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Science

Endlos im Weltraum herumklettern

238 Klettergriffe führen immer weiter ins endlose Weltall. Aus der Ferne leuchtet eine Galaxie. Die unmittelbare Umgebung besteht aus Dunkelheit, funkelnden Sternen und vorbeifliegenden Gesteinsbrocken. Eine Gefahr stellen sie nicht dar. Denn die Kletterwand, auf der man sich gerade befindet, ist Teil einer virtuellen Welt.  

Diese wurde von Studierenden der TU Wien rund um Horst Eidenberger vom Bereich Information und Software Engineering entwickelt. Der computergenerierte Inhalt („Content“) beschränkt sich nicht auf das All – Mutige können im Rahmen des Forschungsprojekts „Vreeclimber“ virtuell auch den Turm des Wiener Stephansdoms besteigen, am Mond bouldern oder ein Piratenschiff erklimmen. Zu diesen 3D-Modellen hat Eidenberger selbst die 4 Meter hohe, 4 Meter breite und 6 Meter lange Kletterwand aus Holz und Stahl gebaut, wie er im futurezone-Gespräch erzählt.

3D-Scan der Griffe

Um  diese in die virtuelle Welt übertragen zu können, wurde zunächst von jedem einzelnen Klettergriff ein 3D-Scan vorgenommen. Von ihrer physischen Anbringung an der Wand wurde somit ein digitaler Zwilling erstellt, erklärt Eidenberger. Für die Nutzung des VR-Klettersystems bedarf es einer handelsüblichen VR-Brille, in diesem Fall nutzt das Forschungsteam eine HTC Vive Pro 2. Die kommt mit  sogenannten „Trackern“, die mit Klettband an den Händen und Füßen befestigt werden.

So hat sich das VR-Klettern angefühlt

Ich durfte die endlose Kletterwand der TU Wien testen. Beim Klettern wird man, wie auch beim herkömmlichen Bouldern, durch ein Seil gesichert. Bevor es losgeht, werden Hände und Füße kalibriert.

Danach kann man im eigenen Tempo die Kletterwand "hinauf"steigen. Tatsächlich fühlt es sich an, als würde man immer weiter hinaufkommen, obwohl man im Grunde immer auf gleicher Höhe bleibt. Dass die Wand mit jedem Schritt nach unten rollt, ist nicht spürbar. Weder von der Bewegung der Wand, noch der VR-Brille, erlebte ich die gefürchtete "Motion Sickness" - die ich von früheren VR-Tests nur zu gut kenne.

Besonders imposant sind die kreierten VR-Welten der Studierenden, für mich speziell aber das All und die Mondbasis. Wer die VR-Kletterwand in Zukunft einmal testen möchte, sollte sich zwischen den Klettergriffen unbedingt Zeit nehmen und die Aussicht genießen. Denn darum geht es bei der Anwendung auch.

Dank eines von der VR-Hardware erzeugten Gitters aus Infrarotlicht können die Tracker die Position der Gliedmaßen an der Wand berechnen – Hände und Füße werden in der virtuellen Welt sichtbar. Bei der Anwendung bewegt sich die Wand während des Kletterns mit bis zu 4,78 Meter pro Minute abwärts. Dadurch bleibt man stets auf der gleichen Höhe, während man aber gefühlt die Wand immer weiter hinaufsteigt.

Will man sich eine Pause gönnen, um die Aussicht zu genießen, bleibt die Wand stehen. Laut Eidenberger können auch Überhänge simuliert werden – das Konstrukt kann bis zu 20 Grad geneigt werden.

Immersion steigern

Um das jeweilige Szenario für Kletter*innen so real wie möglich zu machen, kommen zudem unterschiedliche Effekte zum Einsatz. „Die Immersion ist, das Gefühl oder die kognitive Situation zu schaffen, dass sie zwar wissen, sie sind physisch an einer Wand, die nur ein paar Meter hoch ist – und sie sind nur 1,5 Meter über dem Boden – doch ein Teil ihrer Wahrnehmung glaubt, sie befinden sich zum Beispiel auf der Wand eines Piratenschiffes“, sagt der Forscher.

Um dieses Immersionsgefühl zu schaffen, müssen ihm zufolge nicht nur die 3D-Modelle qualitativ hochwertig sein, auch müssten so viele Reize wie möglich gesetzt werden. „Indem wir eine komplexe Hardware bauen, schaffen wir in Wirklichkeit haptische Reize“, sagt er.

Gepaart werden diese unter anderem mit Geräuschen und Musik. Um Kletter*innen außerdem in eine bestimmte Richtung zu lenken, kommen etwa einzelne visuelle Elemente ins Spiel. „Wenn wir wollen, dass sie auf einer bestimmten Stelle nicht hinsteigen, weil da zum Beispiel ein Trackingobjekt ist, kann eine Spinne vorbeiklettern oder ein kleiner Lichtblitz dort zu sehen sein“, sagt der Forscher.

Die Verbindung aus Content, insbesondere haptischen Reizen, und der Optimierung dieser Spiellogik unter Ausnutzung von allem, was die wissenschaftliche Literatur hergibt, maximiere das Immersionsgefühl. Gleichzeitig könne man so „das große Problem der VR“ – die Motion Sickness – vermeiden. Diese Simulationsübelkeit entsteht oft dann, wenn der Gleichgewichtssinn nicht mit den Bewegungen übereinstimmt, die man visuell wahrnimmt.

Fingertracking

Das wissenschaftliche Ziel des Projekts sei es laut Eidenberger, eine Anwendung zu schaffen, welche das sogenannte Fingertracking ermöglicht. Das bedeutet, dass man die Lage einzelner Finger in der virtuellen Realität nachvollziehen kann. Laut dem Forscher sei diese eine der letzten Grenzen, die es in der VR, neben der kollektiven Anwendung – also der gleichzeitigen Nutzung mehrere Teilnehmer*innen, noch gibt. Wie die Fingerglieder miteinander interagieren, sei noch weitgehend ungelöst und könnte mit dem Projekt näher beleuchtet werden.  

Um nicht nur Profis, sondern auch Menschen ohne Klettererfahrung für interessante VR-Erlebnisse zu begeistern, können die virtuellen Inhalte angepasst werden. Unter anderem können gute Kletter*innen auf der Wand hin- und hergeschickt werden: „Das können wir über den Content, weil wir natürlich nicht alle physischen Griffe, die existieren, auch virtuell einblenden müssen“, sagt Eidenberger. Zusätzlich können Hindernisse, wie Spinnen oder Schlangen, eingebaut werden, um die herumgeklettert werden sollte.

700 Kilogramm

Das Konstrukt sei so konzipiert, dass möglichst wenig Aufwand beim Auf- und Abbau, aber auch beim Transport entsteht. Für den Betrieb der 700 Kilogramm schweren Wand seien 2 Personen notwendig. Diese schaffen den Aufbau in 4 Stunden. Aktuell wird die Kletterwand getestet und laufend verbessert.

In einem nächsten Schritt soll das System der Öffentlichkeit präsentiert werden. Wann es soweit sein wird und wie viel eine Kletterrunde kostet, falls das Projekt kommerzialisiert wird, ist noch nicht bekannt.

Avatare sollen bald Freude zeigen können

Der Facebook-Mutterkonzern Meta will Gesichtsausdrücke in die virtuelle Realität (VR) bringen. Dank einer neuen VR-Brille, die unter dem Projektnamen „Cambria“ entwickelt wird, sollen Avatare, welche Internetnutzer*innen in der virtuellen Welt repräsentieren, Freude, Abscheu und andere Mimiken ausdrücken können. Die werden von den im Headset verbauten Sensoren erfasst und in der Folge auf den Avatar übertragen. 

Laut Meta sollen auch neue Linsentypen, leistungsstarke Chips und Mini-LED-Displays mit einer 120-Hz-Bildwiederholrate zum Einsatz kommen. Für die VR-Brille müssen Interessierte allerdings tief in die Tasche greifen. Laut Medienberichten beläuft sich der Preis auf etwa 800 Dollar. Das Gerät soll im September diesen Jahres auf den Markt kommen.

Nachfolger

2024 soll auch schon sein Nachfolger unter dem Projektnamen „Funston“ erscheinen. Zusätzlich soll Meta an Nachfolgern der VR-Brille Quest 2 arbeiten, die in den kommenden 2 Jahren erscheinen sollen. Geplant sind für 2024 außerdem 2 Augmented-Reality-Brillen, welche die Realität durch computergestützte Elemente erweitern.

Beide Geräte sollen über ein Elektromyographie-Armband gesteuert werden können. Dabei wird der Stromfluss der Muskelnervenfasern ausgewertet. Der Stromfluss steigt, wenn der Muskel angespannt wird. Der eingebaute Sensor erfasst die Änderungen des Stromflusses.

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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