Sand wird zur Mangelware: Die schwierige Suche nach Alternativen
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Die Coronakrise ist auf der Baustelle angekommen. Steigende Preise und Lieferengpässe von Holz, Stahl und anderen Stoffen brachten die Branche seit Beginn der Pandemie weltweit ins Stocken. Eine Ressource ist besonders betroffen: der Sand. Sandknappheit, das klingt paradox. Immerhin gibt es auf der Erde mehr Sandkörner als Sterne im All. Der Löwenanteil taugt aber nicht als Baumaterial.
Großteil fließt in den Betonmischer
Ein Großteil des Rohstoffs fließt nicht in die Erzeugung von Alltagsgegenständen, wie etwa Glas, Jeans und Zahnpasta, sondern in den Betonmischer. Beton besteht zu 2/3 aus Sand. Und wiederum 2/3 aller Häuser baut der Mensch aus Beton. Zugleich steigt die Bevölkerung weltweit an und damit der Bedarf an Beton als Baumaterial.
Den Sandhunger der Bauindustrie kann die Natur nicht stillen, denn: Nur 5 Prozent der weltweiten Sandvorkommen taugen für die Betonherstellung. Die Körner der restlichen 95 Prozent, vorwiegend Wüstensand, sind zu fein, zu glatt, zu rund, um Beton zusammenzuhalten.
„Die Einzelkörner von Wüstensand haben in etwa dieselbe Korngröße, man spricht auch von Monokörnung“, erklärt Klaus Voit, Geologe an der Universität für Bodenkultur Wien, der futurezone. „Man bekommt, bei reiner Verwendung von Wüstensand als Gesteinskörnung, ein sehr hohes Lückenvolumen, das ich mit viel Zementleim auffüllen müsste.“ Die Körner seien außerdem zu glatt, weil sie durch den Wüstenwind poliert wurden, was die Haftung des Zementleims verschlechtert.
Beton aus Wüstensand erzeugen
Manche Forscher*innen versuchen Wüstensand so zu behandeln, dass er für die Bauindustrie taugt – wie das Unternehmen Multicon. Es pulverisiert Feinsande und pelletiert anschließend das feine Steinmehl mit einer speziellen Suspension und einem eigens entwickelten Mischverfahren in etwa 16 Millimeter große Pellets.
„Mit diesen Pellets lässt sich Beton herstellen, der dem herkömmlichen um nichts nachsteht“, sagt Multicon-Gründer Leopold Halser der futurezone. „Er ist sogar um einiges leichter, belastbarer und man benötigt weniger Zement.“ Das entlaste die Umwelt. „Etwa 9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen werden durch die Herstellung von Zement verursacht. Zum Vergleich: der Automobilverkehr ist nur für etwa 5 Prozent verantwortlich“, weiß Halser.
Lange Transportwege
Geologe Voit ist von der Klimafreundlichkeit des Einsatzes von Wüstensand allerdings nicht überzeugt: „Die großen Transportweiten sind mit CO2-Emissionen verbunden. Da die Gesteinskörnung bei Beton den wesentlichen Anteil, nämlich in etwa 70 bis 80 Prozent, ausmacht, würde sich der Einsatz bzw. Antransport von Wüstensand sehr negativ auf die Ökobilanz von Beton auswirken.“
Was, wenn Sand aber gar nicht umständlich nach Europa gekarrt werden muss, um die Sandkrise zu lösen? Mit Multicons Verfahren können nämlich auch heimische Feinsande bautauglich gemacht werden. „Auch in Deutschland gäbe es eine Menge an Feinsand, der als Abfallprodukt bei der herkömmlichen Sandförderung entsteht“, hält Halser fest.
Polymerbeton, eine realistische Alternative?
Ganz ohne Zement kommt der sogenannte Polymerbeton aus, bei dem ein Kunststoff (Polyesterharz) als Bindemittel eingesetzt wird. Die Baubranche verwendete Polymerbeton bislang hauptsächlich im Tiefbau. Das deutsche Unternehmen PolyCare stellt nun auch Ziegel her, die sich für den Bau gewöhnlicher Häuser eignen. Geologe Voit gibt allerdings bei der Umweltverträglichkeit von Polymerbeton zu bedenken: „Es kommt zu einem späteren Recycling, da ich mineralische Ausgangsstoffe (Gestein) mit organischen Materialien (Kunststoff) vermische, die dann am Ende kaum mehr zu trennen sind.“
Auch der Preis des Kunstharzbetons ist eine Hürde, wie Multicon-Geschäftsführer Halser meint: „Polymerbeton kann nicht in großem Stil in der Bauindustrie eingesetzt werden, dafür ist er zu teuer.“ Sand sei hingegen billig. Das macht es Sandalternativen schwer, am Markt Fuß zu fassen, der derzeit ohnehin mit rasant steigenden Preisen kämpft.
Auch Multicon stieß in Österreich und Deutschland bislang auf taube Ohren. „Es ist ein harter Kampf und bislang mussten wir alles aus eigener Tasche finanzieren,“ so Halser: „Und im Gegensatz zum Polymerbeton haben wir sogar eine wettbewerbsfähige Alternative entwickelt, die 3 bis 5 Euro unter dem regulären Betonpreis liegt.“
Sandknappheit schadet Mensch und Natur
Die Zeit für die Entwicklung von Sandalternativen wird knapp. Denn einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge baut der Mensch jährlich 40 bis 50 Milliarden Tonnen Sand ab. Nur Wasser wird mehr gefördert. Das führt dazu, dass die globalen Sandreserven Jahr für Jahr schwinden - mit schweren ökologischen und politischen Folgen.
Sand ist an vielen Orten der Welt Freiwild. Er wird nicht besteuert und unreglementiert abgebaut. Das öffnet dem illegalen Abbau und Export Tür und Tor. Laut einem Bericht der UNO sind vor allem in Indien und Ländern Zentralafrikas kriminelle Banden zugange. Sie haben Interesse daran, Sand so günstig wie möglich zu fördern – auf Kosten der Schürfer*innen, die ohne Schutzkleidung und unter horrenden Bedingungen Sand schaufeln.
Der Sandhunger schadet zudem der Umwelt. Schätzungen der UNO zufolge sind 3 von 4 Stränden im Begriff zu verschwinden. Entweder weil der Sand direkt am Strand abgebaut oder vom Meeresgrund aufgesogen wird. Das bietet Stoff für internationale Konflikte. So saugt Singapur so viel Sand vom Meeresboden, dass einige Inseln umliegender Nachbarländer wie Indonesien zur Gänze verschwinden.
Für viele Tourismusgebiete ist das eine wirtschaftliche Katastrophe. Wer es sich leisten kann, pumpt mit aufwendigen Anlagen den Sand vom Meeresboden wieder zurück an die Küsten, wie etwa die deutsche Urlaubsinsel Sylt oder der US-Bundesstaat Florida. Auch Flüsse sind betroffen. Sie können durch Sandabbau verschmutzt werden und einen höheren Säuregehalt aufweisen. Dadurch bleibt den betroffenen Gebieten weniger Wasser zum Leben und für die Landwirtschaft.
Update (28.12.2021): In einer früheren Version des Artikels stand: "Die Baubranche verwendete Polymerbeton bislang hauptsächlich im Tiefbau, da er leicht entzündlich ist und somit notwendige Brandschutzbestimmungen nicht erfüllt." Das war nicht korrekt und wurde nun korrigiert.
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