© Walter Jetz

Naturschutz

Wie man möglichst viele Arten vor dem Aussterben rettet

Majestätische Tiger, kuschelige Pandas, faszinierende Elefanten. Daran denkt man, wenn man von bedrohten Tieren hört. Und es sind auch diese charismatischen Arten, die bevorzugt geschützt werden. Einige Forscher meinen jedoch: Es ist hoch an der Zeit für streng objektive, quantitative Kriterien.

Insgesamt 73.686 Arten – Pflanzen und Tiere zusammengenommen - erfasst die Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN, die heuer ihr 50-jähriges Bestehen feiert. 22.103 sind vom Aussterben bedroht. Da stellen sich Fragen über Fragen: Was schützt man? Und aus welchem Grund? Und – da die Resourcen begrenzt sind - was lässt man gehen?

Rationale Überlegungen standen bisher bei den Artenschutzentscheidungen kaum im Vordergrund, erklärt Walter Jetz, deutscher Biologe an der Yale University: „Arten, die sich leichter als schutzwürdig verkaufen lassen, haben von Maßnahmen am meisten profitiert.“ Mit anderen Worten: Was groß oder glupschäugig ist, bunt oder fluffig, dafür lassen sich durch Werbemaßnahmen leicht Spendengelder sammeln.

Balancieren am Rande des Aussterbens

Der Attenborough Langschnabeligel fällt gewiss in keine dieser Niedlichkeitskategorien. Er ist klein, erdbraun, unscheinbar. Und offensichtlich kamerascheu noch dazu: Dieser, in Indonesien beheimatete Kleinsäuger wurde seit Jahren nicht gesichtet. Biologen entdeckten Spuren seiner Existenz. Der Attenborough Langschnabeligel steht auf der so genannten EDGE-Säugetierliste der Zoological Society of London ganz oben an erster Stelle. Das EDGE-Programm (Evolutionarily Distinct and Globally Endangered) konzentriert sich auf Arten, die genetisch, evolutionshistorisch einzigartig und global bedroht sind. Was genetische Einzigartikeit betrifft, ist der eierlegende Langschnabeligel schwer zu übertreffen: Seine Art reicht 160 Millionen Jahre – also in die Zeit der Dinosaurier – zurück. Wenn es ihn nicht mehr gibt, stirbt mit ihm eine besonders lange, einzigartige Evolutionsgeschichte für immer aus.

Alle Vögel dieser Welt

Walter Jetz arbeitet mit EDGE zusammen und erstellte erstmals für alle, fast 10.000 existierenden Vogelarten einen genetischen Stammbaum. Ein solches Projekt wäre noch vor ein paar Jahren kaum möglich gewesen. Denn nun gebe es endlich genug sequenzierte Genome sowie reichlich geografische Daten dank „Big Data“. „Wir haben jetzt ein gutes globales Bild, welche Arten besonders einzigartig sind.“ Der Star auf dieser Liste stammt aus Südamerika: Der in Höhlen lebendes Fettschwalm symbolisiert 80 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte.

Heißt das nun: Statt Glupschäugigkeit und Charisma ist genetische Einzigartigkeit das neue Kriterium? Keinesfalls, so Walter Jetz. „Man kann zwar auf dieser Basis ein klares Ranking erstellen. Doch ob man dieses Ranking auch für Entscheidungen benutzt, - das ist eine andere Frage.“ Miteinzubeziehen wären etwa auch das, was man ökologische Dienstleistungen nennt. Der derzeit noch nicht gefährdete Fettschwalm ist das einzige Tier in seinem Habitat, das die Früchte von Bäumen frisst und so für die Verbreitung von Samen sorgt. Sollte der Fettschwalm aussterben, würden Bäume in der Region zugrunde gehen.

Was lässt man aussterben?

Einige Artenschützer diskutierten die Qual der Wahl seit kurzem als Triage. Dieser medizinische Begriff, der ursprünglich aus der Militärmedizin des ersten Weltkriegs stammt, bedeutet: Abwägen, welche Verwundeten Hilfe am nötigsten brauchen und davon auch am ehesten profitieren. Somit bestimmt man letztlich, wen man sterben lässt.

Beim Artenschutz werde man ebenso verfahren müssen, erklärt Hugh Possingham, Ökologe an der University of Queensland in Australien. „Traditionell hat man immer in die Rettung von Arten, um die es ganz besonders schlimm steht, investiert. Doch das muss man sich gut überlegen.“ Solche Initiativen sind kostenintensiv, und letztlich bewahrt man meist nur eine kleine Population mit beschränkter genetischer Vielfalt und somit wenig Zukunft. Und außerdem: Ein kleines Grüppchen wird wohl kaum seine angestammte Rolle in einem Ökosystem erfüllen können. „Klüger wäre es in quantitativ mehr Arten, die nicht ganz so gefährdet sind, zu investieren. Langfristig rettet man mehr Tiere, und es kostet wesentlich weniger.“

Hugh Possingham entwickelte mit dem Project Prioritization Protocol (PPP) eine Berechnungsmethode, die folgende Kriterien berücksichtigt: Wie einzigartig ist eine Art? Was kostet ihre Rettung? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schutzmaßnahmen erfolgreich sind? Und wie sehr ist die Art vom Aussterben bedroht?

All diese Faktoren werden von einem Computerprogramm abgewogen, und daraus ergibt sich, welche Arten in einem Habitat Priorität haben. Hugh Possingham hat sich mit seinem rationalen Ansatz nicht nur Freunde gemacht: „Ein paar Leute in der Artenschutzgemeinschaft glauben, wir machen das Aussterben akzeptabel, weil wir so schonungslos darüber reden. Aber Arten sterben ja ohnehin.“ Und dank seines Protokolls, so der Forscher, kann man für das gleiche Geld mehr Arten schützen.

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Madeleine Amberger

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