultratiefen Temperaturen auf Materialsuche

51 Mikrokelvin wurden beim ersten Test im neuen "Vienna Microkelvin Laboratory" gemessen. "Das ist schwer vorstellbar, es sind etwa 50 Millionstel vom absoluten Temperaturnullpunkt, der bei minus 273,15 Grad Celsius liegt", erklärt Müller, der für die Abläufe zur Aufstellung und Inbetriebnahme des neuen Labors zuständig ist. Das 200 Quadratmeter große Labor, das sich über drei Stockwerke erstreckt, ist mit Leuchtstoffröhren, Kühlwasser, kleinen Spannungen, Druckluft, einem Kryostat und elektrischer Versorgung ausgestattet.

In das Gerät (ein Kernentmagnetisierungskryostat) passen etwa sechs Kilogramm Kupfer. Während es im restlichen Labor 22 Grad Durchschnittstemperatur hat, kann man die Temperatur im isolierten Bereich im Mischkühler auf extrem tiefe Werte herunterkühlen. "Bis eine Temperatur von rund 50 Mikrokelvin erreicht wird, dauert es allerdings eine Woche", erzählt Müller. "Dafür braucht man außerdem über 400 Liter flüssiges Helium als Kühlmittel."

Die Aufstellung einer derart empfindlichen Grossanlage im Zentrum einer Millionenstadt ist eine gewaltige Herausforderung

Dämpfungssystem gegen SchwingungenUm diese ultratiefen Temperaturen erreichen zu können, musste im Labor ein eigenes Dämpfungssystem installiert werden. Damit lassen sich minimale Schwingungen des Gebäudes ausgleichen. Das für Menschen unmerkliche Schwingen der Wände und des Fußbodens würde Energie auf das Gerät übertragen und es damit erwärmen. Insgesamt wird seit Februar an der Installation des Labors gearbeitet. "Es ist eine komplexe Fertigung eines Gesamtsystems, das braucht Zeit", so Müller. So war etwa auch die Anschaffung eines eigenen Krans notwendig, um die Proben, die auf einer von mehreren Isolationsschichten umgebenen Platte liegen werden, zugänglich zu machen. "Die Aufstellung einer derartigen Großanlage im Zentrum einer Millionenstadt war eine gewaltige Herausforderung", ergänzt die Forschungsleiterin Silke Bühler-Paschen.

Doch wozu braucht man ein derartiges Labor? "Wir wollen da drin Materie bei extrem tiefen Temperaturen erforschen", erklärt Müller die Intention dahinter. Die quantenphysikalische Forschung wird von sieben bis acht Mitarbeitern des Instituts für Festkörperphysik unter der Leitung von Bühler-Paschen betrieben. Sie sollen Hinweise darauf liefern, ob sich eine Materie bei den tiefen Temperaturen verändert.

Wenige Anlagen auf der ganzen Welt Dies ist wiederum wichtig, um Phänomene wie die Supraleitung weiter zu untersuchen. Gewisse Materialien haben die Eigenschaft, unterhalb einer bestimmten Temperatur elektrischen Strom zu leiten, ohne dabei Energie zu verlieren - und zwar ganz ohne elektrischen Widerstand.

"Wir haben mit unseren bisherigen Forschungsarbeiten aufgezeigt, dass das quantenkritische Verhalten in gewissen Materialien im Widerspruch mit der Standardtheorie der Quantenphasenübergänge steht. Gänzlich neue Modelle sind nötig, um die beobachteten Eigenschaften zu erklären", fügt Bühler-Paschen hinzu. „Unser Forschungsgebiet ist allerdings sehr vielfältig“, meint die Forschungsleiterin. „Ganz unterschiedliche Aufgaben – von der Erzeugung der Materialproben über Kühltechnologie bis hin zu theoretischen Berechnungen – müssen gelöst werden.“

"Es gibt weltweit nur wenige Anlagen, die soweit runter kühlen können", erklärt Müller. Ein derartiges Gerät stehe in Indien, eines in Japan, ansonsten gebe es nur noch "eine Handvoll" weitere Einrichtungen, die dazu fähig sind, so Müller. "Wir sind international ganz vorne dabei", freut sich Bühler-Paschen. In Östereich ist es lediglich am Atominstitut der TU Wien noch kälter - dort werden allerdings nur wenige hundert Atome abgekühlt . "Wir können mit sechs Kilogramm Kupfer eine makroskopische Menge runter kühlen und auch echte Experimente machen", so Müller.

Widerstands- und Mikrowellen-Messungen Das erste Experiment wird im Bereich der Widerstandsmessungen liegen und Hall-Effekte messen. "In weiterer Folge sind auch Mikrowellen-Experimente geplant", so Müller. Doch hierfür würden nach wie vor einige Teile fehlen. "Wir haben die Anlage ja praktisch nackt bekommen. Jetzt haben wir sie nach ersten Tests soweit, dass wir mit den Experimenten starten können", fügt Müller hinzu.

Bisher erreichte man am Institut Temperaturen bis zu 12 Millikelvin. Im neuen Mikrokelvin-Labor wird es nun mehr als 200 Mal kälter. Damit hofft man, den bisherigen Beobachtungen auf den Grund gehen zu können. Für Bühler-Paschen ist das neue Mikrokelvin-Labor ein bedeutender Schritt nach vorne. „Um die Materialien von morgen zu verstehen, brauchen wir quantenphysikalische Forschung“, betont sie. "Jetzt ist wieder das Experiment an der Reihe."

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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