Mähdrescher fährt durch Gerstenfeld

Gerstenernte: Die Pflanzen könnten künftig auf mehr Wasser- und Nährstoffvorräte zugreifen

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Science

Tiefere Wurzeln machen Pflanzen resistenter gegen den Klimawandel

Durch den Klimawandel gibt es immer längere Trockenperioden. Um zu verhindern, dass Nutzpflanzen daran zugrunde gehen und Ernteausfälle zu vermeiden, werden künftig - wie in der vergangenen Woche berichtet - immer mehr Äcker bewässert werden müssen. Man könnte allerdings auch die Pflanzen selbst so modifizieren, dass sie mit härteren Bedingungen zurechtkommen. Ein internationales Forscher*innenteam ist nun auf eine Möglichkeit gestoßen, wie Getreide robuster gegen den Klimawandel werden könnte.

Die Forscher*innen haben ein Gen identifiziert, das in Weizen und Gerste das Wurzelwachstum reguliert. Genauer gesagt, entscheidet es darüber, in welchem Winkel die Wurzeln in den Boden vordringen und wie flexibel die Wurzelwände sind. Ist das Gen durch eine Mutation defekt, zeigen die Pflanzen eine Tendenz, bei ihrem Wachstum stärker der Schwerkraft zu folgen und geradewegs nach unten zu wachsen. Das Gen wird deshalb "Enhanced Gravitropism 1" (EGT 1) genannt.

Röntgenaufnahme vom Boden unterhalb einer Gerste mit und ohne EGT1-Gen (re.): Die Wurzeln orientieren sich bei Abwesenheit stärker an der Schwerkraft

Röntgenaufnahme vom Boden unterhalb einer Gerste mit und ohne EGT1-Gen (re.): Die Wurzeln orientieren sich bei Abwesenheit stärker an der Schwerkraft

Mehrere Vorteile

Pflanzen, denen EGT1 fehlt, könnten in Zeiten des Klimawandels von tieferen Wurzeln profitieren und eventuell Wasser und Nährstoffe aus tieferen Bodenschichten aufnehmen. Indem die Wurzeln in tiefere Schichten vordringen, wird auch Kohlenstoff, den die Pflanzen oberirdisch in Form von Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen, tiefer eingelagert. Dort bleibt er dann auch länger, was angesichts eines stark gestiegenen CO2-Gehalts in der Atmosphäre eine gute Nachricht ist.

"Indem wir Gene identifizieren, die den Winkel des Wurzelwachstums kontrollieren, können wir sehr dabei helfen, Saaten zu entwickeln, die besser an wechselnde Umweltbedingungen angepasst sind", ist Co-Studienleiterin Haoyu Lou überzeugt. Diese Entdeckung hat Potenzial, aber andere Konsequenzen müssen gut untersucht werden, merkt Ortrun Mittelsten Scheid vom Gregor-Mendel-Institut für molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an.

Weiter Weg zur Saat

"Tieferes Wurzelwachstum heißt noch nicht, dass die Pflanze dann im oberen Bereich ertragreicher ist." Ob die erhöhte Kapazität, Wasser und mehr Nährstoffe aufzunehmen, auch zu den gewünschten Ernteergebnissen führen, hänge von vielen weiteren Faktoren ab, etwa der Bodenbeschaffenheit oder dem Zusammenspiel zwischen Pflanze und Mikroorganismen.

Mutationen an Pflanzen wie jene mit dem fehlenden EGT1-Gen kämen in der Natur oft vor, erklärt die Molekularbiologin. Meist werden sie durch Sonneneinstrahlung oder Chemikalien ausgelöst. Für Pflanzenzüchter interessant wird es, wenn es sich um Mutationen in der Keimbahn handelt, also solche, die an die nächste Pflanzengeneration vererbt werden. Um aus einem Fund wie Getreide ohne EGT1 Saatgut zu machen, das man auf Äckern verbreiten kann, sei es ein langer Weg.

"Der klassische Weg, eine Mutation durch Kreuzung in andere Gerstensorten zu übertragen, ist sehr arbeitsaufwendig und dauert viele Jahre." Laut Mittelsten Scheid gäbe es auch einen viel schnelleren Weg, etwa mittels CRISPR-Verfahren. Mit der "Genschere" könnte man EGT1 einfach aus dem Erbgut von Pflanzen entfernen und jene Exemplare vermehren. Zu Forschungszwecken sei dies in Europa erlaubt, nicht aber zur Erzeugung von Saatgut.

Viele Tests notwendig

Bevor ein solches auf den Markt gebracht wird, müssen aber "ganze Batterien an Testverfahren" durchlaufen werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass es nicht zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt. Lässt sich Getreide mit tieferen Wurzeln, aber flexibleren Wurzelwänden leichter durch Wind umwerfen? Wie kommt es mit lockerem oder festem Lehmboden zurecht? Verändert sich dadurch die Zusammenarbeit mit Mikroorganismen? Fragen wie diese müssen geklärt werden.

"Was am Ende zählt, ist der Ertrag über der Erde", sagt Mittelsten Scheid "Alle Mutationen, die dazu beitragen, dass sich der Ertrag erhöht, sind für die Züchtung interessant. Das praktiziert die Menschheit seit tausenden Jahren so."

Weitere Ansatzpunkte

Um Nutzpflanzen klimawandelresistenter zu machen, könne man auch an anderen Punkten als dem Wurzelwachstum ansetzen, z.B. wenn man die Regulierung von Wasserhaushalt und Photosynthese optimiert. Bei der Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenstoff und Sauerstoff mittels Licht gebe es verschiedene Formen. Auch an der Regulierung der Spaltöffnungen an den Blättern, an denen CO2 in die Pflanze hinein- und Wasser herausbefördert werden, werde getüftelt.

Die genauen Vorgänge innerhalb der Pflanzen müsse man dafür aber erst einmal durchschauen: "Man weiß schon viel, aber das Verständnis für die Gesamtheit der Zusammenhänge hinkt noch hinterher. Mit EGT1 wurde etwa ein einzelnes Gen in einem riesengroßen Genom identifiziert. Wie es mit anderen Genen zusammenspielt und welche Konsequenzen eine Veränderung hat, weiß man noch nicht. Die Funktion alleine ist nur ein winziger Einblick in ein unglaublich komplexes Netzwerk."

Anpassungsmechanismen abschauen

In Zukunft wäre es für Menschen wünschenswert, wenn es Nutzpflanzen gäbe, die klimawandelresistent, resistent gegen Schädlinge und dazu noch möglichst ertragreich sind. "Diese Eier legende Wollmilchsau gibt es aber nicht", sagt Mittelsten Scheid. Das Potenzial, Eigenschaften der Pflanzen zu verbessern, sei aber bei der Vielfalt an Pflanzen und Anpassungsmechanismen vorhanden. "Pflanzen wachsen auch ohne unser Zutun unter den unglaublichsten Umweltbedingungen, etwa in der Wüste, und die vielfältigen Anpassungsmechanismen sollten wir uns gut anschauen."

In Zukunft sei es aber auch notwendig, Nutzpflanzen für den Anbau in Betracht zu ziehen, die derzeit nur in den Tropen kultiviert werden. Auch die Optimierung landwirtschaftlicher Methoden, etwa durch Digitalisierung, sei in Zukunft wichtig für die Nahrungsmittelversorgung. "Jede Technik alleine hat nur geringes Potenzial, aber wenn wir Pflanzen in unserem Sinne verbessern und eine vernünftige Landwirtschaft betreiben wollen, brauchen wir das Zusammenspiel von vielseitiger Grundlagenforschung, Biodiversität, Ökologie, Anbautechniken und Klimadaten."

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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